Fotos: (c) Philip Loeper
Elbphilharmonie, 6. Februar 2022
Dmitri Schostakowitsch, Symphonie Nr. 14 g-Moll op. 135
Ludwig van Beethoven, Klavierkonzert Nr. 5 Es-Dur op. 73
Philharmonisches Orchester Hamburg
Leitung: Kent Nagano
Sopran: Katharina Konradi
Bass: Alexander Vinogradov
Klavier: Till Fellner
von Dr. Andreas Ströbl
Schostakowitsch wusste, was Quarantäne bedeutet. Im Januar und Februar 1969 lag er nach zwei Herzinfarkten mit Besuchsverbot in einem Moskauer Krankenhaus. Da half das Lesen der Dichtungen von Lorca, Apollinaire, Küchelbecker und Rilke. Keine leichte Kost, und das trifft auch auf seine in dieser Zeit entstandene 14. Symphonie zu, die er Benjamin Britten widmete und in der er 11 Texte der genannten Dichter vertonte. Anders als Britten, der mit der Todeserfahrung ein „eigentümliches Leuchten“ verband, empfand sich der kranke und von einem mühsamen Leben unter dem jahrelangen Stalin-Terror geschwächte Schostakowitsch von der Düsternis des Todes umgeben. Vor der Generalprobe ließ er die Musiker in die Schattenwinkel seiner Seele blicken: „Der Tod wartet auf uns alle und ich kann jedenfalls nichts Gutes daran finden, dass unser Leben zu Ende geht.“
Die Nähe zum verehrten Komponistenfreund tritt in seiner vorletzten Symphonie eher formal zutage, denn eigentlich ist sie ein Liederzyklus, eine auch von Britten genutzte Kompositionsform. Im ersten Satz verbirgt sich zudem ein Zitat aus dessen „A Midsummer Night´s Dream“.
Bereits die Titel der Gedichte wie beispielsweise „De profundis“, „Der Selbstmörder“ oder „Der Tod des Dichters“ machen deutlich, dass hier ultimative Grenzerfahrungen und Verarbeitungen des Lebensendes thematisiert werden, wenngleich Schostakowitsch ohnehin den größten Teil seiner Symphonien als „Grabdenkmäler“ bezeichnete. Nun sind Texte und Musik dieses Werks mit all seinen Todesbezügen weniger eine bitter-morbide Beschwörung des endgültigen Abschieds; sie enthalten eine Anklage gegen die Henker totalitärer Systeme wie eben des stalinistischen, dessen Verfolgung allen Abweichlertums und kritischer Stimmen mit dem Tod des Diktators 1953 alles andere als beendet war und das gerade im heutigen Russland fröhlichste Urständ feiert. Das verleiht dieser eigenwilligen Symphonie eine bedrückende Aktualität.
Das Eigenwillige liegt dabei sowohl in der Form als auch der Instrumentierung, denn es ist ein relativ kleines Orchester mit Streichern, Schlagwerk und Celesta sowie einer Sopranistin und einem Bass. Als ob diese Partie für Alexander Vinogradov komponiert worden wäre, sang er diese mit beeindruckender Präsenz und Fülle, wobei ihm als Muttersprachler die vollendete gesangliche Darbietung der sämtlich ins Russische übertragenen Texte naturgemäß entgegenkam.
Katharina Konradis klarer Sopran stand dem in nichts nach und sie schaffte es mühelos, trotz all der inhaltlichen Schwere gerade in den Höhen immer wieder eine Leichtigkeit zu vermitteln, die das Grenzwertige erträglich, ja genießbar machte. Die beiden Solisten und das Orchester mit seiner ungemein vielfältigen Instrumentierung waren von der Dynamik her wunderbar ausgewogen, Kent Nagano gestaltete sein Dirigat dem Werk angemessen zurückhaltend und fein akzentuiert. Zurückhaltung und uneitles Auftreten sind hier bei allen Mitwirkenden gefragt und umso mehr ist zu würdigen, wie bescheiden Konradi und Vinogradov ihre hochkarätige gesangliche Leistung in den Dienst der gemeinsamen Aufführung stellten.
Der Reiz liegt, was die Instrumente in dieser Komposition angeht, in der Erweiterung des Streicher-Kammerorchesters durch Celesta und Schlagwerk, das von Xylophon, Röhrenglocken, Holzblock und Trommeln dominiert und um weitere Instrumente ergänzt wird. Gerade das Xylophon, hier als klangliches Todessymbol eingesetzt, wirkt zuweilen parodistisch, weil sein vermeintliches lustiges Geklapper, wie in Saint-Saëns „Danse macabre“, an das von Knochen erinnert. Motive der Sänger werden wiederholt durch einzelne Schlagwerk-Instrumente und Streichergruppen aufgenommen, wodurch spannungsreiche Dialoge entstehen. Zugleich werden Verbindungen zwischen den Text-Inhalten und der musikalischen Umsetzung hergestellt, wenn zum Beispiel Sopranistin und Cello die Klage auch klanglich tief erlebbar machen.
Die Streicher waren phantastisch, denn sowohl Violinen, als auch Celli und Bässe entließen mit exakten Pizzicati und Spiccati feine, harte Klangtupfen in den Saal; die Violinen erreichten mitunter eine schneidende Schärfe, die an Bernard Herrmanns Musik zur Mordszene in „Psycho“ erinnerte.
Dennoch gab es immer wieder elegisch-lyrische Momente, die aber stets durch höhnisch wirkende Brüche, unangenehm drohende Spannungssteigerungen, Zwölfton-Gebilde und gespenstische Schlagwerk-Akzente ins Finstere abgebogen wurden. Diese Umschwünge charakterisieren die schwierige musikalische Sprache dieser Symphonie, die das Publikum mit nichts Geringerem als dem großen Gesang des Todes konfrontiert. Wären da nicht die spannungslösenden, wehmütigen, ja versöhnlichen Inseln mit warmem Streicherton und die im Gedicht „An Delwig“ geäußerte Hoffnung auf den Fortbestand des eigenen Lebens durch das Schaffen, siegte die Resignation in diesem ergreifenden Werk. Die letzten Noten sind dennoch hart und offen, ins Düstere hin.
Ein begeisterter Applaus verschaffte nicht nur eine spürbare Erleichterung, sondern würdigte auch eine großartige Gesamtleistung.
Einen emotionalen und musikalischen Komplett-Umbruch brachte nach der Pause Beethovens 5. Klavierkonzert. Diese musikalische Äußerung strahlender Lebensfreude schrieb Beethoven in der heißesten Phase der napoleonischen Kriege; kurz nach Fertigstellung des Konzerts war Wien von den Franzosen belagert. Die Hoffnung auf einen österreichischen Sieg über Napoleon schrieb er mit gerechtem Zorn sogar in die Partitur.
Die Entschiedenheit und Lebensbejahung, die dieses Konzert ausmacht, brachte der Pianist Till Fellner, ein Meisterschüler Alfred Brendels, mit großer Souveränität zum Leuchten. Die eröffnende Solokadenz ergoß sich mit perlender Leichtigkeit aus dem Flügel – auch hier herrschte vom ersten Ton an völlige Harmonie zwischen Solist und Orchester. Naganos Dirigat war seltener raumgreifend, eher streichelte er feine Nuancen mit deutlichen Handbewegungen heraus, manchmal stupste er gleichsam die einzelnen Musikerinnen und Musiker an, forderte zuweilen mit nach oben geöffneter Hand Einsätze und Akzente.
Der Hörnerklang im ersten Satz war samtig-schmiegsam und voller Wehmut, wie es das romantische Motiv verlangt. Auch die Holzbläser spielten sowohl sanft als auch klar und es entstand die teils zurückgenommene, teils froh herausbrechende Festlichkeit, die dieses Werk prägt und auch beim 300sten Hören frisch und lebendig erhält, wenn es so dargeboten wird wie von Fellner und dem Philharmonischen Orchester. Zu dieser Frische trug das flotte, angenehm unpathetische Tempo bei.
Mit winzigen Synkopen setzte der Pianist den vertrauten Stellen einen eigenen, nie aber aufgesetzt wirkenden Stempel auf. Fellner spielte dem Habitus der Musik entsprechend energisch und entschieden, blieb dabei aber der Anmut treu, die gerade den zweiten Satz in weiten Zügen ausmacht. Diesen Satz kann man sehr kitschig spielen, aber die dynamische Gangart in dieser Interpretation ließ hier kein Abgleiten zu. Vielmehr malten die Hamburger ein blumiges Moosbett mit kleinen Sonnenstrahlen wie auf einem impressionistischen Gemälde.
Leidenschaftlich und feierlich mit stellenweise fast singendem Klavier entwickelte sich die Freundlichkeit des dritten Satzes, in der sich Pianist und Orchester gegenseitig die musikalischen Bälle zuspielten, bis dann ein zackiges Finale die letzten Klangsterne in die Luft warf.
Der langanhaltende und herzliche Beifall war zweifelsohne verdient. So muss dieses Klavierkonzert klingen!
Dr. Andreas Ströbl, 7. Februar 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Rising Stars 2: Katharina Konradi – Sopranglanz aus östlicher Ferne
10 Fragen an die Sopranistin Katharina Konradi klassik-begeistert.de, Staatsoper Hamburg.de