„Glücklich macht uns Illusion“ – „Die Fledermaus“ flattert fröhlich in Lübeck

Die Fledermaus, Operette von Johann Strauß  Theater Lübeck, 28. Oktober 2022

Foto: © TL/Olaf Malzahn

Die Fledermaus
Operette von Johann Strauß  

Philharmonisches Orchester der Hansestadt Lübeck
Chor des Theaters Lübeck
Stefan Vladar, Dirigent

Michael Wallner, Inszenierung

Theater Lübeck, 28. Oktober 2022

von Dr. Andreas Ströbl

Darf man in diesen Zeiten Operetten aufführen? Darf man sich ohne schlechtes Gewissen amüsieren, in Wiener Walzerseligkeit schwelgen und über die Schwächen von harmlosen Trotteln und selbstgefälligen Machos lachen, während die Welt täglich mehr in Chaos und Gewalt versinkt?

Das Theater Lübeck hat sich gerade jetzt entschlossen, die Operette schlechthin, Johann Strauß’ „Fledermaus“ in einer Inszenierung von Michael Wallner auf den Spielplan zu setzen. Nach einer gefeierten Premiere am 14. Oktober 2022 gab es auch bei der zweiten Aufführung den ersten begeisterten Applaus gleich nach der Ouvertüre. Die ist in der Tat nicht zu unterschätzen, weil sie kompositorisch ausgesprochen anspruchsvoll ist, schließlich wechseln hier in rascher Folge Dynamik und Rhythmen, damit Stimmungen und musikalische Bilder.

Kein Problem für den Wiener Stefan Vladar, der mit dem Philharmonischen Orchester der Hansestadt Lübeck dieses oft auch separat gespielte Stück ebenso rasant wie geschmeidig hinlegt. Gleich zu Beginn wird klar, dass die Lübecker etwas souverän beherrschen, was viel schwieriger ist, als zu vermuten: die Leichtigkeit und den Humor eines Genres musikalisch zu vermitteln, das zu Unrecht von den Hohepriestern der opera seria als unseriöse kleine Schwester verunglimpft wird.

Die Lübecker „Fledermaus“ spielt im Bühnenbild von Heinz Hauser mit Skizzen, dem Unfertigen und Angedeuteten, was dem Primat der Leichtigkeit entspricht. Dem Reißbrett-Raster eines großen Vorhangentwurfs entspricht das Raster-Gitter, das das Gefängnis andeutet und das bereits zu Beginn als Projektion auf das Ende verweist. Hier wird viel mit Licht gearbeitet, farbig leuchtende Leisten und Scheinwerfer schaffen Stimmungen und Atmosphären.

Das Wasser im Schwimmbecken im Garten derer von Eisenstein wird durch längsgespannte Gummibänder in verschiedenen Blautönen illusioniert, zwischen denen die Eheleute einzeln und später der an der Dame des Hauses interessierte Gesangslehrer munter hin- und herschwimmen. Das alles ist ebenso unaufdringlich wie charmant spielerisch – man sieht, dass dies alles nur ein Trugbild ist, aber es funktioniert, weil alle mitmachen.

Das trifft auch insgesamt für die Leistung aller Mitwirkenden zu, Solistinnen, Solisten, Tänzerinnen, den Chor unter der Leitung von Jan-Michael Krüger – niemand steht nur herum, sondern alle tragen dazu bei, die Champagner-Korken knallen zu lassen. Die Choreographie von Kati Heidebrecht vor allem bei der großen Polka auf dem Fest von Prinz Orlofsky ist grandios stimmig und so springt die launige Stimmung des ausgelassenen Soupers ständig auf das Publikum über, das regen Szenenapplaus spendet.

Foto: © TL/Olaf Malzahn

Das Libretto ist wunderbar aufgefrischt, ohne platt modernistisch zu wirken. Man kann die „Fledermaus“ ja auch zum Skandal herunteraktualisieren, wie Hans Neuenfels 2001 in Salzburg bewies. Und so gibt es viele Lacher, weil die oft wie improvisiert wirkenden Wortspiele und wirklich witzigen Kalauer einfach großartig unbemüht und temporeich hingeschmissen werden.

Auch der Kostümmix von Tanja Liebermann und Yvonne Forster mit Anleihen aus der Jahrhundertwende oder einer 70er-Jahre Knallbuntheit entspricht diesem Ansatz, der sich auch in den Requisiten niederschlägt. So hängt im Gefängnis ein Portrait von Kaiser Franz Joseph als Sliwowitz-Versteck des Gefängniswärters Frosch, während der Aktenkoffer des Advokaten aus der Jetztzeit stammt.

Selbstverständlich kennt jeder die musikalischen Nummern dieses Glanzstücks der sogenannten „Goldenen Operettenära“ und von daher kann man hier nicht viel falsch machen, wenn es um Wiedererkennungsmomente geht. Man könnte die beliebten, geradezu kanonisch gewordenen Arien, Duette und Chorpartien aber schlichtweg heruntersingen. Hier brillieren jedoch alle, von den Haupt- bis zu den Nebenrollen. Steffen Kubach ist stimmlich und von seinem komödiantischen Talent her eine grandiose Besetzung für Gabriel von Eisenstein, während Tanja Kuhn seine ebenso kokette wie resolute Gattin Rosalinde gibt. Ihr Csárdás als vermeintliche ungarische Gräfin ist ein echter Höhepunkt. Allerdings räumt Andrea Stadel als Kammermädchen Adele sowohl stimmlich als auch spielerisch mehrfach wirklich ab und stellt die anderen Hauptrollen mitunter in den Schatten.

Herrlich trottelig ist der Gefängnisdirektor Frank von Andreas Lettowsky, der sich auch beim Tanzen nicht von seiner Aktentasche trennen kann. Noah Schaul als Gesangslehrer Alfred zeigt gerade in den Opernzitaten wie beispielweise aus Verdis „Il Trovatore“, dass er weit mehr kann als zweite Garde. Laila Salome Fischer spielt als Prinz Orlofsky mit Leichtigkeit auf der Klaviatur von Russen-Klischees und lässt auch sängerisch den Champagner perlen. Als Notar Dr. Falke gibt Erwin Belakowitsch eine wunderbar halbseidene Figur ab und beweist in seinen Solopartien große Präsenz, der stotternde Advokat Dr. Blind wird sehr witzig von Tomasz Myśliwiec gegeben. Ida, die Schwester Adeles, verkörpert Elisa Pape mit frecher Frivolität.

Foto: © TL/Olaf Malzahn

Und dann ist ja da der Frosch, eine Lieblingsrolle für Komödianten, die sich auf eigene Prägungen verstehen. Da beweist Regisseur Michael Wallner, dass er eine echte Rampensau im schönsten Sinne ist, der sowohl in Wortwitz als auch Körpersprache des notorisch besoffenen Gefängniswärters seinen Protagonisten in nichts nachsteht. Ob im Alleingang oder im Dialog – das sind humoristische Glanzpunkte, die man am liebsten gleich nochmal anschauen möchte.

Nahezu alle im Publikum dürften noch Elisabeth Volkmann aus der Klamaukserie „Klimbim“ die Koloraturen aus Adeles Arie „Mein Herr Marquis“ trällern hören, wenn sie an die Zeiten alberner Fernsehunterhaltung aus den 70er-Jahren denken. Albern ist diese Produktion allerdings nicht, sondern meisterhaft gemachter Spaß.

Und den sollten wir uns auch in Krisenzeiten nicht nehmen lassen, sonst werden wir depressiv. Ja, man darf auch lachen, wenn woanders die Welt in Scherben fällt und womöglich die eigene Existenz gefährdet ist. Das Lachen stärkt uns für die Zeiten, in denen es dicke kommt.

Die folgenden drei Vorstellungen dieser unbedingt empfehlenswerten Inszenierung sind am 6., 20. und 26. November 2022.

Dr. Andreas Ströbl, 29. Oktober 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Richard Wagner, Lohengrin Theater Lübeck, 4. September 2022 PREMIERE

Johann Strauß, Die Fledermaus, Semperoper Dresden, 11. Januar 2020

Johann Strauß, Die Fledermaus, Wiener Staatsoper, 31. Dezember 2019

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