Ich glaub, ich steh im Wald!

Carl Maria von Weber, Der Freischütz  Staatsoper Hamburg, Premiere am 17. November 2024

Carl Maria von Weber DER FREISCHÜTZ © Brinkhoff-Moegenburg

Der Freischütz
Romantische Oper in drei Aufzügen
Text von Johann Friedrich Kind
Musik von Carl Maria von Weber

Philharmonisches Staatsorchester Hamburg
musikalische Leitung   Yoel Gamzou

Inszenierung:  Andreas Kriegenburg
Bühne: Harald B. Thor, Kostüme:  Andrea Schraad

Staatsoper Hamburg, Premiere am 17. November 2024


von Harald Nicolas Stazol

Soviel Holz in der Hüttn war nie! Und dürfte es in der Hamburger Staatsoper selten gegeben haben, zur „Freischütz“-Premiere, der 10. Inszenierung am Haus seit dem 26. Dezember 1917, von der ersten Hamburger Aufführung 1822 ist wenig bekannt – nein, an Holz mangelt es Andreas Kriegenburg und seiner mit großer Spannung erwarteten Aufführung nicht, bzw. seinem bevorzugten Bühnenbildner Harald B. Thor.

Ist doch der hier so bedeutsame, und den Deutschen seit der Romantik so symbolträchtige Wald, bereits abgeholzt, und in riesigen, braunen und spektakulär hin und her gefahrenen Wänden aus recht gigantischen Holzquadern zusammengesetzt, es duftet bis in die Mitte des Parketts, aber wer nun Waldgrün und Tannen erwartet hat, wird nun enttäuscht werden, „Schrecklich, ganz schrecklich“ höre ich vor mir einen Naturalisten, nun denn, dem kann ich mich MITNICHTEN anschließen, ist das Ganze für ja GANZ neu, und dann gleich bei Kriegenburg zu landen, ist ja wohl ein Glücksfall?

„Sie kennen die Oper nicht, und sollen die Kritik darüberschreiben?“, fragt mich ziemlich entsetzt die elegante Endachtzigerin im rot-violetten Chanel-Kostüm links neben mir gerade, „Aber gnädige Frau, irgendwann muss man ja mal anfangen. Und ich lerne schnell!“ – „Nun, dann werde ich es Ihnen erklären, ich könnte jede Arie mitsingen!

Sie kommen nachher mit an den Tisch von meinen Freundinnen!“ Na Bravo, denke ich, noch ein Glücksfall, und sage „Aber gerne! Sind das alles Fans?“ „Aber selbstverständlich!“ Ganz so offenbar, wie der Herr zwei rechts von der anderen Seite, der vor Verzückung die ganze Zeit im Schoß mitdirigiert, alles Kenner, ein ganzer Premierensaal voll scheint’s, und gleich wird an meinem Patriotismus gezweifelt?

Carl Maria von Weber DER FREISCHÜTZ © Brinkhoff-Moegenburg

Denn dass dies hier eine Oper der Vaterlandsliebe ist, ist ganz im Sinne des Komponisten. Schon 1843 hieß es in einer Rezension: „Kinds und Webers Freischütz ist aber auch eine ächt deutsche Oper“. Ja, man kann in gewisser Hinsicht sagen, sie hat in sich selbst die erste in jeder Beziehung rein deutsche Nationaloper hingestellt. Die älteren Erscheinungen in den Gebieten der deutschen Oper (natürlich ist hier nur von den bedeutenden die Rede) hatten fast alle irgendetwas Fremdartiges, Nichtdeut­sches an sich, sei es in der Musik oder in den Büchern. […] Der Freischütz aber ist in Buch und Musik deutsch – nicht in dem Sinne, wie die Franzosen es meinen, wenn sie von der Allemagne vaporeuse, mystérieuse etc. sprechen, sondern in dem Sinne, den jeder ächte Deutsche lebendig und begeistert in der Brust trägt.

Carl Maria von Weber DER FREISCHÜTZ © Brinkhoff-Moegenburg

Ich mag ja vielleicht kein „ächter Deutscher“ sein (ob die ostpreußische Mutter den ungarischen Vater aufwiegt?), eher ein „Allemand vaporeuse“ und so werde ich gerade Carl-Maria-von-Weber-mäßig sowas von defloriert, im rotflammenden Scheinwerferlicht der Wolfsschlucht, dass mir ganz schwummerig wird.

Carl Maria von Weber DER FREISCHÜTZ © Brinkhoff-Moegenburg

Während der durchtriebene Caspar die Freikugeln gießt, auf einem Campinggaskocher darauf muss man erstmal kommen? Dramatisch emporgehoben beim „Eins-zwei-drei“ der Teufelskugeln, wie Majestix auf den Avernerschild, von einer Schar von schwarzgegelten, ziemlich kräftigen Dämonen im Anzug. Das alles mit dem Segen des Samiel, den Clemens Sienknecht nun wirklich schaurig-schön mit ebenso unheimlichen Worten und Gesten irgendwo zwischen Advocatus Diaboli und durchtriebenem Großaktionär anlegt. Wie passend, scheint sich doch ein Großteil des Publikums aus ihnen zusammenzusetzen, ebenso schwarz gewandet ihm wird später gesonderter Applaus gelten das Staatsorchester unter dem Baton des Yoel Gamzu bekommt ihn zu recht schon nach der waldgrünen Ouvertüre zu der Forstwirthandlung, die zu so etwas wie der deutschen Nationaloper geworden ist, mit einer dunkel-dräuenden Handlung, die auf einen Gerichtsfall von 1710 zurückgeht, der sich hier schreckensvoll bis in die Gegenwart gerettet hat, ins Unterbewusste der Deutschen: Der Vorwurf der Schwarzen Magie beim Kugelgießen im Böhmerwald, um besser zu schießen, um, in diesem Libretto, eine Frau heiraten zu dürfen also her mit dem Bühnenzauber!

Carl Maria von Weber DER FREISCHÜTZ © Brinkhoff-Moegenburg

Agathe heißt die Geliebte, schon der erste Publikumsliebling, Julia Kleiter, und Mann, kann die singen! Da reißt es einen schon hin und weg! Und wie verliebt sie ist, in ihren Jägersmann Max, dessen Timbre und Ausdruck ebenso stark – man merkt Maximilian Schnitt seine wiederum Hin- und Her-Gerissenheit förmlich an. Schießen muss er, treffen muss er, und so ist es interessant, dass der Regisseur das Stück als Parabel „auf die Leistungsgesellschaft“ sieht – vielleicht macht mir dieses, Maxens, Versagen den Abend so spannungsvoll und bedrückend einerseits, die Gier nach Erfolg verständlich und auch grausam andererseits – da kann eben nur die Liebe helfen.

Carl Maria von Weber DER FREISCHÜTZ © Brinkhoff-Moegenburg

Zweimal kommen die Brautmägde irre kichernd in ihren adretten, weißen, gefältelten Röckchen in die Szene, noch einmal höre ich „Schrecklich“ nun auch aus der Reihe vorher, diesem „Kritiker“ werde ich noch in die Garderobe nachjagen, und ihn nach seinen Gründen fragen, „Kaum auszuhalten“ wird er sagen, „völliger Fehlschlag, ich kann mir das nicht länger ansehen“, und ich finde ja auch nach den ersten 80 Minuten, dass man vielleicht etwas hätte kürzen können, bleibe aber neugierig auf Teil zwei.

Der andere Publikumsliebling ist zweifellos das Ännchen Alina Wunderlin, die ein ganz wunderbares komödiantisches Talent hat, ein wenig stottert, ansonsten ihre Verwandte Agathe immer wieder in bessere Laune versetzen will, da hat die schon dunkle Vorahnungen und böse Träume, hat sie doch der Eremit, hier stumm ganz am Anfang im Spotlight zur Ouvertüre, vor einem großen Unglück gewarnt.

Carl Maria von Weber DER FREISCHÜTZ © Brinkhoff-Moegenburg

Überhaupt, die Eröffnung, schon zur Entstehungszeit heftig debattiert, ich zitiere aus dem gut zusammengestellten Programmheft: „Über die Frage, welchem Zweck dieses Orchesterstück vor Beginn einer Oper dienen sollte, wur­den am Anfang des 19. Jahrhunderts teils heftige Diskussionen geführt.

Der Musikschriftsteller Gottfried Weber, mit Carl Maria befreundet, aber nicht ver­wandt, brachte es 1813 in einem Beitrag in der Allgemeinen Musikalischen Zeitung auf den Punkt: Sollte eine Ouvertüre die Handlung musikalisch wie in einem Zauberspiegelvorwegnehmen, sollte sie blos Introduction, nur auf die erste Scene des Stücks vorbereiten, oder sollte sie den Zuhörer im Allgemeinen in die­jenige Stimmung versetzen […], in welcher er für den Total­ Eindruck der ganzen Oper am empfänglichsten seyn wird?

Tja, mein „Total Eindruck“? Als halb-ächter Deutscher, in einer gerade scheiternden Leistungsgesellschaft, oder als ein an ihr Scheiternder? Zum dritten Publikumsliebling, des „Freischütz?“

Ich steh zwei Stunden lang im Wald.

Ganz erholsam jedenfalls, finden Sie nicht?

Harald Nicolas Stazol, 19. November 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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