Schlussapplaus Gabriela Scherer © PK
Na also, geht doch: Auch die Dammtorstraße kann Wagner-Stimmung! Ein bärenstarkes Gesangsensemble um Michael Volles schmetternde Titelpartie bringt diesen Hammer-Holländer auf die Bühne, auch Michael Thalheimers packende Inszenierung setzt neue Maßstäbe in Sachen Holländer-Regie.
Der fliegende Holländer
Musik und Libretto von Richard Wagner
Staatsoper Hamburg, 12. Dezember 2023
von Johannes Karl Fischer
Es gibt Inszenierungen, die werden mit jeder Aufführung einfach immer besser. Michael Thalheimers abstrakte, von Seilen geflutete Holländer Inszenierung gehört absolut dazu. Schrieb ich bei der Premiere letztes Jahr noch von einem „beleuchteten Wald an durchsichtigen Gummi-Glasstangen“, so möchte ich diese Aussage jetzt Hals über Kopf von Bord werfen. Ja, das Bühnenbild bewegt sich zweieinhalb Stunden lang nicht von der Stelle. Aber inszeniert wird mit Regie und nicht mit museumswürdigen Gemälden!
Die „Hojohe“-Matrosenrufe zwischen stramm den Sturm gespannten Segelseilen. Eine geistig verlorene Senta wird zwischen Spinnfäden von dem Spinnerinnenchor gequält. Und der Holländer-Monolog erwacht zum Leben, wenn seine Matrosenmannschaft wie in einer apokalyptischen Friedhofszene aus der ew’gen Vernichtung aufsteigt. Ganz nebenbei inszeniert Thalheimer wahrscheinlich den ersten Erik, der tatsächlich in Senta verliebt ist… Diese hochspannende, schlicht beleuchtete Holländer-Inszenierung hat Charakter.
Von blutroten Segeln keine Spur, stattdessen packende Personenregie und Emotionen stürmisch wie die Fluten der ewigen Meere. Das ist der wahre Geist des Holländers, Michael Thalheimer hat’s verstanden!
Neben dieser genialen Regiearbeit war die musikalische Darbietung ein Highlight des Hamburger Opernjahres. Allen voran stand hier Michael Volle, der mit einer bärenstarken Bariton-Leistung die Titelpartei durch das Haus schmetterte. Herr Volle, schon im Frühjahr haben Sie hier mit Ihrem Eschenbach die Konkurrenz regelrecht deklassiert. Dieser Abend war noch eine Klasse stärker, noch ein Ticken mächtiger als selbst in Bayreuth. Sie haben diese Partei in die Hand genommen und regelrecht mit einer Hand erledigt, einen für Erlösung kämpfenden und passioniert verliebten Holländer gesungen. Der Wagner-Tabubruch namens Zwischenapplaus wäre überfällig gewesen…
Gabriela Scherer, Sopran-Neuling in der ersten Wagner-Liga, war eine mehr denn würdevolle Begleitung ihres geliebten Holländers. Startete ihre Senta-Ballade mit ein wenig übereifrigem Vibrato, so gewann ihre Stimme stets an Dramatik und Selbstsicherheit. Ihre Schlusszeile erreichte einen fesselnden Höhepunkt, der die Noten schier über Bord zu werfen scheint. Frau Scherer, wir freuen uns alle auf Ihr Bayreuth-Debüt!
Franz-Josef Selig brillierte mit gewohnt röhrendem, dunkel gefärbtem Bass als Sentas Vater, Daland. Für diese Partie schien er mir fast schon überbesetzt, als handlungstechnisch eher passiver Seemannskapitän hatte er seine Matrosen mit donnernder Stimme mehr als handfest im Griff. Eigentlich ein Wagner-Bass, wie er im Buch steht… Leider hatte er an ein paar prominenten Stellen spontane Textschwierigkeiten, die trotz lautstarkem Einsatz der Souffleuse nicht zu bereinigen waren. Anscheinend wollte ihn das Publikum dafür mit einem leicht zurückhaltenden Applaus abstrafen…
Fast genauso stimmstark sang Daniel Kluge die nun wirklich klein gehaltene Nebenrolle des Steuermanns. Wie eine sturzbetrunkener Matrose hopste er stimmungsvoll über die Bühne und schien dabei mächtig Spaß zu haben. Auch der für Michael Spyres eingesprungene Eric Cutler brillierte in der Rolle seines Namensgleichens, Erik und sang mit brennender Passion sehnsuchtsvoll um seine Verlobte, Senta. Tief schmerzhaft blickte auf die Aussicht, sie würde ihn für den kaum bekannten Seefahrer verlassen. Dabei hat sie das längst schon. Mindestens in Gedanken…
Und nun das Beste zuletzt: Im Graben der Hamburgischer Staatsoper herrschte wieder wahre Wagner-Stimmung! Das lag vor allem an Ádám Fischers grenzenlos begeisterndem Dirigat, der sich mit seinem Orchesterschiff furchtlos wie ein Siegfried in den stürmischen Fluten der Weltmeere austobte. Pfeifender Wind in den Flöten, rauschende Wellen in den Geigen, wie ein Pfeil ohne Rast, ohne Ruh’. Souverän dirigierte er stets der Bühne nach, ließ seinen SolistInnen allen Platz der Welt, um ihre melodischen Linien nach Herzenslust frei zu gestalten.
In allen Perspektiven um einige Klassen besser, packender, feuriger als Kent Naganos Premieren-Holländer vor gut einem Jahr…
Lieber Herr Delnon: Wären solche Abende wieder Regel statt Ausnahme an diesem Haus, würden sich die Ränge in der Dammtorstraße wieder füllen und die Hansestadt sich glatt in lebendige Opernszenenkonkurrenz mit Bayreuth und Berlin begeben! Vorschlag: Heuern Sie auch für die nächste Salome-, Elektra- oder – darf ich hoffen – Rosenkavalier-Produktion eine(n) kompetente(n) GastdirigentIn an. Ádám Fischer wäre eine erstklassige Wahl…
Johannes Karl Fischer, 14. Dezember 2023 für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Klein beleuchtet kurz 5: Der fliegende Holländer Staatsoper Hamburg, 10. Dezember 2023
Der Fliegende Holländer, Richard Wagner Hamburgische Staatsoper, 1. November 2022
Richard Wagner: „Der Fliegende Holländer“ Staatsoper Hamburg, 23. Oktober 2022 (Premiere)