„Das Musikglück lässt sich kaum fassen“ – klassik-begeistert-Reporter berichten, Teil 3

Die Klassik- und Opern-Favoriten 2024, Teil 3  klassik-begeistert, 31. Dezember 2024
Meine Lieblingsmusik 2024

Glücksklee Oxalis © Benes Oeller

Die Autorinnen und Autoren von klassik-begeistert.de besuchen mehr als 1000 Konzerte und Opern im Jahr. Europaweit! Als Klassik-Reporter sind sie ganz nah dran am Geschehen. Sie schreiben nicht über alte Kamellen, sondern bieten den Leserinnen und Lesern Stoffe aus den besten Opern- und Konzerthäusern der Welt. Was haben sie gehört, gespürt, gesehen, gefühlt, gerochen? 

Ich danke allen Klassik-Reportern von klassik-begeistert für die Begeisterung, mit der sie ihrem Handwerk nachgehen. Nur durch Euer Engagement, Euer Wissen, Euer Gehör und vor allem durch Eure Schreibkunst ist klassik-begeistert.de zum größten deutschsprachigen Blog in Deutschland, Österreich und der Schweiz aufgestiegen. Und das ohne Pause seit 2018.

Ich wünsche allen Autorinnen und Autoren sowie allen Leserinnen und Lesern einen geschmeidigen Flug ins hoffentlich friedvollere Jahr 2025.

Herzlich,

Andreas Schmidt, Herausgeber

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Ich finde Nagano klar und farbig, mein Herausgeber findet ihn unterirdisch

Kent Nagano hat im Februar2024  nach überstandener Krankheit Peter Grimes von Benjamin Britten an der Staatsoper Hamburg dirigiert. Geschärfte Rhythmik und intelligent  variierte Tempi trafen auf eine selten klare Farbigkeit. Harte Konturen mündeten in einem sogartigen Fluss der Musik. Dazu der sensationell gute Chor und Gregory Kunde als Peter Grimes. Ich fand´s beispiellos großartig. Andreas Schmidt, der Herausgeber von Klassik-begeistert, fand Naganos Dirigat bemerkenswert unterirdisch und hat sogleich einen ziemlichen Verriss zu Papier gebracht. Später haben wir Andreas` viel beachteten Beitrag bei einer Flasche Wein diskutiert. Seither schreibe ich für Klassik-begeistert, auch deshalb war Peter Grimes mein Schönstes Musikerlebnis 2024.

Jörn Schmidt, Sylt

Mahler strahlt in Hamburg und Erl schmiedet einen wunderbaren „Ring“

Beschriebe ich die Aufführung von Mahlers 8. Symphonie als „mein schönstes Musikerlebnis 2024“, dann entspräche das einer sträflichen Untertreibung. Dieses musikgewordene Licht mit seinen Klangblüten, die erhaben bis ins Weltall strahlen, haben Solisten, Chöre und Orchester unter Semyon Bychkov am 14. April 2024 im Innersten verstanden und im Großen Saal der Elbphilharmonie in Perfektion wiedergegeben. Wenn es einen Gott gibt, dann spricht er durch Gustav Mahler und wer Ohren hatte zu hören, durfte an diesem musikalischen Gottesbeweis teilhaben. Amen.

Der Höhepunkt des Festspielsommers in Erl (Tirol) war zweifellos der von Kammersängerin Brigitte Fassbaender inszenierte „Ring des Nibelungen“ (besuchte Vorstellungen: 6. – 10. Juli). Bei allen technischen Einschränkungen des Passionsspielhauses überzeugte eine einfallsreich gestaltete Bühne mit zauberhaften Video-Einblendungen, intelligent eingesetzten Licht-Effekten und vor allem einer detailverliebten Personenregie mit psychologischem Tiefgang. So will man die Tetralogie erleben und man konnte sich Wagners Kommentar vorstellen: „Endlisch vaschdähd ma jemand, was in den Figuren bassierd!“

Dr. Andreas Ströbl, Lübeck

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Das Musikglück lässt sich kaum fassen, oder: Die Qual der Wahl

Mehr als 60 Abende in Oper und Konzertsaal, Beeindruckendes, Berührendes, Berauschendes und Unvergessliches. Welches soll nun das allerschönste Erlebnis sein? Da gibt es so viele, Schönbergs „Pelleas und Melisande“ im letzten Lübecker Symphoniekonzert und seine „Gurre-Lieder“ in der Elphi, die Zweite Symphonie von Thomas Larcher unter Klaus Mäkelä, ebenda. Und dann war da die Neunte Symphonie von Anton Bruckner, von Herbert Blomstedt an seinem 97. Geburtstag wenige Meter vom Sarg des Komponisten entfernt in St. Florian zelebriert, unvergesslich, wie so vieles mehr.

Dennoch, drei Opernerlebnisse überstrahlen alles. Zunächst, rein musikalisch gesehen, der 2. Akt im diesjährigen Bayreuther „Tristan“. Was da aus dem Orchestergraben strömte, war im wahrsten Sinne geradezu uner- bzw. ungehört. Weinbergs Oper „Die Passagierin“ in Lübeck bot Unfassbares in einer sowohl musikalisch als auch inszenatorisch erschütternden wie gleichzeitig großartigen Produktion. Aber über allem: 90 atemlose Minuten an der vordersten Sitzkante bei „Elektra“ in Lübeck. Musikalisch ein einziger, sich stetig steigernder Rausch, mit einem Orchester und Sängern, die, vor allem die drei Solistinnen, in einer phantastisch klaren Inszenierung wie von Sinnen sangen und spielten und das Publikum zu nie erlebten Begeisterungsstürmen hinrissen. Mehr Wahnsinn war nie!

Dr. Regina Ströbl, Lübeck

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Elbenita Kajtazi gebührt die Krone als beste Tatjana 

Trotz vieler schöner Aufführungen und ganz exzellenter gesanglicher Leistungen wie  Gregory Kunde als Peter Grimes und Calaf, Julia Lezhneva als Cherubino oder Pene Pati als Des Grieux gebührt die Krone einer nur mit Ensemblemitgliedern besetzten Repertoirevorstellung der Hamburgischen Staatsoper. Es handelt sich um Eugen Onegin mit Alexey Bogdanchikov als Onegin, Elbenita Kajtazi als Tatjana, Dovlet Nurgeldiyev als Lenski, Kristina Stanek als Olga und Alexander Roslavets als Gremin im April 2024.

So eine Tatjana hatte ich auf der Bühne bisher nicht erlebt. Je nach Seelenverfassung zeigte sie eine weiche samtige Stimmfärbung oder golden aufblühende Töne, um dann in den leidenschaftlichen Ausbrüchen in der Höhe einen Saphirglanz zu verströmen, der betroffen machte. Sie weckte mit ihrem Gesang bei dem Onegin von Bogdanchikov zudem eine gesanglich-sinnliche Leidenschaft, die ich bis dato bei ihm nicht erlebt hatte. Und Nurgeldiyevs Kuda-Arie zu loben, hieße Eulen nach Athen zu tragen. Großer Jubel galt damals auch dem britische Dirigenten Finnegan Downie Dear sowie den anderen Mitwirkenden.

Nur eine kurze Anmerkung zum Ballett: Zahlreiche Aufführungen von Balletten John Neumeiers kündeten von dem Genie des Choreographen und den herausragenden Fähigkeiten der Hamburger Tänzerinnen und Tänzer. Nachhaltig beeindruckte mich allerdings eine Aufführung des Dortmunder Balletts: Die von Xin Peng Wang in ein neues Gewand gekleidete und um zahlreiche Pantomimen entschlackte Hollywood-Version des Ballettklassikers La Bayadère. Zudem überzeugte ein neuer Tanzstar mit weiten Sprüngen und superben Drehungen: Der erst 23jährigen Georgier Giorgi Potskhishvili, dem es mit seiner Partnerin Anna Tsygankova geradezu gelang, als Traumpaar in die Annalen dieses Balletts einzugehen.

Dr. Ralf Wegner, Hamburg

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Mieczyslaw Weinbergs Oper „Die Passagierin“ setzt ein deutliches Zeichen für Toleranz und Menschlichkeit

Wie nur selten findet bei dieser Produktion alles zusammen. Dirigent Takahiro Nagasaki führt das Orchester, die Solisten und den Chor mit sicherer Hand und großer Empathie durch die anspruchsvolle, mitreißende Partitur. Die Hauptpartien sind mit Adrienn Miksch, Marlene Lichtenberg, Jacob Scharfmann und Konstantinos Klironomos auf höchstem Niveau besetzt. Dies gilt auch für die vielen anderen Rollen und den wunderbar homogenen Chor.

Die Inszenierung von Bernd Reiner Krieger erzählt die Geschichte gradlinig mit all ihren Härten und Schrecknissen, lässt aber auch den kleinen, intimen Szenen ihre Wirkung. Ein großes Plädoyer für Menschlichkeit, Toleranz, und die Würde des Menschen. Für mich, als langjährigen Theaterbesucher, ist diese Produktion ein absoluter Meilenstein und das schönste Musikerlebnis 2024.

Axel Wuttke, Lübeck

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Die Krönung 2024 war ein Meisterkurs mit der wunderbaren Barbara Frittoli

2024 war ein Jahr voller Entdeckungen unbekannter Werke: La montagne noire von Holmès in Dortmund, Fausto von Bertin in Essen, Gunlöd von Cornelius in Mainz, Masaniello von Carafa in Bad Wildbad, Columbus von Werner in Bonn, Guercoeur von Magnard in Strasburg, The Wreckers von Smyth in Karlsruhe. An der Oper in Frankfurt sah ich meine erste Lulu von Berg, meine erste Lady Macbeth von Mzensk von Schostakowitsch. Aus dem gängigen Opernrepertoire gab es dieses Mal nicht so viel: einige Wagneropern, nur eine von Verdi und in seinem Festjahr sogar nur zwei Puccini-Abende. Einen dieser Abende hier besonders hervor zu streichen wäre ungerecht.

Allerdings können diese Abende nie die Genugtuung geben, die eigene Konzerte vermitteln. Und da hatte ich dieses Jahr wieder einmal großes Glück: mehrere Auftritte mit meinem Bass-Kollegen Manfred Logelin und unserem Pianisten Christoph Nanquette mit unserem Programm “Ein Bass, zwei Bässe(r)!”, einige Lieder- und Arien-Abende, sowie zwei wunderbare Chorkonzerte bei denen ich mich auch als Solist einbringen durfte.

Die Krönung des Jahres war allerdings einen Meisterkurs zu belegen mit der wunderbaren Barbara Frittoli (Organisation: Sequenda Opera Studio Luxemburg / Leitung: Luisa Mauro). Unvergleichlich wie diese Grande Dame der Oper die Sänger auf bezaubernde Weise auf ihre Fehler hinweist, ihnen Lösungen hierzu aufzeigt, diese ihnen aber nie aufdringlich aufzwingt. Besonders bei Mozart und Verdi zeigen sich ihr außergewöhnliches Wissen und ihre lange Erfahrung um die Interpretation derer Werke. Dabei singt sie alle Rollen mit, von Sopran bis Bass! Die Kurse werden nebenbei gespickt mit interessanten Anekdoten aus ihrer großen Karriere.

Begleitet wurde sie von den großartigen Pianisten und Korrepetitoren Tatsiana Molakava und Diego Mingolla, mit dem ich schon einige Male zusammen arbeiten durfte und der mich immer wieder durch seine musikalische Vielfalt begeistert. Solche Erlebnisse sind unübertrefflich!

Jean-Nico Schambourg, Luxemburg

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Mein schönstes Konzerterlebnis 2024

Immer wenn ich in Minutemade gehe, werde ich überrascht. Die
Unvorhersehbarkeit dessen was ich an Choreografie präsentiert bekomme, macht den Reiz aus, den das Format auf mich ausübt. Dieses Mal: Bewegungen die so langsam sind, dass ich sehr genau hinsehen muss, um zu entdecken, dass sich etwas bewegt. Zugleich ist der kleine Tanzraum so groß, dass sich trotzdem überall da, wo ich nicht hinsehe, so viel bewegt hat. Ein großes faszinierendes Rätsel, das Mari Carrasco bei Minutemade Act One im Probenraum des Gärtnerplatztheaters im November für mich choreografiert.

Die zweite Choreografie von Fernando Melo gibt sich als Initial zur Bewegung die Berührung von Kopf und Mund. So wird die am Boden liegende Tänzerin angehoben. Mit unsichtbaren Magneten der sanften Kopfberührung, die sich als zu schwach erweisen. Eine sanfte Hand ermöglicht den Moment, in dem der Kopf des Tänzers unter den der Tänzerin witscht. Dieser warme mich herzwärmender Flow umfängt mich und lässt all meine Widrigkeiten für diesen Moment verstummen. Das ist wunderbar.

Frank Heublein

 

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