Foto: Aleix Martinez (Foto: RW)
Das klingt kitschig, ist es aber nicht. Niemals kommt bei Neumeiers Ballett eine Gefühligkeit auf, die befremdet oder auf die Tränendrüse drückt. Selbst die Szene vor dem sich aufblähenden Atompilz mit Alessandro Frola vermittelt anfangs nur eine gewisse Unterkühlung, die sich erst lange danach in der Erinnerung zu einem Feuersturm verdichtet.
Dona Nobis Pacem
Ballett von John Neumeier nach Johann Sebastian Bachs Messe in h-Moll
Hamburgische Staatsoper, Premiere B, 7. Dezember 2022
von Dr. Ralf Wegner
Seine als choreographische Episoden titulierte Interpretation der Bach’schen H-Moll-Messe nennt Neumeier nach dem letzten Choral (Nr. 23) Gib uns Frieden bzw. auf Latein Dona nobis pacem.
Es geht um Glauben, um die Beziehung zu Gott, um den auferstandenen Christus und zum Schluss auch um das Beten um Frieden für die Welt. In Neumeiers Choreographie verweben sich die menschliche und die himmlischen Ebene. Soldaten fallen, Angehörige trauern, andere gehen ihrem Tagesgeschäft nach, und weiß gekleidete Engel verkünden von der Hoffnung, die über das eigene Leben hinausreicht.
Immer wieder erinnern Schritte, Figurenkonstellationen und Dekorationen an andere Ballette Neumeiers, ohne dass es repetitiv wirkt, vielmehr entsteht ein neues Ganzes.
Die Solisten des Hamburger Ensembles heben sich manchmal tänzerisch vom Ensemble ab, treten aber auch wieder ins Glied zurück und zeugen zusammen von einer großartigen Ensembleleistung. Herausgehobene Technik wird nicht zugelassen; selbst die jüngsten, als Kindersoldaten auftretenden Tänzer der Ballettschule könnten, so fühlt es sich an, die solistischen Parts ohne Einbuße an darstellerischer und tänzerischer Kraft übernehmen. Von sämtlichen Tänzerinnen und Tänzern wird mit einer Inbrunst und Hingabe getanzt, die ihresgleichen sucht.
Einer der Tänzer ragt hervor, es ist Aleix Martinez, der während nahezu der gesamten Aufführung auf der Bühne steht und in mehreren Soli mit der ihm eigenen expressiven Kraft den Jammer und die Hoffnung der Menschheit ausdrückt.
Das klingt kitschig, ist es aber nicht. Niemals kommt bei Neumeiers Ballett eine Gefühligkeit auf, die befremdet oder auf die Tränendrüse drückt. Selbst die Szene vor dem sich aufblähenden Atompilz mit Alessandro Frola – der mit großem tänzerischen Ausdruck den Schatten lebendig werden lässt, welcher die Neutronenstrahlung von einem Menschen auf der Betonwand hinterlassen hat – vermittelt anfangs nur eine gewisse Unterkühlung, die sich erst lange danach in der Erinnerung zu einem Feuersturm verdichtet.
Weitere der hervorragenden Tänzerinnen und Tänzer zu benennen würde bedeuten, die anderen hintanzustellen. Gerade bei diesem Ensembleballett erscheint mir das fast obsolet. Erwähnen muss man aber die großartige musikalische Seite der Aufführung. Schon zu Beginn macht das Vocalensemble Rastatt mit einem satten, runden und weit tragenden Klang auf sich aufmerksam, hervorragend von dem Ensemble Resonanz unter der Leitung von Holger Speck begleitet.
Auch die solistischen Partien mit Marie Sophie Pollak (Sopran I), Katja Pieweck (Sopran II), Benno Schachtner (Altus), Julian Prégardien (Tenor) und Konstantin Ingenpass (Bass) trugen außerordentlich zum Gelingen der Vorstellung bei. Soweit im Internet nachschaubar, sind in dieser Saison bereits alle Vorstellungen ausverkauft. Nicht selten gelangen jedoch wegen u.a. Abonnementsrückgaben etwa einen Tag vor der jeweiligen Vorstellung noch Karten an die Kasse.
Dr. Ralf Wegner, 8. Dezember 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Ballett von John Neumeier, Préludes CV Hamburgische Staatsoper, 2. November 2022
Hamlet 21, Ballett von John Neumeier Staatsoper Hamburg, 16. Oktober 2022