Aile Asszonyi, Dmitry Golovnin © Barbara Aumüller
Die Oper Frankfurt ist zum dritten Mal von der Zeitschrift “Die Opernwelt” zum Opernhaus des Jahres 2024 gewählt worden. Schaut man auf ihr Programm der Saison 2024/25 und hört man dann eine solch tolle Gesamtleistung wie bei dieser Wiederaufnahme der “Lady Macbeth von Mzensk” von Dmitri Schostakowitsch, kann man sich vorstellen, dass auch nächstes Jahr Frankfurt wieder zum absoluten Favoritenkreis gehören wird.
Dmitri D. Schostakowitsch (1906-1975)
LADY MACBETH VON MZENSK
Oper in vier Akten / Text vom Komponisten nach Nikolai S. Leskow
Musikalische Leitung: Thomas Guggeis
Inszenierung: Anselm Weber
Bühnenbild und Kostüme: Kaspar Glarner
Frankfurter Opern- und Museumsorchester
Chor und Extrachor der Oper Frankfurt (Leitung: Álvaro Corral Matute)
Oper Frankfurt, 29. September 2024
von Jean-Nico Schambourg
Unter ihrem Generalmusikdirektor Thomas Guggeis legt die Oper Frankfurt gleich zu Beginn mit der Wiederaufnahme aus dem Jahre 2019 in der Regie von Anselm Weber einen fulminanten Start hin. Aus dem Graben explodiert regelrecht eine berauschende Klangwelt, die Guggeis dem Frankfurter Opern- und Museumsorchester entlockt. Mit Momenten peitscht er das Orchester förmlich durch die Partitur. Die Liebesszene oder besser gesagt Sexszene zwischen Katerina und Sergei steigert sich nicht nur schauspielerisch, sondern auch klanglich zu einem riesigen Orgasmus, wunderbar vom Komponisten in Musik gesetzt und fantastisch vom Orchester wieder gegeben.
Genauso begeistern Guggeis und sein Orchester den Zuhörer in den vielen lyrischen Passagen, die es in der Partitur gibt. In den leicht tänzerischen Momenten zeigt Schostakowitsch den ganzen Sarkasmus, zu dem ihn die Geschichte (der Katerina und der damaligen Zeit) inspiriert.
Natürlich sind bei dieser Oper in erster Linie die Blechbläser zu nennen, aber es ist eigentlich unfair eine Instrumentengruppe hervorzuheben. Das gesamte Orchester klingt wie eine Eins. So gab es schon während der Aufführung spontanen Applaus und laute Bravorufe nach einem Orchesterzwischenspiel.
Zu einer erstklassigen Oper gehört auch ein erstklassiger Chor und den besitzt die Oper Frankfurt. Auch er wurde als Chor des Jahres prämiert und seine Leistung an diesem Abend zeigt, wie berechtigt dies ist. Es gibt bestimmt in anderen Werken Chorpartituren, die einfacher zu singen sind als diejenige in der Oper von Schostakowitsch. Dem Frankfurter Chor und Extrachor, einstudiert von Álvaro Corral Matute, gelang eine vorzügliche Leistung an Klanghomogenität und Ausdrucksstärke.
Ebenso definiert sich eine Oper durch ihr Gesangsensemble. Auch hier ist Frankfurt ausgezeichnet aufgestellt. Peter Marsh exzelliert mit ausdrucksvollem Tenor in seiner Rolle als “Der Schäbige”. Anthony Robin Schneider singt mit großer Bassstimme so wie man sich einen echten “Pope” vorstellt (schauspielerisch grandios auch seine Szene bei der Hochzeit, wo er sich als Frau kleidet – das kann man sich allerdings bei einem echten Pope nur schlecht vorstellen). Iain MacNeil ist mit brutal guter Baritonstimme als korrupter Polizeichef nicht zu toppen. Zanda Svede zeigt als verführerische “Sonjetka” ihren warmen Mezzosopran, Anna Nekhames als “Axinja” ihren vielversprechenden Sopran. Auch alle weiteren Sänger des Ensembles sind in ihren kleineren Rollen exzellent besetzt.
Bedenkt man dann, dass auch zwei der Hauptrollen mit Ensemble-Mitgliedern besetzt sind, so kann die Begeisterung für dieses Haus eigentlich keine Grenzen kennen. Gerard Schneider singt Sinowi Ismailow, den Ehemann der Katerina und seine Stimme weiß dessen feigen, schwachen Charakter wunderbar umzusetzen. Auch er ist ein Opfer seines brutalen, herrschsüchtigen Vaters Boris Ismailow, der bei Andreas Bauer Kanabas in besten Händen ist. Dessen imposante Bassstimme erstickt jedes Aufmupfen im Keim, sei es von seinem Sohn, dessen Frau oder seinen Arbeitern. Brutal und gewollt rau erklingt dann die Stimme. Weich wird sie, wenn Boris seine Jugend besingt. Im vierten Akt singt Bauer Kanabas auch die Rolle des alten Zwangsarbeiters mit großem, warmem Bass.
Dmitry Golovnin ist als Sergei einer der beiden Gastsänger. Mit seinem flexiblen Tenor verleiht er Sergei den Charme, um Katerina zu verführen. Man bemerkt in jedem Moment, dass hier ein erfahrener Schürzenjäger am Werk ist. Ebenso brillant drückt er hinterher seinen Hass gegenüber Katerina aus, die er für sein Schicksal verantwortlich macht, um dann sich wieder verführerisch an Sonjetka heranzumachen.
Schlussendlich kommt meine Rezension zur Hauptprotagonistin der Oper, der Katerina von Aile Asszonyi: schauspielerisch und gesanglich eine Glanzleistung. Man sieht und hört bei ihr die Sehnsucht der Katerina nach Zärtlichkeit und Liebe, aber auch den Hass gegenüber ihrem Schwiegervater Boris. Ihre Stimme blüht auf, wenn sie sich Sergei hingibt. Dann hört man plötzlich wieder die Angst, alles zu verlieren. Zum Ende hin schwingt in ihrer Stimme wieder die Enttäuschung und Resignation, von der sie nur der Selbstmord erlöst. Alle diese Stimmungsschwankungen hört man in der großen, gutgeführten Stimme der estnischen Sopranistin, die das Frankfurter Opernpublikum schon mehrfach in ihren Bann zog.
Die Regie von Anselm Weber unterstreicht die Idee von Schostakowitsch, dass Katerina in erster Linie ein Opfer der männlichen Gewalt ist. Sie lebt in dieser Gesellschaft von Brutalität, Gier, Korruption, sexueller Übergriffe, Gesetzlosigkeit. Sie sehnt sich nach Zuneigung, Zärtlichkeit und findet diese einen Moment lang bei Sergei. Sie kann sich allerdings nur aus dieser Gesellschaft befreien, wenn sie deren Regeln selbst übernimmt. So wird sie zur dreifachen Mörderin.
Der Frankfurter Schauspielintendant zeigt, dass Katerinas Geschichte zeitlos und nicht ortsgebunden ist. Bühne und Kostüme von Kaspar Glarner unterstreichen dies. Ratten gibt es überall, und es sind nicht immer Tiere.
Die erste Vorstellung der Wiederaufnahme war leider nicht ausverkauft. Weitere Vorstellungen sind am 3., 11., 20. und 26. Oktober. Ich kann nur raten: unbedingt anschauen! Sie werden einen spannenden Opernabend erleben!
Jean-Nico Schambourg, 1. Oktober 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at