Daniels vergessene Klassiker Nr 17: Krzysztof Penderecki – Threnody (1961)

Daniels vergessene Klassiker Nr 17: Krzysztof Penderecki – Threnody (1961)  klasyki-begeistert.de, 26. März 2023

Krzysztof Penderecki © Jakub Ociepa

Kritisieren kann jeder! Aber die Gretchenfrage ist immer die nach Verbesserung. In seiner Anti-Klassiker-Serie hat Daniel Janz bereits 50 Negativ-Beispiele genannt und Klassiker auseinandergenommen, die in aller Munde sind. Doch außer diesen Werken gibt es auch jene, die kaum gespielt werden. Werke, die einst für Aufsehen sorgten und heute unterrepräsentiert oder sogar vergessen sind. Meistens von Komponisten, die Zeit ihres Lebens im Schatten anderer standen. Freuen Sie sich auf Orchesterstücke, die trotz herausragender Eigenschaften zu wenig Beachtung finden.


von Daniel Janz

Neue Musik – jenes Nischengenre der Klassischen Orchestermusik, das sich mehr schlecht als recht über die Erschließung neuer Klangphänomene zu ergründen versucht. Trotz hochtrabender Konzepte verstricken sich Komponisten dieses Genres in erdrückender Mehrzahl ihrer Experimente in wirren Geräuschkonstrukten. Allzu oft bleiben dabei das sinnliche Erlebnis und ein nachvollziehbarer Ausdruck auf der Strecke. Ergriffenheit, Gefühl, Leidenschaft, Humor? Fehlanzeige. Häufig drängt sich sogar der Eindruck auf, dass sich diese Musik bewusst dem Publikum verweigert. Gelingt es Vertretern dieser Zunft dann doch einmal, etwas auszudrücken, ist das umso beeindruckender. Einer, dem das gelang, ist Krzysztof Penderecki.

Zeitgenössische Orchestermusik halte ich für ein längst zu Tode gerittenes Pferd. Ob sie nun als „Neuer Musik“ entsteht oder einfach nur extravagant oder modern sein will – für mich ist diese Kompositionsweise gescheitert. Bereits die Anfänge dieser Irrsinns-Klangideologie lehne ich überzeugt ab. Denn wenn diese Art von Musik überhaupt jemals etwas ausdrückt, dann sind es bestenfalls Schizophrenie, Chaos und Konfusion. Ausdrücke, die man selten im Konzert wünscht und die besondere Begründung benötigen, um sie in eine Aufführung zu tragen: Denn welcher Zuhörer investiert schon gerne Freizeit (und viel Geld), um sich schlecht zu fühlen? Schlimmstenfalls sogar mit dem Eindruck dröger Langeweile konfrontiert zu werden, weil all diese Chaoskompositionen letztendlich ja doch immer gleich wirr klingen?

Das Problem vieler avantgardistischer Tonsetzer ist, dass sie einzig über neue Stilmittel und raffinierte Kompositionselemente herausstechen wollen – und damit kläglich scheitern. Originalität und Eigenständigkeit erreicht man nicht durch Ausformung einer Technik; die Form des Hammers ist ja auch nicht Garantie für den Erfolg des Handwerkers. Erfolgversprechender scheinen andere Taktiken zu sein: Beispielsweise eine Widmung, ein Programm oder ein Kontext, durch den ein Werk an Inhalt gewinnt. Und dann natürlich auch das sinnliche Erlebnis, das möglichst eingängig und auch ohne große intellektuelle Klimmzüge nachvollziehbar sein muss.

Kommen wir damit also zu Penderecki, dem 2020 in Krakau verstorbenen polnischen Ausnahmetalent unter den Avantgardisten, der durch seinen Kompositionsklangstil als einer der Begründer des Sonorismus bezeichnet wird. Dies, unterstrichen durch sein stetes und konsequentes Eintreten sowohl für den christlichen Glauben als auch für Menschlichkeit, machte ihn bereits zu Lebzeiten zu einem der wichtigsten modernen Komponisten. Zahlreiche Preise und Auszeichnungen folgten, genauso wie Referenzen in Filmmusik, u.a. durch Martin Scorsese, Stanley Kubrick oder David Lynch.

Wenn diese Vita also eines zeigt, dann, dass seine Musik Ausdrücke nicht nur plakativ abbilden, sondern auch vermitteln kann. Eine Fähigkeit, ohne die sein Schaffen wohl kaum Einzug in die Filmindustrie und damit auch in die moderne Popkultur gefunden hätte.

Und doch fristet Pendereckis Musik im Konzertbetrieb ein Schattendasein. Maximal auf Spezialfestivals für Neue Musik steht der Name im Programm. Ansonsten muss man sehr lange suchen, um ihn auf dem Spielplan eines Konzerthauses zu finden. Und das, obwohl seine Musik in erschreckender Präzision genau jenes auszudrücken vermag, was ansonsten der Musik auch schon mal frevlerisch abgesprochen wird: Nämlich die Möglichkeit, Angst, Schrecken, Unbehagen oder das Unheimliche erfahrbar zu machen.

Und was könnte wohl mehr mit Angst und Schrecken verbunden sein, als die Atombombe? Erst gestern ging durch alle Medien, wie ein gewisses Osteuropäisches Land inmitten eines (von ihm verursachten) kriegerischen Konflikts in seinem Nachbarland neue Atomwaffen stationieren und damit eine ohnehin schon weltpolitische Krise weiter verschärfen will. Prompt überschlagen sich Politiker und Berichterstatter mit Schuldzuweisungen und verzweifelten Versuchen, das alles sofort zu bagatellisiert. Fakt ist – mit jeder einzelnen Atomrakete wird die Welt unsicherer. Als hätten wir nicht genug historische Beispiele dafür, was diese Waffen anrichten könnten.

Eines dieser Beispiele, ausgedrückt in Klang, finden wir bei Penderecki. Sein nicht ganz 10 Minuten langes Werk Threnody (zu Deutsch: Grablied) ist ein Werk für insgesamt 52 Saiteninstrumente – in der Regel Streicher. Penderecki selbst widmete es den Opfern des Atombombenabwurfs über Hiroshima und schuf damit ein unvergleichliches Klangerlebnis, das erschreckender als jedes andere mir bekannte Beispiel blanke Panik und Todesfurcht in Hörereignisse kleidet.

Quelle: https://www.fr.de/politik/hiroshima-nagasaki-atomwaffen-terror-franz-alt-essay-91713525.html)

Dabei unterscheiden sich Pendereckis Stilelemente im Kern kaum von denen anderer Avantgardisten. Melodie sucht man vergebens, auch eine strukturierte Rhythmik fehlt. Stattdessen stechen Cluster, mikrotonale Verschiebungen, Glissandi und regelmäßig aufgefächerte Klangspektren hervor. Das Werk vermittelt Bedrohung sowie Erschaudern. Alleine der Beginn lässt einem die Nackenhaare aufstehen. Und durch geschickt angewandte Kompositionselemente gelingt Penderecki auch eine gewisse Abwechslung, bevor sich das Gehör zu sehr an einen Klang gewöhnt hat. Es setzt also nie Langeweile ein. Und das trotz der Beschränkung auf Streicher, wodurch naturgemäß nur ein eingeschränkter Klangspielraum verfügbar ist.

Die Widmung aber macht den entscheidenden Unterschied. Ohne sie wäre dieses Werk nur eine stellenweise schizophren, stellenweise furchterregend klingende Studie für Streichorchester. Und in diesem Fall würde es sich nur marginal von den anderen vermurksten Klangexperimenten moderner Avantgardisten unterscheiden. Denn musikalische Erheiterung, gefestigte Formmuster oder einen roten Faden sucht man hier wie dort vergebens. Für mich ist Threnody daher auch eine Klangkomposition und keine Musik!

Atombombe-Hiroshima Quelle: https://www.bayernkurier.de/ausland/4678-mit-ein-zwei-gewaltigen-schlaegen-den-krieg-beenden/)

Durch die Widmung und den Kontext angereichert lassen sich auf dieses Stück jedoch Assoziationen anwenden, die auch bei sonst völlig unbedarften Zuhörern pures Entsetzen auslösen dürften. Plötzlich wird der schreckliche Einstiegsklang zum kollektiven Geschrei jener todgeweihten Einwohner Hiroshimas. Plötzlich werden die sich in Klangflächen aufteilenden Streicher zu Sirenengeheul. Plötzlich wird der dröhende Schlusston zum Aufschlagsmoment der Atombombe. Damit wir die emotionale Reaktion spezifisch und nicht mehr beliebig, sodass diesem Werk ein klarer Ausdruck gegeben ist. Oder aber mit anderen Worten: Dieses Stück lässt sich erst durch Wissen um den Titel verstehen und erfahren. Aber hören Sie selbst:

https://www.youtube.com/watch?v=HilGthRhwP8

Video auf YouTube.com ansehen

Dass dies hier im Gegensatz zu vielen anderen avantgardistischen Kompositionen gelingt, ist ein Auszeichnungsmerkmal von Pendereckis Werk. Es demonstriert, dass jede Kompositionstechnik einen Ausdruck einfangen und wiedererkennbar ausdrücken kann. Und darüber hinaus wird klar: Der Ausdruck von Schizophrenie und Chaos in Musik muss nicht zwangsläufig etwas Abwertendes sein. Es kommt auf die Anwendung und den Kontext an. Und stimmt die daraus entstehende Gesamtmischung, kann selbst aus grässlichen Höreindrücken immer noch ein wertvolles Erlebnis werden. Ich jedenfalls würde mich freuen, dieses Werk einmal live fernab elitärer Clubs hören zu können. Vielleicht würde das Erlebnis alleine bereits der ein oder anderen Person helfen, sich endlich von Krieg und Gewalt abzuwenden. In unserer heutigen Zeit erscheint das dringend nötig.

Daniel Janz, 26. März 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Daniel Janz, Jahrgang 1987, Autor, Musikkritiker, Komponist, Stipendiat, studiert Musikwissenschaft im Master:
Orchestermusik war schon früh wichtig für den Sohn eines Berliner Organisten und einer niederländischen Pianistin. Trotz Klavierunterricht inklusive Eigenkompositionen entschied er sich zunächst für ein Studium der Nanotechnologie, später Chemie, bis es ihn schließlich zur Musikwissenschaft zog. Begleitet von privatem Kompositionsunterricht schrieb er 2020 seinen Bachelor über Heldenfiguren bei Richard Strauss. Seitdem forscht er zur Verbindung von Musik und Emotionen und setzt sich als Studienganggutachter aktiv für Lehrangebot und -qualität ein. Seine erste Musikkritik verfasste er 2017 für klassik-begeistert. 2020 erregte er zusätzliches Aufsehen durch seine Kolumne „Daniels Anti-Klassiker“. Mit Fokus auf den Raum Köln/Düsseldorf kann er inzwischen auch auf musikjournalistische Arbeit in Österreich, Russland und den Niederlanden sowie Studienarbeiten und Orchesteraufenthalte in Belgien zurückblicken. Seinen Vorbildern Strauss und Mahler folgend geht er der Frage nach, wann Musik ihre angestrebte Wirkung und einen klaren Ausdruck erzielt.

Alle zwei Wochen: „Daniels vergessene Klassiker

Daniels vergessene Klassiker Nr 16: Dmitri Schostakowitsch – Violinkonzert Nr. 2 (1967)

Daniels vergessene Klassiker Nr 15: Dame Ethel Smyth – Serenade in D (1889 – 1890) klassik-begeistert.de, 26. Februar 2023

Daniels vergessene Klassiker Nr 14: Heitor Villa-Lobos – Sinfonie Nr. 4 „Der Sieg“ klassik-begeistert.de, 12. Februar 2023

5 Gedanken zu „Daniels vergessene Klassiker Nr 17: Krzysztof Penderecki – Threnody (1961)
klasyki-begeistert.de, 26. März 2023“

  1. Wow, was für ein bösartiger Text. Der einfach mal die gesamte schöpferische Arbeit und kreative Vielfalt (!) der klassischen Avantgarde des 20. und 21. Jahrhunderts diskreditiert, solang sie dem Autor nicht genehm ist. Wie ignorant kann man eigentlich sein? Und das „Lustigste“ daran:
    „Die Widmung aber macht den entscheidenden Unterschied. Ohne sie wäre dieses Werk nur eine stellenweise schizophren, stellenweise furchterregend klingende Studie für Streichorchester. Und in diesem Fall würde es sich nur marginal von den anderen vermurksten Klangexperimenten moderner Avantgardisten unterscheiden.“
    Lieber Daniel, Pendereckis „Threnody“ ist aber ursprünglich genau das gewesen: Eine Studie für Streichorchester. Mit dem nichtssagenden Titel „8’37“. Der Titel „Threnody“ & die Widmung kamen erst nachträglich. Du hättest nur einmal googlen müssen. https://en.wikipedia.org/wiki/Threnody_to_the_Victims_of_Hiroshima
    Aber wer will sich schon mit Recherche abmühen, wenn er einfach populistisch pöbeln kann. Und Penderecki ist auch kein „vergessener Klassiker“. (Schließt sich das nicht gegenseitig aus?) Penderecki ist einer der berühmtesten, bekanntesten, meistgespielten Avantgarde-Komponisten. Was soll dieser Text? Was soll diese Ignoranz? Und wie unfassbar (aber)witzig & traurig zugleich: Ein simpler, griffiger Titel reicht aus, und plötzlich sagt dir diese Musik was – genau diese Musik, die du, unter anderem Titel, en gros abkanzelst und (vor)verurteilst. Was sagt das über dein Musikverständnis, wenn du so abhängig bist von Worten und keine Ohren hast für das, was die Musik selbst dir alles sagen könnte, wenn du nur einfach mal deine Vorurteile überwinden würdest.
    „Es demonstriert, dass jede Kompositionstechnik einen Ausdruck einfangen und wiedererkennbar ausdrücken kann.“ Für sich genommen ein guter Satz. Probier ihn doch selber mal aus. 🙂
    Gratulation zur Selbstdemontage.

    Aiko

    1. Werter Aiko,

      eigentlich ist Ihr widerlicher und beleidigender Kommentar die Zeit gar nicht wert, sich damit auseinanderzusetzen. Dennoch erlaube ich mir, Ihrer „Kritik“ mit ein paar Fakten zu begegnen:

      Dass „Threnody“ eine Widmung besitzt beweist doch nur, dass Penderecki sich des Ausdrucksspielraumes seiner Komposition bewusst war und es für notwendig hielt, diesen Ausdruck in eine Richtung zu weisen. Es hätte den Titel nicht gebraucht, wenn das Stück selbsterklärend gewesen wäre. Hier kommt aber eine fundamentale Eigenschaft der Musik zum Tragen, die bereits andere große Komponisten, am bekanntesten wohl Strawinsky, festgestellt haben. Nämlich, dass der Ausdruck von Musik „unspezifisch“ ist. Dass heißt in der Konsequenz, Penderecki hat durch die Neubenennung nicht nur absolut richtig, sondern auch konsequent gehandelt. Als „8’37“ wäre dieses Werk, genauso wie ich es geschrieben habe, eine Studie für Streichorchester geblieben und damit viel weniger ausdrucksstark, wegen des ihm innewohnenden chaotischen und grässlichen Klangs. Womöglich wäre es in der Form sogar ein Fall für meine Anti-Klassiker ( https://klassik-begeistert.de/category/klassikwelten/daniels-anti-klassiker/ ) gewesen, auch wenn ich mich im Rahmen von Schönberg und Stockhausen ja schon ausgiebig mit solchen Ansätzen beschäftigt habe. Was trägt der ursprüngliche Titel „8’37“ also zum Werk bei? Oder zum Ausdruck? Oder zur Geschichte? Gar nichts, er entwertet das Werk sogar eher. Und in dieser Kolumne geht es darum darzulegen, warum ein Werk so großartig ist, dass es häufiger aufgeführt werden sollte. Nicht, einen kompletten historischen Abriss zu leisten. Dementsprechend ist es notwendig zu wissen, welche Informationen man vermittelt und welche man ausspart.

      Kommen wir damit zu Ihrem nächsten Punkt und ich bin überrascht, dass ich das einem intellektuell gebildeten Menschen noch einmal erklären muss. Aber diese Kolumne über vergessene Klassiker behandelt sowohl jene Stücke, die gänzlich vergessen sind, als auch jene, die schmählich unterrepräsentiert sind. Penderecki ist nicht vergessen – noch nicht, er ist ja erst kürzlich verstorben. Aber seine Musik ist im Konzertbetrieb völlig unterrepräsentiert – genauso, wie ich es im Beitrag geschrieben habe. Ich habe keinen Überblick über die ganze Welt, aber was Europa betrifft, habe ich ein relativ gutes Bild. Anhand meines eigenen Einsatzgebietes möchte ich Ihnen gerne illustrieren, was ich meine: Wenn ich in der Philharmonie Köln im Online-Programm den Namen Penderecki suche, gibt es genau 2 Treffer, aus dem Jahre 2019. Die Philharmonie Köln bietet pro Tag mindestens ein Konzert an, häufiger sogar mehr. Damit stehen diesen 2 Treffern seit 2019 mindestens 1800 Konzerte gegenüber. In Düsseldorf sieht es sogar noch kläglicher aus, da gibt es 1 Treffer seit die Website aufgestellt wurde. Gleiches Spiel mit Duisburg (2 Treffer aus 2016), Essen, wo er sogar dozierte (1 Konzert seit 2016 aber immerhin noch 6 weitere Erwähnungen), Wuppertal, Bonn, Aachen usw.. Vergleichen Sie das mal mit Bach, Mozart, Beethoven – Sie werden staunen. Wenn Penderecki also nicht unterrepräsentiert ist, dann weiß ich auch nicht mehr!

      Zu Guter letzt bemängeln Sie mein Musikverständnis. Nun, das mag Sie in Ihrer „die Musik kann selbst alles aussagen“-Ideologie womöglich überraschen. Aber Musik folgt gewissen Naturgesetzmäßigkeiten, die auf Basis unserer Hörphysiologie zustande kommen. Da ist zum Einen die Tendenz, der Renshaw-Hemmung (googlen Sie mal danach, das können Sie ja gut), ein neurowissenschaftlich bewiesenes Prinzip, das im Grunde aussagt, dass ein Reiz immer unsignifikanter wird, je häufiger er wiederholt wird. Bezogen auf die Wahrnehmung bedeutet das: Je gleicher und länger anhaltend ein Höreindruck ist, desto weniger bedeutsam und damit eindrucksvoll wird er wahrgenommen. Es hat einen Grund, warum Schönbergs erste Zwölftonmusiken allesamt nur wenige Minuten lang waren. Dasselbe gilt für viele andere Werke der Neuen Musik. Denn dadurch, dass sie dem Ohr fast nie zueinander abgrenzbare Strukturen mitliefern, werden diese Kompositionen immer als Klangbrei und damit als unspezifisch wahrgenommen – je länger sie andauern, desto eintöniger wird daher der Eindruck im Gehirn verarbeitet. Unser Wahrnemungsapparat ist darauf ausgelegt, gleichbleibende Eindrücke als insignifikant unterzuordnen und andere Reize als potenziell wichtiger überzuordnen. Es ist ein fundamentaler Fehler der Neuen Musik, sich gegen diese biologischen Grundlagen zu stellen. Die Ansicht also, die Musik selbst würde bereits alles sagen, ist in dem Moment widerlegt, wo die Musik keiner hörbaren Form mehr folgt (das Problem finden wir ja bereits bei Schönbergs Musik, die zwar eine kompositorisch sogar sehr konservative Form aber keine intuitiv hörbare Form mehr hat).

      Bevor Sie also noch einmal den Besserwisser rauszuhängen versuchen, legen Sie Ihren Ausführungen vielleicht einmal ein paar Fakten zu Füßen. Dann kann man Sie auch Ernst nehmen. So aber bestätigen Sie nur einmal mehr alle Klischees und Vorurteile im Bezug auf „Neue Musik“. Wahrscheinlich müsste ich Ihnen dafür sogar danken, leider ist mir dabei aber eher zum Weinen zumute. Denn dadurch diskreditieren Sie nicht nur ein (zurecht) völlig irrelevantes Nischengenre der Klassischen Musik. Sondern dadurch, dass Sie Orchestermusik als Ganzes vor Ihren ideologischen Karren (frei nach dem Motto: „Wer’s nicht versteht, der ist zu dumm/zu ignorant/zu verblendet“) spannen und alles, was dies kritisiert, als unwürdig und wertlos beleidigen, zerstören Sie auch noch jegliches Interesse daran. Kein Wunder, dass sich kein neues Publikum für Orchestermusik finden lässt, wenn jedes Mal nur solche Debatten vom Zaun getreten werden.
      Anstatt mir also Dummheit und Verblendung vorzuwerfen, wäre es vielleicht einmal an der Zeit, die eigene Ideologie zu hinterfragen? Musik ist nämlich mehr, als nur Geräusche aneinanderzureihen.

      Daniel Janz

  2. Werter Daniel,
    Ihr Einstieg in den Artikel lautet:
    „Neue Musik – jenes Nischengenre der Klassischen Orchestermusik, das sich mehr schlecht als recht über die Erschließung neuer Klangphänomene zu ergründen versucht. Trotz hochtrabender Konzepte verstricken sich Komponisten dieses Genres in erdrückender Mehrzahl ihrer Experimente in wirren Geräuschkonstrukten. Allzu oft bleiben dabei das sinnliche Erlebnis und ein nachvollziehbarer Ausdruck auf der Strecke. Ergriffenheit, Gefühl, Leidenschaft, Humor? Fehlanzeige.“ In Ihrer Replik schreiben Sie: „ein (zurecht) völlig irrelevantes Nischengenre der Klassischen Musik.“
    Und Sie werfen mir vor, „widerlich“ zu sein, sowie dass ich „jegliches Interesse daran“ „zerstöre“? Merken Sie eigentlich was Sie da schreiben? Sie selbst sprechen rundheraus allem der Rubrik „Neue Musik“ positive Eigenschaften ab. Sie selbst werfen mit Vorurteilen um sich, ohne auch nur die kleinste Differenzierung, ohne auch nur einen Hauch von Andeutung, wie gigantisch vielfältig dieses ach so kleine „Nischengenre“ ist, wie unüberschaubar die Stile und Ästhetiken rund um den Globus und wie viele erfolgreiche Komponist*innen es gibt. Und wieviel unfassbar schöne, berührende, spannenende, spaßmachende moderne klassische Musik es gibt. Und wie Sie selbst sagen, gilt Ihnen „Threnody“ ausschließlich aufgrund seines Titels und der Widmung als Ausnahme. Sie haben diesen Artikel auch auf Facebook gepostet, wo er viel auch internationalen Gegenwind bekam. Dort wurden Sie gefragt: „Had this work’s name remained as 8’37“, would you still enjoy it?“ Und Sie antworteten: „simple answer: Not as much as I do with the newer title.“ Sie geben also offen zu, dass Sie diese Ausnahme aus ihrer umfassenden Verdammung nur machen, weil es hier einen (nachträglich!) hinzugefügten plakativen Titel gibt. Die Musik selbst hätte Ihnen ohne diesen Titel nichts gesagt. Wie traurig ist das bitte? Als würde Musik nur durch solche Äußerlichkeiten sprechen können. Wie kommen Sie denn da mit Beethovens Fünfter klar? Wie mit Haydns Streichquartetten, wie mit Mahlers Entscheidung, die Programmatik seiner 3. Sinfonie nicht öffentlich machen zu wollen? Muss Ihnen der vielfältige und eigentlich individuell im Hörer entstehende Assoziationspielraum und „Sinn“ von Musik immer erst vorgekaut werden? Trauen Sie Musik keine eigene Ausdruckskraft zu, egal wie individuell sich diese bei den verschiedenen Hörern äußern kann? Trauen Sie Ihren Lesern nicht zu, dass diese auch ohne Programmatik Gewinn und eigenes Verständnis ziehen können? Und dann kommen Sie ernsthaft mit biologistischen Erklärungsversuchen für Ihre pauschale Abwertung? „Renshaw-Hemmung (googlen Sie mal danach, das können Sie ja gut), ein neurowissenschaftlich bewiesenes Prinzip, das im Grunde aussagt, dass ein Reiz immer unsignifikanter wird, je häufiger er wiederholt wird.“ Seltsam, nach dieser Logik müssten wir von den ewigen Kadenzen und Dreiklängen der europäischen Musikgeschichte ja längst zu Tode gelangweilt sein, und erst vom engen aktiv gespielten Repertoire! Von Ihrer Eurozentristik ganz zu schweigen: Als ob es hier universelle Konstanten gäbe. Selbst etwas so Grundlegendes wie die Idee der Oktave ist wissenschaftlich nicht eindeutig als universell nachweisbar, von anderen Intervallen oder musikalischen Strukturen wollen wir gar nicht erst anfangen. Sie schreiben: „Aber Musik folgt gewissen Naturgesetzmäßigkeiten, die auf Basis unserer Hörphysiologie zustande kommen.“ Wenn Sie das ernst nähmen, müssten Sie die heutige, grad mal um die 150 Jahre alte Praxis der gleichschwebend temperierten Stimmung hinterfragen, die völlig irrationale Intervallbeziehungen hervorbringt, und sich für eine Rückkehr zur reinen Stimmung entsprechen der Naturtonreihe stark machen, wie sie in der Antike präferiert wurde. Was sagt Ihre Argumentation eigentlich zu indischen, subsaharischen oder südostasiatischen Musikkulturen, die noch nie was von der Sonatenhauptsatzform oder romantischer „Durch Nacht zum Licht“-Dramaturgie gehört haben? Komischerweise sind Minimal Music oder House & Techno extrem beliebt, und in der Popularmusik gibt es zigtausend Subgenres, die sich verschiedenste Arten von Noise, sprich Geräuschen zunutze machen und von ihren Fans geliebt werden. Manche behaupten sogar, im Rap käme eigentlich gar keine „richtige“ Musik vor, trotzdem ist die Fangemeinde gigantisch. Und dann diese Aussage: „Es hat einen Grund, warum Schönbergs erste Zwölftonmusiken allesamt nur wenige Minuten lang waren.“ Natürlich hat es den, er war auf der Suche nach eben jenen neuen Organisationsprinzipien, die sie rundheraus leugnen. Und wissen Sie was? Er hat sie gefunden! Und mit und nach ihm fanden zahllose andere Komponist*innen zahllose andere: Heutzutage gibt es eine wundervolle Mannigfaltigkeit an Ideen, Musik zu strukturieren und zu gestalten, und zahllose ästhetische Positionen, in die man sich eindenken und neue Blick- bzw. Hörwinkel einnehmen kann. Aber statt diesen fantastischen verschlungenen Irrgarten zu erkunden und seine vielleicht überraschenden, manchmal unvermuteten Schönheiten zu entdecken – sie Ihren Lesern empathisch nahezubringen! – entscheiden Sie sich für einen Text, der blind und taub einfach alles niedermacht, was nicht einen griffigen Titel hat oder altbekannte Hörgewohnheiten bedient. Natürlich ist es begrüßenswert, dass Sie Pendereckis „Threnody“ besprechen. Aber wieso auf eine solch schauerliche Art und Weise, die dabei mehr kaputt macht, als sie gewinnt? Und dann begreifen Sie nicht einmal, was Sie hier eigentlich anrichten. Als Schlusspointe Ihrer Replik setzen Sie ernsthaft: „Musik ist nämlich mehr, als nur Geräusche aneinanderzureihen.“ Als hätte ich das irgendwo behauptet. Als würde sich die musikalische Moderne im Aneinanderreihen von Geräuschen erschöpfen. (Und als wäre nicht längst erfolgreich bewiesen, dass man tatsächlich sogar aus dem Aneinanderreihen von Geräuschen gute, emotional berührende Musik schaffen könnte.) Das ist schon irgendwie eine ignorante, geradezu boshafte Unterstellung, meinen Sie nicht? Jetzt überlegen Sie doch bitte nochmal, wer hier seine Ideologie hinterfragen sollte.

    Aiko

    1. Lieber Aiko,

      das ist jetzt das letzte Pamphlet, das ich von Ihnen als Kommentar bringe.
      Wenn Sie weiter schreiben wollen, werden Sie bitte Autor bei kb.

      Herzlich

      Andreas Schmidt

    2. Werter Aiko,

      nachdem ich im Konzertbetrieb hunderte Konzerte miterlebt und in vielen auch zeitgenössische Musik gehört habe, bilde ich mir ein, schon einen gewissen Überblick zu haben. Wenn ich so etwas also schreibe, kommt es nicht aus einer grundsätzlichen Ablehnung einem Genre gegenüber, sondern aus Hörerfahrung und Konfrontation mit dem Thema. Das Recht, auf Basis eigener Erfahrungen zu entscheiden, hat glücklicherweise jeder! Dazu gehört auch, dass Menschen Dinge nicht leiden können, die man selbst vergöttert. Wenn das für Sie Ignoranz ist – bitteschön.

      Musik, die alles ausdrücken kann, gibt sich der Beliebigkeit preis. Das ist kein Qualitätsmerkmal, sondern – wie ich es auch schon in meinen Anti-Klassikern geschrieben habe – ein Makel. Kann ein Komponist sich also auf nichts anderes berufen, als auf die Assoziationen seines Publikums, um seiner Musik einen Wert zu verleihen, dann hat die Musik ihre Aufgabe versagt. Chaos kann jeder, die Kunst ist, es zu ordnen und daraus ein stimmiges Musikbild zu zeichnen. Die von Ihnen genannten Komponisten – Beethoven, Haydn, Mahler – hatten ja auch stets einen Ausdruck verfolgt (und in vielen Fällen meisterlich umgesetzt). Wer seine Musik also in derselben Liga sehen will, der muss sich mit diesen Fähigkeiten, einen Ausdruck zu präzisieren, obwohl Musik selbst unspezifisch ist, messen lassen.

      Aber machen wir es doch umgekehrt: Zeigen Sie mir Stücke Neuer Musik, die die Auseinandersetzung wirklich lohnen, weil sie nicht Chaos, sondern einen spezifischen Ausdruck vermitteln. Dann lassen Sie Ihren Worten Taten folgen, anstatt Menschen mit anderer Meinung zu denunzieren.

      Schön übrigens, dass Sie mir auf Facebook folgen. Sie müssen ja riesengroßer Fan sein. Auch wenn Sie sich nur auf das Negative beschränken und vergessen zu erwähnen, wie viel positive Resonanz dieser Artikel bereits erhalten hat. In der Tat ist er bisher einer meiner erfolgreichsten. Ich scheine also nicht der einzige zu sein, der so empfindet.

      Daniel Janz

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