Foto: Der Vorhang schließt sich nach dem dritten Akt; mit Yeongyou Katharina Jang (Thibault), Eve Maud Hubeaux (Eboli), Nino Machaidze (Elisabeth) Alexey Bogdanchikov (Posa), Alexander Vinogradov (Philipp II.) und Olivia Boen (Stimme vom Himmel) (Foto RW)
Don Carlos
Oper von Giuseppe Verdi in französischer Sprache
Ungekürzte Fassung in 5 Akten und 10 Bildern
Philharmonisches Staatsorchester Hamburg,
Leitung Leo Hussain
Staatsoper Hamburg, 23. November 2023
von Dr. Ralf Wegner
Wer hat schon am späten Donnerstagnachmittag Zeit, um in die Oper zu gehen. Sehr viele waren es nicht. Das tat der Begeisterung am Ende keinen Abbruch. Wer die ausgedehnte, mehr als 4 Stunden Nettospielzeit umfassende Inszenierung Konwitschnys bereits kennt und nicht die dafür notwendige Zeit opfern will, sollte trotzdem hingehen, wenigstens nach der zweiten Pause zum 4. Akt, denn dann beginnt das eigentliche Musikdrama erst.
Zunächst, ich bin kein Freund der französischen Grand Opéra-Fassung. Auf italienisch klingt Verdi einfach besser. Der sog. Fontainebleauakt ist für mich musikalisch verzichtbar, vor allem reduziert er die späteren Liebeskonflikte auf banale Fakten. Man muss bei Verdi nicht erklärt bekommen, warum jemand liebt oder hasst, dass erschließt sich allein aus der Musik.
Verzichtbar ist ebenso das ursprünglich als Ballett gedachte Intermezzo, in dem Konwitschny die Unterbühne hochfahren lässt und den Blick in ein 1950er-Jahre Wohnzimmer freigibt. Dort begrüßt Eboli ihren von der Arbeit heimkommenden Ehemann Don Carlos und später dessen Eltern Philip II. und Elisabeth. Konwitschny nennt diese Episode „Ebolis Traum“. Nach einer langen Pause folgt dann die ebenfalls der Grand Opéra geschuldete Autodafé-Szene, bei der Konwitschny Angekettete durch das Opernfoyer auf die Bühne treiben und anschließend das Königspaar denselben Weg bis zu ihrem musikalischen Auftritt beschreiten lässt.
Auf was verzichtet man beim Eintreffen erst nach der zweiten Pause zum vierten Akt? Auf Ebolis Schleierlied, das Freundschaftsduett Posa-Carlos und auf die, allerdings wichtige, intensive Auseinandersetzung Philipps mit Posa. Man gewinnt aber drei Stunden Lebenszeit und kann sich ganz auf die großartige Komposition Verdis zum 4. und 5. Akt konzentrieren. Damit man mich richtig versteht, ich halte den 2. und 3. Akt nicht für überflüssig, sondern den 1. Akt und das Intermezzo. Verdi versteht sich allein aus der Musik, und die ist mit ergänzender inszenatorischer Logik allenfalls zu verwässern.
Gesungen wurde sehr gut. Der US-amerikanische Tenor Russell Thomas war ein beeindruckender Carlos mit klangvoller, farbreicher Stimme, die im Forte mühelos das Orchester überstrahlte. An seiner etwas steifen Darstellung könnte er allerdings noch etwas arbeiten. Darstellerisch und gesanglich großartig zeigte sich die Schweizer Mezzosopranistin Eve Maud Hubeaux als Eboli. Anfangs noch eher verhalten singend öffnete sich ihre Stimme noch vor dem Schleierlied und imponierte mit glutvollem Timbre und einem einer emporschießenden Fontäne gleichenden Forte. Auch schien ihre stimmliche Spannweite ausgeprägt zu sein mit noch in der Tiefe beeindruckendem Klangausdruck.
Die Elisabeth wurde von Nino Machaidze gesungen, die hier in Hamburg vor allem als Luisa Miller mit glasklaren Koloraturen einen recht guten Eindruck hinterlassen hatte, wenngleich ihre Sopranstimme im Forte zur Schärfe neigte. Für die stimmlich anspruchsvollere Rolle der Elisabeth schien mir ihre Stimme anfangs nicht raumfüllend und warm genug; die große Arie im vorletzten Bild wischte diesen Eindruck allerdings hinweg. Sie überzeugte mit ihrer Art des Singens, und ohne jede stimmliche Schärfe, sowie ihrer intensiven Darstellung mit einer großen Leistung und wurde dafür am Ende zu Recht umjubelt.
Alexey Bogdanchikovs Bariton passte gut zum Posa, seine Sterbearie im vierten Akt gehörte zum Besten, was wir von diesem Ensemblemitglied der Hamburgischen Staatsoper bisher hören durften. Wenn seine Stimme noch etwas durchschlagskräftiger wäre, könnte er zu den Großen seiner Stimmkategorie aufschließen. Die Rolle des Philipp wurde von dem sehr zuverlässigen Bass Alexander Vinogradov gesungen. Er verfügt über eine große, strahlkräftige Stimme, die kaum von einem Vibrato beeinträchtigt wird. In vielen Rollen, die er hier in Hamburg bisher gesungen hat, wie den Grafen Walter in Luisa Miller oder Zacharias in Nabucco, überzeugte er als einer der Besten seines Fachs. Als Philipp fehlte seiner Stimme aber etwas, nicht in den dramatischen Auseinandersetzungen mit Posa oder dem stimmstarken Liang Li als Großinquisitor, sondern bei der innigen Liebesarie zu Beginn des 4. Aktes Sie hat mich nie geliebt, nämlich das letzte Quäntchen an Liebeswärme und Stimmschmelz, die seine royalen Eskapaden vergessen lassen. Eine weitere Rolle muss erwähnt werden, die des Thibault, gesungen von dem Mitglied des Internationalen Operstudios, der aus Südkorea stammenden Sopranistin Yeonyoo Katharina Yang. Sie machte mit großer Spielfreude und mit schöner kräftiger Stimme vor allem im Fontainebleauakt auf sich aufmerksam.
Der jubelnde Beifall des Publikum schloss am Ende alle Mitwirkenden ein, zudem war er angesichts der extrem langen Aufführungsdauer recht anhaltend.
Dr. Ralf Wegner, 24. November 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Giuseppe Verdi, Don Carlo Staatsoper Unter den Linden, Berlin, 8. Oktober 2023
Giuseppe Verdi, Don Carlos, Staatsoper Hamburg, 2. Juni 2019
Giuseppe Verdi, La Traviata Macerata Opera Festival, 13. August 2023
Giuseppe Verdi, Luisa Miller, Joseph Calleja, Nino Machaidze, Staatsoper Hamburg
Vielen Dank für diese ausführliche und kenntnisreiche Berichterstattung. Bin nun umso gespannter auf die morgige Vorstellung.
Lars Rüter
In 107 live-erlebten Aufführungen dieses Werkes im Laufe von mehr als 50 Jahren waren nur 13 in der französischen Originalfassung. Ich gebe zu, mir ist die italienische Version lieber. Aber was würden Sie dazu sagen, wenn die Solisten nur jene Teile des Werkes singen, die ihnen am besten gefallen, und sich ansonsten absentieren? Nicht gerade professionell, oder? Als zahlende Besucherin könnte ich es mir erlauben, jene Bilder/Akte durch einen Buffetbesuch ersetzen. Wäre ich jedoch Kritikerin, würde ich die GANZE AUFFÜHRUNG besprechen… oder gar kein Wort schreiben. Durch Ihre Einstellung haben Sie sich einfach disqualifiziert und Ihre Beobachtungen sind m.E. irrelevant.