Thielemanns Dresdner „Tristan“: Wie mezza voce die Leidenschaft bremst

Richard Wagner, Tristan und Isolde  Livestream aus der Semperoper Dresden, Februar 2024

Christian Thielemann © Matthias Creutziger

Richard Wagner
Tristan und Isolde

Tristan    Klaus Florian Vogt
Isolde    Camilla Nylund
König Marke    Georg Zeppenfeld
Brangäne    Tanja Ariane Baumgartner

Dirigent    Christian Thielemann

Livestream aus der Semperoper Dresden, Februar 2024

von Peter Sommeregger

Im Januar und Februar 2024 fand an der Dresdner Semperoper eine Aufführungsserie von Richard Wagners „Tristan und Isolde“ statt. Christian Thielemann, scheidender Chefdirigent der Sächsischen Staatskapelle, nutzte diese für ein spektakuläres Finale seiner langjährigen Tätigkeit in Dresden.

Ein Großteil der Rezensionen dieser Aufführungen fiel reichlich euphorisch aus. Nachdem nun, vorab zu einer Veröffentlichung auf Bildträgern, im Stream die Aufführung erlebbar ist, ergibt sich die Möglichkeit selbst zu einem Urteil zu kommen. So ganz möchte man die große Begeisterung vieler Kritiker nicht teilen.
Das Dirigat Thielemanns befremdet durch ungewohnt breite Tempi und einen extrem lyrischen Ansatz. Zwar gelingen ihm mit der Sächsischen Staatskapelle eindrucksvolle Passagen, aber insgesamt nimmt die deutliche Zurücknahme dem Drama viel von seiner Leidenschaftlichkeit und Glut. Der Grund für diese unorthodoxe Interpretation dürfte in der Besetzung der beiden Titelrollen liegen. Camilla Nylund ist per se keine Hochdramatische, und Klaus Florian Vogt singt in dieser Aufführungsserie seinen ersten Tristan. Thielemanns Zurückhaltung scheint doch sehr den Sängern zu dienen, die an schnelleren Tempi und vollerem Orchesterklang wahrscheinlich gescheitert wären.

So rücksichtsvoll mit seinen Sängern ist Thielemann nicht immer umgegangen. Ich erinnere mich noch gut an eine Tristan-Aufführung an der Deutschen Oper Berlin während Thielemanns kurzer Tätigkeit dort. Der Tristan der damaligen Aufführung, ein schwedischer Tenor, war der Partie deutlich nicht gewachsen, worauf Thielemann im dritten Akt seine Rücksicht aufgab, und das Orchester voll dominieren ließ. Vom Sänger des Tristan hörte man praktisch keinen Ton mehr. Gut möglich aber, dass die scheinbare Rücksichtslosigkeit des Dirigenten mit dem Sänger abgesprochen war, und diesem eine Blamage ersparte.

Was Klaus Florian Vogt bewogen hat, nun auch den Tristan seinem Wagner-Repertoire hinzuzufügen, ist klar: eine große Zahl von Opernbesuchern, aber auch von Kritikern wird seit Jahren nicht müde, Vogts Leistungen über den Klee zu loben. Man könnte die Polarisierung, die Vogts Leistungen zumeist hervorrufen, als Geschmacksfrage abtun, aber wie auch schon beim Tannhäuser lässt Vogt so ziemlich alles vermissen, was diese Partie ausmacht. Kaum jemals verlässt er den Komfortbereich der mezza voce, in einigen Passagen ist es eigentlich nur Sprechgesang, was von ihm zu hören ist. Die Stimme besitzt eigentlich kein Timbre, ist weiss und dementsprechend ohne Durschlagskraft.

Das virile Element dieser Partie bleibt Vogt komplett schuldig, sein Tristan bleibt blass bis zur Unsichtbarkeit. Der sehr engagiert und ausdrucksvoll singenden Isolde der Camilla Nylund ist er kein adäquater Partner. Im Liebesduett stellt sich die von Wagner gewollte Leidenschaft einfach nicht ein, wie sollte das mit einem bestenfalls lyrischen Tenor ohne Strahlkraft auch gelingen?

In den Fieberphantasien des dritten Aktes würde Vogts Stimme endgültig untergehen, dimmte Thielemann das Orchester nicht stark herunter. Von Thielemanns Rücksicht profitiert natürlich auch Camilla Nylund, für die Isolde mit Sicherheit eine Fachüberschreitung darstellt. Ihre Textverständlichkeit und das Bemühen um Ausdruck stellen sie aber auch auf die Habenseite der Aufführung.

Geradezu luxuriös sind die kleineren Rollen besetzt. Georg Zeppenfeld verströmt als König Marke vokalen Balsam, es gelingt ihm auch, die tiefe Kränkung Markes hörbar zu machen. Tanja Ariane Baumgartners Brangäne gerät etwas statisch, bereichert mit ihrer samtenen Tiefe aber die Szenen mit Isolde und liefert eindrucksvolle Wachtgesänge. Martin Gantner ist ein solider, sonorer Kurwenal. Tenorale Frische bringt Attilio Glaser für den jungen Seemann und den Hirten mit. Sebastian Wartig wird dem negativen Charakter des Verräters Melot gerecht.

Ein in dieser Weise ins Lyrische transformierter Tristan ist nicht ohne Reiz, wird den Intentionen Wagners aber nicht wirklich gerecht. Die viele Jahre alte Inszenierung Marco Arturo Marellis, oder das was von ihr noch übrig ist, trägt auch nicht wirklich zum Gelingen der Aufführung bei. Der Verzicht auf Kulisse und Versatzstücke muss noch kein Nachteil sein, aber alles was man zu sehen bekommt, sind verwaschene Pastellfarben und Protagonisten, die sich in permanent gegenläufigen Richtungen bewegen.

Sollte der hier gesetzte Standard Schule machen, könnte man sich nur noch mit Tonträgern der echten Heldentenöre wie Jon Vickers, Ramon Vinay, Wolfgang Windgassen oder Stephen Gould trösten. Sie seien Allen, die den Gesang eines Klaus Florian Vogt bejubeln, ans Herz gelegt.

Peter Sommeregger, 28. Februar 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Richard Wagner, Tristan und Isolde Dresden, Semperoper, 3. Februar 2024

Richard Wagner, Tristan und Isolde, 02.08.2017, Christian Thielemann, Katharina Wagner, Stephen Gould, Petra Lang, René Pape, Christa Mayer, Iain Paterson, Raimund Nolte, Tansel Akzeybek, Kay Stiefermann, Bayreuther Festspiele

Richard Wagner, Tristan und Isolde Bayerische Staatsoper, Nationaltheater, 8. Juli 2021

3 Gedanken zu „Richard Wagner, Tristan und Isolde
Livestream aus der Semperoper Dresden, Februar 2024“

  1. Werter Kollege Sommeregger,

    jetzt wird einiges klar. Nur überschwänglich haben ja nicht alle Kollegen berichtet. Versteckt gab es da schon Andeutungen wie vom Kollegen Willi Patzelt, der meinte, der „Goldene Schuss“ sei ausgeblieben. Ihre Erläuterungen verdeutlichen diese Aussage nun.

    Zu Vogts Tristan als auch Tannhäuser möchte ich mich enthalten. Grund: Bislang nur als Lohengrin gehört. Aber kurz: Beim Siegmund war ich schon immer skeptisch, da gerade diese Partie eher in einer tieferen Tessitura liegt.

    Jürgen Pathy

    1. Ach Fauxpas: Wenn man vor lauter Bäumen den Wald nicht sieht. Natürlich habe ich den Siegmund gemeint, den Vogt ja auch schon gesungen hat.
      Jürgen Pathy

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