Das geht unter die Haut: Christian Thielemann dirigiert "Tristan" weltklasse

Richard Wagner, Tristan und Isolde,
Bayreuther Festspiele, 2. August 2017

Dirigent: Christian Thielemann
Inszenierung: Katharina Wagner
Tristan: Stephen Gould
Isolde: Petra Lang
König Marke: René Pape
Brangäne: Christa Mayer
Kurwenal: Iain Paterson
Ein Hirt, Junger Seemann: Tansel Akzeybek
Ein Steuermann: Kay Stiefermann

Wagner machen, das kann er wie kein zweiter. Das Festspielorchester spielt unter Christian Thielemann phänomenal, es ist berührend schön, dabei zu sein. Dieses Gefühl stellt sich bei „Tristan und Isolde“ schon nach den ersten drei Takten des Vorspiels ein. Alles ist wie verwandelt: Raum und 2000 Menschen.

Es war einsame Weltklasse, was der weltweit versierteste Wagner-Dirigent den europäischen Ausnahmemusikern des Festspielorchesters im Bayreuther Graben abzuverlangen vermochte. Schon bei der Ouvertüre, deren Anfang zauberhaft leise und langsam den berühmten Tristan-Akkord zelebrierte, stellte sich Gänsehautgefühl ein. Auch die Hörner Anfang des zweiten Aufzuges hört man nirgends so gut wie in Bayreuth. Und die Streicher zu Beginn des dritten Aufzuges und das folgende Englischhorn-Solo des Hirten sind wegweisend.

Und so bekam der Musikdirektor der Bayreuther Festspiele nach drei Stunden und 55 Minuten Tristan und Isolde den stärksten Applaus im Festspielhaus auf dem Grünen Hügel. Thielemanns Leistung war so berauschend und betörend, dass es sich lohnt, einen ausführlichen Blick in die Presse zur Tristan-Premiere 2017 zu werfen:

„Der amtierende Musikchef des Grünen Hügels Christian Thielemann ist auch im dritten Jahr dieser Tristan-Produktion der am stärksten bejubelte Star in dieser Aufführung“, schreibt BR Klassik. „Er lässt – wie er das einmal selbst formuliert hat – wahrhaft das Narkotikum von der Decke tropfen.

Und das phänomenale Festspielorchester folgt ihm mit großer Hingabe bis hin zu den geradezu überirdisch schönen kammermusikalischen Passagen im dritten Akt oder der magischen Sinnlichkeit des zweiten.“

dpa bilanziert: „Thielemanns fulminante Interpretation der Wagnerschen Partitur ging schon vom ersten Takt des Vorspiels tief unter die Haut.“

„Thielemanns Lesart des ‚Tristan’ hat sich unterdessen auf bemerkenswerte Weise gewandelt“, schreibt die NZZ. „Das Rauschhafte, Schwere, ja Exzessive der Liebestragödie, das Thielemann früher bis an die Grenzen zur dirigentischen Selbstentäußerung trieb, ist mittlerweile einer Sublimierung durch umfassende Werkkenntnis und Kontrolle gewichen. Noch immer raunt und rauscht es mächtig im ungemein farbig aufgefächerten Orchesterklang – Thielemann beherrscht die heikle Akustik des Festspielhauses schlichtweg wie kein Zweiter; gleichzeitig ist der Überdruck früherer Jahre jedoch der Gelassenheit und dem weiten Atem des überlegenen Gestalters gewichen. Vor allem orchestral ist dieser ‚Tristan’ ein Fest – vom stimmig gesteigerten Vorspiel bis zum gleichsam fragend ins Unendliche weiterklingenden Schlussakkord, sechs Stunden später.“

Auch Der Tagesspiegel jubelt: „Er stellt sie alle in den Schatten, Haenchens ‚Parsifal’ wie Philippe Jordans ‚Meistersinger’-Dirigat, das einem bei aller Transparenz im Vergleich plötzlich monochrom erscheint. Thielemanns Kunst, tausend Farb-, Klang- und Lautstärkenuancen zu entfalten, bei immer klarer Linienführung, sucht ihresgleichen. Vor allem ist er ein Meister der Binnendifferenzierung. Mal tritt die Oboe kurz hervor, dann eine Cello-Kantilene, die Hörner, die Harfe, ein unentwegt fliegender, schwereloser dynamischer Wechsel.“

Eine „Machtdemonstration mit dem Festspielorchester“ hat Der Merkur gehört: „Nach manch veganem Wagner-Abend gibt man sich zu gern diesem Lustdirigenten hin. Den ‚Tristan’ hat er im kleinen Finger, die Musiker finden hörbar Spaß an den Detailfummeleien, auch am immer kanalisierten, zielgerichteten Aufgischten. Bis auf drei, vier hingebungsvoll zelebrierte Wundermomente ist Thielemann flott unterwegs. Keine Sekunde verliert er sich in der Partitur, stets ist bestechende Disposition zu spüren.“

Soweit zur gigantischen Tristan-Musik und dem Weltklasse-Dirigat des Christian Thielemann. Leider konnten nicht alle Sänger mithalten mit den beiden herausragenden Darbietungen der Vortage: „Die Meistersinger von Nürnberg“ und „Siegfried“. Die beiden Protagonisten lieferten ganz unterschiedlich ab: Der Tenor Stephen Gould bot als Tristan eine sehr gute Leistung. Die Sopranistin Petra Lang als Isolde nur eine knapp mittelmäßige.

Stephen Gould erwies sich als ein gestandener Heldentenor alter Schule, seine Kraftreserven bis zum Schluss waren beeindruckend, seine Strahlkraft in der Höhe fulminant. Allein, magische Momente wollten sich nicht einstellen an diesem Abend. Es gab keine Stelle, die mich auf die Knie zwang. Dennoch bleibt Goulds Tristan einer der besten, die derzeit zu hören sind.

Für Petra Lang galt an diesem Abend auch das Urteil vom Vorjahr: Sie ist eine Isolde, die in den Höhen oft mit zu viel Druck singt. Das hört sich dann gepresst an und führt dazu, dass sie in den Höhen mit zu viel Vibrato zelebriert. In den Ausbrüchen wird ihre Stimme schrill. Langs Mittellage ist deutlich besser als die Höhenlage – an die Isolde von 2015, Evelyn Herlitzius, reicht sie aber bei Weitem nicht heran. Tiefere Partien wie die Ortrud im „Lohengrin“, dargeboten in Bayreuth vor zwei Jahren, liegen der aus dem Mezzofach stammenden Lang deutlich besser. An ihrer Textverständlichkeit sollte die 54-Jährige arbeiten – vom Text verstand man so gut wie nichts.

Als sorgende Brangäne bot die Mezzosopranistin Christa Mayer eine fesselnde Leistung. Ihre Stimme verfügt über eine schöne ausdrucksstarke Farbe und plastische Diktion. Das Timbre ist fraulich. Ihre Textverständlichkeit ist sehr gut.

König in Sachen Textverständlichkeit war der Bass René Pape als König Marke, den er von Vorjahres-Marke Georg Zeppenfeld übernahm. Papes tief verborgenes Metall wird von einem Mantel aus Weichheit umhüllt. Sein Bass ist durchschlagend – die einzige Weltklasse-Leistung der Gesangssolisten an diesem Abend.

Den treuen Kurwenal gab Iain Paterson schlank und energisch, der Festspielchor überzeugte bei seinem kurzen Auftritt.

Bühnenbildner Frank Philipp Schlößmann hat für das Nachtstück von Katharina Wagner drei abstrakte Räume gebaut: Ein Treppen-Labyrinth mit Hängebrücken und Reling, ein Gefängnis mit Fahrradständern, ausfahrbaren Metallkrallen und Suchscheinwerfern sowie eine Artus-Runde im mystischen Nebel. In großen Teilen, außer im dritten Aufzug, ist die Inszenierung düster, morbide und emotionslos. Sie passt nicht zur emotionalen Musik, die die verzweifelte Liebe Tristans und Isoldes und deren Liebestod – in dieser Inszenierung führt König Marke Isolde nach Tristans Tod mit den Schlussakkorden von der Bühne – mit phantastischen Wellen, Nuancen, Bögen und leisen Feinheiten zelebriert. Allein die Visionen der Isolde im Fieberwahn, die Tristan im dritten Aufzug erscheinen, bleiben dem Zuschauer als beeindruckende Bilder haften. Und so musste sich die Urenkeltochter Richard Wagners bei der 2017er Premiere auch zahlreiche Buhrufe anhören. Beim zweiten „Tristan“ am 2. August gab es für die Inszenierung keine Buhs mehr.

Andreas Schmidt, 3. August 2017,
klassik-begeistert.de

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