Alexandr Trusch überwältigt tänzerisch und darstellerisch als Hamlet 21

Hamlet 21, Ballett von John Neumeier  Staatsoper Hamburg, 16. Oktober 2022

Alexandr Trusch als Hamlet (Foto: RW)

Was Trusch neben seiner tänzerisch-technische Perfektion darstellerisch-mimisch aus der Rolle herausholt, ist phänomenal. Man meint, sich in seinem Kopf zu befinden und direkt an den impulsiv gesteuerten Emotionen des Tänzers teilzuhaben.

Hamlet 21, Ballett von John Neumeier
Nachmittags- und Abendvorstellung

Staatsoper Hamburg, 16. Oktober 2022

von Dr. Ralf Wegner

Wo gibt es derzeit einen Tänzer, der diese Rolle so charismatisch, so tief unter die Haut gehend interpretieren könnte? Wahrscheinlich müsste man lange suchen und würde doch niemanden finden. Der 33-jährige Erste Solist des Hamburger Balletts Alexandr Trusch zeigt nicht nur mit seinen hohen, weiten Sprüngen und pfeilschnellen Drehungen, sondern auch mit seinem bewunderungswürdigen physischen Durchhaltevermögen, dass er zur internationalen Spitze der klassisch ausgebildeten Tänzer zählt.

Was Trusch darüber hinaus darstellerisch-mimisch aus der Rolle herausholt, ist phänomenal. Man meint, sich in seinem Kopf zu befinden und direkt an den impulsiv gesteuerten Emotionen des Tänzers teilzuhaben. Wie Trusch uns mit wenigen Mitteln Hamlets Seelenleben, seine Freude, seine Angst, Trauer, sein Mitleid, seine Liebe, auch seine in Aggressivität und Gehässigkeit mündende Wut und damit die ganze Bandbreite seiner Emotionen eröffnet, ist allein von der schauspielerischen Leistung her faszinierend und gleichzeitig unser Inneres ergreifend anzusehen.

Trusch tanzte aber nicht nur in sich gekehrt für sich, sondern partnerte auch außerordentlich zuverlässig. So gehörten die Pas de deux mit Geruth, seiner Bühnenmutter, zu den Höhepunkten des Balletts. Die 28-jährige, aus Neumeiers Ballettschule hervorgegangene Solistin Yaiza Coll tanzte ausdruckstark und charismatisch diese sich willenlos den politischen Machtverhältnissen unterordnende und trotzdem sexuell selbstbestimmte Partie der dänischen Fürstentochter Geruth.

Anna Laudere scheint mir der Rolle der zwischen Intro- und Extroversion zerrissenen Ophelia entwachsen zu sein. Tänzerisch ist sie natürlich ausgezeichnet, aber die ihr eigene hoheitsvolle Anmut passt nicht mehr recht zum Charakter der leicht neben sich stehenden Tochter des Staatsbeamten Polonius. Warum Laudere zudem in der Nachmittags- und Abendvorstellung tanzte, und eine herausragende Darstellerin der Ophelia (Emilie Mazoń) nur als eine der drei Hofdamen Geruths (mit Xue Lin und Yun-Su Park) eingesetzt wurde, wird für die Zuseher im Dunkeln bleibende Gründe haben.

Nach der Nachmittagsvorstellung: Aleix Martinez (Gaukler), Florian Pohl (Horvendel, Hamlets Vater), Anna Laudere (Ophelia, Polonius’ Tochter), Edvin Revazov (Hamlet), Yaiza Coll (Geruth, Hamlets Mutter), Félix Paquet (Fenge, Horvendels Bruder und Hamlets Onkel), Christopher Evans (Koller und dessen Sohn Fortinbras, Könige von Norwegen) (Foto: RW)

Geruths ungeliebt angetrauter und vom Schwager Fenge (nachmittags etwas blass bleibend Félix Paquet, abends der sich seiner erotischen Wirkung auf Geruth bewusstere Matias Oberlin) gemordete Ehemann Horvendel wurde machtbewusst und körperlich dominant von Florian Pohl getanzt, der von seinem in Zweifeln verstrickten Sohn Hamlet in einem ausdrucksstarken Pas de deux Rache für Vergangenes einfordert.

In der Nachmittagsvorstellung tanzte der 38-jährige Edvin Revazov die Partie des Dänenprinzen. Anders angelegt als bei Trusch beeindruckte auch er mit bisher von mir so nicht wahrgenommener darstellerischer Tiefe sowie auch mit einer technisch überlegeneren Leistung. Vor allem die Pas de deux mit seiner Ehefrau Anna Laudere überzeugten durch harmonische und anmutige Bewegungen.

Wie bei vorhergehenden Aufführungen faszinierte Ivan Urban mit der Rolle des überkorrekten Staatsbeamten und Oberlehrers Polonius, ausdrucksstark geriet auch Nicolas Gläsmann der Part des Horatio, nicht nur darstellerisch, sondern auch sprachlich, denn als eine der wenigen auf der Bühne hatte er einige erläuternde Texte zu sprechen. Die mehr sprungtechnisch fordernde Rolle der Norwegerkönige Koller und Fortinbras waren Christopher Evans und Lizhong Wang anvertraut, den jungen Fortinbras tanzte in beiden Vorstellungen Francesco Cortese. Bleiben noch die mit Borja Bermudez, Aleix Martinez und David Rodriguez stark besetzten Gaukler abschließend zu erwähnen.

Nach der Abendvorstellung: Yaiza Coll (Geruth), Matias Oberlin (Fenge), Lizhong Wang (Koller, Fortinbras) (Foto: RW)

Der Beifall war langanhaltend und jubelnd, vor allem für die beiden Tänzer des Dänenprinzen, nachmittags wurden Blumen für Yaiza Coll und Anna Laudere geworfen.

Dr. Ralf Wegner, 17. Oktober 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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