Der Zauberer des Abends stand im Graben

Richard Strauss, Die Frau ohne Schatten  Semperoper Dresden, Premiere 23. März 2024

Camilla Nylund (Die Kaiserin), Evelyn Herlitzius (Die Amme), Damen des Sächsischen Staatsopernchores © Semperoper Dresden/Ludwig Olah

Die Aufführung endete mit tosendem Applaus und Ovationen, gefühlt unendlich lang. Wir werden diese geniale Aufführung von „Frau ohne Schatten“ nie vergessen.

Die Frau ohne Schatten
Richard Strauss, 10. Oktober 1919,
Libretto von Hugo von Hofmannsthal

Inszenierung: David Bösch
Bühnenbild: Patrick Bannwart
Kostüme: Moana Stemberger
Licht: Fabio Antoci
Video: Falko Herold und Patrick Bannwart

Dirigent: Christian Thielemann

Sächsische Staatskapelle Dresden
Sächsischer Staatsopernchor Dresden
Kinderchor der Semperoper Dresden

Semperoper Dresden, Premiere 23. März 2024


von Olaf und Brigitte Barthier

Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges wurde nach über 30 Bühnenproben an der Wiener Staatsoper dieses Stück am 10. Oktober 1919 uraufgeführt. Der damalige Operndirekter Richard Strauss überantwortete die musikalische Leitung an Franz Schalk.

Kurz danach, am 22. Oktober 1919, fand die Erstaufführung in Dresden statt, die aber ein Misserfolg wurde, weil das eigentlich strausserfahrene Haus mit diesem Opernwerk überfordert war. Es kamen die unglücklichen Umstände der Kriegsnachwirkungen dazu, da durch lange Unterbrechungen des Spielbetriebes die Künstlerinnen und Künstler nicht ihr eigentliches Niveau abrufen konnten. Ebenso haftet dieser Oper das Kriterium der Unspielbarkeit an, ähnlich wie bei Tristan und Isolde.

Am Abend des 23. März war es nun so weit, um 16 Uhr hob sich der Vorhang zur neuen Inszenierung.

Von unserem Platz aus konnten wir hervorragend die Bühne sehen und den bis auf den letzten Platz besetzten Orchestergraben. Selbst links und rechts in den unteren Proszeniumslogen standen noch Instrumente, nämlich zwei Tastenglockenspiele, eine Windmaschine und eine Glasharmonika.

Christian Thielemann © Matthias Creutziger

Als das Licht erloschen war und bevor Herr Thielemann den ersten Ton erklingen ließ, herrschte im Saal eine andächtige Stille, kein Husten, kein Niesen, kein Gemurmel – nichts!

Wir haben schon lange nicht mehr ein so konzentriertes und diszipliniertes Publikum in einem Opernhaus erleben dürfen.

Miina-Liisa Värelä (Baraks Frau), Evelyn Herlitzius (Die Amme), Camilla Nylund (Die Kaiserin), Tilmann Rönnebeck (Der Einarmige), Oleksandr Pushniak (Barak), Tansel Akzeybek (Der Bucklige), Rafael Fingerlos (Der Einäugige), Kinderchor der Semperoper Dresden
© Semperoper Dresden/Ludwig Olah

Von Anfang an hat das Orchester einen fantastischen Klangteppich gewebt und man hatte den Eindruck, dass es kein Instrument gab, das an diesem Abend nicht zum Einsatz kam.

Herr Thielemann hat es geschafft, diese anspruchsvolle Partitur mit ihren lauten, aber auch sehr leisen Passagen zu modellieren. Es entstand ein dramatischer Spannungsbogen vom Einsatz des Gesamtorchesters hin zu den Soli verschiedener Instrumente. Ganz besonders gefiel uns das Violinsolo in Begleitung der Kaiserin im dritten Akt.

Das Orchester bezauberte mit seinem Chefdirigenten auf eine überwältigende Art und Weise. Es war ein überirdisch transparenter Klang, unterlegt mit höchster Präzision. Dieses Kunststück kann nur ein Orchester erreichen, welches ganz tief verschmolzen ist mit seinem Dirigenten. Daraus ergab sich folgerichtig, dass Herr Thielemann zum Schlussapplaus das ganze Orchester auf die Bühne holte.

Eric Cutler (Der Kaiser) © Semperoper Dresden/Ludwig Olah

Doch nicht nur das Orchester, sondern auch das Solistenensemble entsprechen dem hohen künstlerischen Anspruch dieser Oper. Die Herausforderungen an die Solisten, besonders die fünf Hauptrollen, ist exorbitant hoch. Der Umfang der Tonalität, die die Solisten beherrschen müssen, ist sehr weit gespannt.

Außerdem hat Christian Thielemann den Anspruch, diese Oper ungekürzt zu spielen, was man an anderen Häusern meistens nicht findet.

Da braucht man natürlich großartige Künstler, die gut miteinander harmonieren müssen. Dies ist hier ganz wunderbar gelungen. Besonders hervorzuheben sind Camilla Nylund als Kaiserin und Evelyn Herlitzius als Amme. Evelyn Herlitzius schafft es immer wieder mit ihren schauspielerischen Fähigkeiten aus der scheinbaren Eindimensionalität einer bösen Rolle die dahinterliegende menschliche Verzweiflung darzustellen, und erzeugt dadurch eine Sympathie beim Publikum. So hat uns das auch die Künstlerin selbst auf der Premierenfeier beschrieben.

Als weitere Solisten sind zu nennen: Eric Cutler als Kaiser und Oleksandr Pushniak als Färber Barak, sie passten perfekt in das Ensemble. Oleksandr Pushniak gab mit dieser Rolle an der Semperoper sein Hausdebüt, demnächst gehört er zum festen Ensemble der Semperoper. Ebenfalls ihr Hausdebüt gab Miina-Liisa Värelä in der Rolle der Färberin. Eigentlich ist es ja die Hauptrolle in diesem Stück; sie wird von den meisten Regisseuren falsch dargestellt. Man könnte es mit einer Xanthippe vergleichen. Diesen Fehler hat David Bösch nicht gemacht. Seine Deutung zeigt uns eine tief verzweifelte und liebende junge Ehefrau, die bei ihrem Mann um Wertschätzung kämpft.

Camilla Nylund (Die Kaiserin) © Semperoper Dresden/Ludwig Olah

Weitere Solisten: Der Geisterbote Andreas Bauer Kanabas; Hüterin der Schwelle Nikola Hillebrand; Erscheinung eines Jünglings Martin Mitterruzner; Stimme Falke Lee-Ann Dunbar; Stimme von oben Christa Mayer; Drei Brüder Rafael Fingerlos, Tilmann Rönnebeck, Tansel Akzeybek.

Zu einer guten Oper gehört natürlich immer ein guter Chor. Diese Aufgabe meisterte, wie gewohnt, der Sächsische Staatsopernchor Dresden. Und zwar nicht allein, sondern mit den 29 Kindern des Kinderchores der Semperoper Dresden.

Das Bühnenbild bestand aus folgenden Komponenten: Der Färberstube mit verschiedenen Requisiten, welche die komplette Bühne eingenommen hat und wahlweise in zwei gleichgroße Teile getrennt und auseinandergeschoben werden konnte. Dann ein selbstfahrendes Doppelbett, eine Aufzugskabine von einem Lastenaufzug, die vom Schnürboden bis unter die Bühne gefahren werden konnte. Außerdem ein weißer Falke, der von oben herabgelassen wurde, und beinah die ganze Breite der Bühne überspannte. Um Räume und Abgrenzungen zu erzeugen, wurden halbtransparente Vorhänge eingesetzt, die auch als Projektionsflächen für Videoeinspielungen genutzt wurden. Insgesamt ist das sparsame Bühnenbild im Zusammenspiel mit den Videoinstallationen für den Zuschauer eine hilfreiche Bebilderung zum Verständnis des Stückes. Die Solisten haben dadurch viel Raum für ihre Interaktionen. Im Nachhinein haben wir von vielen Zuschauern gehört, dass diese Inszenierung Bilder geschaffen hat, wodurch sich die Oper nun für sie erschlossen hat.

Miina-Liisa Värelä (Baraks Frau) © Semperoper Dresden/Ludwig Olah

Oft wird diese Oper mit der Zauberflöte von Mozart verglichen. Dies ist aber nur auf den ersten Blick zutreffend. Die einzigen Parallelen sind, dass es sich um zwei Paare aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten handelt, die zueinander finden müssen und durch verschiedene Prüfungen ihre Freiheit gewinnen können. Im Detail jedoch müssen die Paare bei Mozart erst noch entstehen, bei Strauss ist es viel komplexer.

Genauso könnte man die Oper mit Rusalka vergleichen. Ebenfalls ein märchenhaften Stoff, z.B. am Anfang dort ein weißes Reh statt, wie bei Strauss eine weiße Gazelle, die sich in eine Frau verwandelt. Nur bei Dvořák gab es kein Happy End.

Als Wagnerianer kann man erkennen, dass Strauss bei seiner nach eigenen Worten „letzten romantischen Oper“ verschiedene Inspirationen von Richard Wagner aufgenommen hat.

Wie bekannt ist, hat Richard Strauss mit seinem Librettisten – Hugo von Hofmannsthal – sehr eng zusammengearbeitet. Sie haben für den Nerv der Zeit genau das richtige Stück geschaffen. Denn immer in Krisenzeiten, und erst recht in Kriegszeiten, haben sich die Menschen auf Märchen besonnen, die zwar oft grausam waren, aber am Ende siegte das Gerechte und Gute. Man weiß, das Hofmannsthal den letzten Akt als Soldat im Krieg verfasst hat. Nur durch eine körperliche Versehrtheit blieb ihm der Fronteinsatz erspart. Wie in dieser Oper hat sich auch die Gesellschaft von den Zwängen der Monarchie befreit, am Ende des Krieges wurden die Monarchen vertrieben und durch die Bürger Parlamente gegründet.

Bestimmt hat diese Oper noch heute große Aktualität, denn im Stück geht es letztlich um die individuellen Wünsche von Mann und Frau in einer Beziehung. Gesellschaftliche Erwartungen und Zwänge der Rollen werden hinterfragt und aufgebrochen.

Die Aufführung endete mit tosendem Applaus und Ovationen, gefühlt unendlich lang.

Wir werden diese geniale Aufführung von Frau ohne Schatten nie vergessen.

Olaf und Brigitte Barthier, 26. März 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Richard Strauss, Die Frau ohne Schatten Semperoper Dresden, 23. März 2024

Spielzeit-Präsentation 2024/25 Semperoper Dresden, 14. März 2024

Richard Wagner, Tristan und Isolde Livestream aus der Semperoper Dresden, Februar 2024

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