Foto: 2022 Füchslein – A. Brower, E. Tsallagova – © W. Hösl
Bayerische Staatsoper, Samstag, 16. Juli 2022
Nationaltheater München
DAS SCHLAUE FÜCHSLEIN (PŘÍHODY LIŠKY BYSTROUŠKY)
Oper in drei Akten von Leoš Janáček (1924)
Text vom Komponisten nach Rudolf Těsnohlídeks Novelle „Die Abenteuer der schlauen Füchsin“.
In tschechischer Sprache. Mit Übertiteln in deutscher und englischer Sprache. Neuproduktion.
von Andreas Schmidt (Text und Fotos)
Auch mit dieser Ausnahmeproduktion, dem „Schlauen Füchslein“ von Leoš Janáček, hat die Bayerische Staatsoper in München bewiesen, dass sie mit Abstand das beste und inspirierendste Opernhaus in Deutschland ist. Zwar geben sich an der Wiener Staatsoper (noch) mehr Weltstars die Hände, aber was der australische Regisseur Barrie Kosky hier an Erhabenheit, Vollkommenheit und Finesse kreiert hat, hat das Haus am Ring noch nicht gesehen.
Dieser Opernabend ist von den Lichteffekten, von den Farben und Formen, berauschend, berührend und bewegend. Da ist immer Leben auf der Bühne, nichts ist statisch, der Zuschauer klebt in seinem Sessel.
Werter Herr Kosky, Sie sind ein Genius. Sie übertreffen sich immer wieder. Das Füchslein lässt uns in eine Traumwelt gleiten, aber Sie schaffen es immer wieder, uns in die Realität zurückzuholen.
Dazu kommen zwei Weltklassestimmen, die man in diesem „Duett“ nicht häufig hören kann in den Opernhäusern dieser Welt. Die Füchsin Elena Tsallagova singt an diesem Abend mit einer Leidenschaft, Devotion und Präzision, die den Zuhörer nicht eine Sekunde abschweifen lässt. Die Sopranistin kommt aus Wladikawkas / Russland. Ihre Stimmengewalt macht den Zuhörer im piano wie im fortissimo sprachlos und glücklich. Ihre Stimme beseelt.
Der Fuchs ist die US-Amerikanerin Angela Brower. Mein Lieber-Herr-Gesangsverein hat diese 39-Jährige aus Phoenix / Arizona eine klare Tongebung, ein ergreifendes Timbre und eine Präsenz von der ersten bis zur letzten Sekunde. Das Publikum sah die Russin einen Tick weit vorne, ich möchte mich nicht festlegen und genoss die Damen als „Gesamtkunstwerk“.
Der Förster Wolfgang Koch ist in München Publikumsliebling. Er bekommt den zweitstärksten Applaus. Mich überzeugt er an diesem Abend nicht. In der Höhe ist er zu dünn, bisweilen unsicher. Seine Kernkompetenz als dramatischer Bariton liegt im tieferen Register, aber auch da fehlt der Stimme bisweilen der richtige Wumms.
Das Beste: Rund 2000 Menschen erleben an diesem Sommerabend eine „OPER FÜR ALLE“ auf dem Max-Joseph-Platz. Umsonst! Intendant Serge Dorny führt mit feinen Worten in den Abend ein. Das ist toll! Die Stimmung unter den größtenteils jungen Leuten ist blendend. Oper, ein laues Lüftchen und ein bayerisches Bierchen oder ein Glas Wein als Stimmungsgeber…
Der Staatsintendant der Bayerischen Staatsoper, Serge Dorny, stellte sich vor der Open-Air-Night den Fragen der Moderatorin Nina Eichinger.
Nina Eichinger und Serge Dorny auf dem Roten Teppich des Nationaltheaters in München.
Die Opern-Crew zeigt sich nach der grandiosen Darbietung den Menschen auf dem Max-Joseph-Platz.
Weniger toll hingegen ist eine „Sonderveröffentlichung“ einer liberalen Zeitung mit Bundesrang, die nur so an offener Werbung für einen bayerischen Automobilhersteller strotzt. Sicherlich war es auch nicht nötig, so ein silberfarbenes Vierrad mit Elektromotor direkt neben die Außenleinwand zu stellen. Und dass Herr Dorny dem Autobauer im Nationaltheater vor der Aufführung „dankt“, ist in deutschen Opernhäusern unüblich.
So geht moderne PR nicht.
Schon gar nicht, wenn ein weibliches Vorstandsmitglied des Autobauers in der „Sonderveröffentlichung“ diese Frage beantwortet: „Ihr Sitznachbar hat Chips mitgebracht, was drohen Sie ihm an, wenn er Ihre Lieblingsarie-/-passage verknuspert?“
Ich erspare Ihnen die Antwort. Sehr schwer vorstellbar, dass diese Vorstands-Dame die Oper mit den Massen draußen verfolgt hat.
Allein, andere deutsche Opernhäuser haben auch weniger Erfolg. In München ist die Spendenbereitschaft für die Bayerische Staatsoper enorm. Davon zeugen illustre Spendentafeln im Nationaltheater. Da können Hamburg und Berlin nur von träumen.
Lesen Sie bitte auch den Beitrag von klassik-begeistert.de-Autorin
Barbara Hauter zum „Schlauen Füchslein“ (7. Februar 2022)
Der Sinn des Lebens liegt im Werden und Vergehen, im Erleben des Hier und Jetzt. Diese plakative Antwort gibt die Münchner Neuinszenierung von Janáčeks „Das schlaue Füchslein“ auf die gewaltige Frage unseres Daseins. In einem prächtigen, mystischen Wald aus überdimensionalem Lametta krachen die Sphären von Mensch und Tier aufeinander, existieren nebeneinander, berühren sich und erklären sich gegenseitig. Die Menschen, der Förster und seine Frau, der Schulmeister, der Pfarrer, ganz in schwarz gekleidet, sind durchweg deprimiert, verzweifelt, erstarrt, haltlos. Die glitzernde Lamettastränge wirken für sie wie Gefängnisstäbe. Die Tiere dagegen, bunt gewandet, bewegen sich leichtfüßig, gelöst und heiter durch das schillernde Dickicht. Es ist ihre Welt. Dabei ist diese Welt nicht durchtränkt von süßlicher Naturromantik. Putzig geht es nicht zu im Füchslein, auch wenn die Verniedlichung im deutschen Titel das scheinbar nahelegt. Es wird getötet und gestorben.
Die Geschichte ist auf einer ersten äußeren Ebene sehr simpel: Eine Füchsin wird vom Jäger gefangen, entkommt, nährt sich, in dem sie Hühner reißt, paart sich mit einem Fuchs, zieht eine Schar kleiner Füchse groß, wird erschossen und endet als Muff. Doch das Rad des Lebens dreht sich weiter. Ihre Tochter hat schon ihren Platz eingenommen und tanzt durch den Wald. Regisseur Barrie Kosky und der kongeniale Michael Levine (Bühne) verzichten gänzlich auf eine naturtümmelnde Ausstattung. Keine Tiermasken, Felle oder Pfoten, kein tierisches Schnuppern oder Anschleichen. Keine Bäume oder Fuchsbauten. Es geht um die Essenz der Natur, das So-Sein in einer fantastisch-überhöhten Szenerie. Einziger Nachteil dieses Geniestreichs: Als Zuschauer hat man es nicht so leicht, die jeweiligen Tiere zu identifizieren.
Dafür funktioniert eines um so besser: In einer tieferen Ebene wird die Abgetrennheit des Menschen von der Natur und den Abläufen des Lebens sichtbar. Der Mensch ist ein mit sich selbst Hadernder, mit dem Herzen in der Vergangenheit hängend oder mit dem Kopf die Zukunft planend. Aber nie wie die Tiere im Hier und Jetzt gegenwärtig. Hell und kraftvoll erklingen daher auch die Stimmen der Natur, fast durchgängig Sopran oder Kinderstimmen. Den menschlichen Protagonisten bleibt nur die Bewunderung für diese urtümliche Kraft, ein Sehnen nach einer Verbindung, die der Förster sucht, indem er die Füchsin fängt und sie immer wieder an sich binden will.
Der tschechische Komponist Leoš Janáček (1854 – 1928) galt als Misanthrop. Er liebte die üppige Natur seiner mährischen Heimat, mied dagegen den Menschen. Er sammelte Volkslieder und verarbeitete sie ebenso wie die Laute von Tier und Wald in seine Werke. Vor allem aber beobachtete er die Sprachmelodie seines Heimatidioms und komponierte ganz exakt auf die Vokale und Konsonanten. Damit wurde er zu einem Erneuerer der europäischen Musik und zu einem der größten Opernkomponisten überhaupt. Genau diese Exaktheit macht die Aufführung so schwierig: Die deutsche Übersetzung von Max Brod kann dieses kompositorische Folgen der Sprachmelodie nur unzureichend nachbilden. Im Tschechischen fühlen sich aber wiederum die wenigsten Sänger sicher. Die tschechisch-sprachige Aufführung der Münchner ist daher eine sängerische Leistung.
Die Bayerische Staatsoper hat mit dem Füchslein ein Meisterwerk geschaffen, das von dem anmutigen, feinfühligen präzisen Dirigat von Robert Jindra bestens präsentiert wird. Facettenreich und stimmungsvoll führt sie das Bayerische Staatsorchester so raffiniert, dass die Stimmen der Sänger noch brillanter wirken. Elena Tsallagova als Füchslein Schlaukopf lässt ihren wandelbaren Sopran mal kraftvoll laufen, mal nimmt sie ihn sanft zurück. Ihr Konterpart, Wolfgang Koch, als Förster, steht dieser Leistung in nichts nach: zerrissen zwischen Trauer, Sehnsucht und Bewunderung schillert sein Bariton in dunklen Farben. Erwähnenswert auch die Kinderdarsteller: Gut gemacht. Wer weiß, vielleicht stehen sie ja in zehn Jahren in einer Hauptrolle auf der Bühne.
Andreas Schmidt, 16. Juli 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Das schlaue Füchslein von Leoš Janáček Bayerische Staatsoper, München, 30. Januar 2022
Leoš Janáček, Das schlaue Füchslein, Elbphilharmonie, 23. November 2021
Leoš Janáček, Das schlaue Füchslein, Welsh National Opera, 5. Oktober 2019
Production | |
Set Design | |
Costume Design | |
Lighting | |
Choruses | |
Dramaturgy | |
Conductor |
Förster | |
Die Frau Försterin | |
Der Schulmeister | |
Der Pfarrer | |
Haraschta | |
Pasek | |
Füchslein Schlaukopf | |
Frau Pasek | |
Fuchs | |
Dackel | |
Hahn | |
Schopfhenne | |
Specht | |
Mücke | |
Dachs | |
Eule | |
Häher | |
Junge Füchse |
Lieber Andreas!
Danke für Deinen schönen Artikel über „Das schlaue Füchslein“! Als ich diese Oper zum ersten Mal (im Linzer Landestheater) sah, da war ich wieder Single und hatte noch keine Familie. Da stimmte mich das Stück traurig. Aber auch heute finde ich dieses Werk elegisch, da ich des Komponisten (pantheistische?) Weltanschauung nicht teile.
Lothar Schweitzer
Aber die Musik, lieber Lothar, diese köstliche Musik…
Und diese berauschende Inszenierung…
Was zählt da die „Weltanschauung“…
Herzlich
Andreas Schmidt
Herausgeber
Weltanschauung, lieber Andreas, ist etwas Umfassendes. Aber als „absolute“ Musik genommen, da stimme ich Dir von Herzen zu!
Lothar Schweitzer