Dresdner Festspielklänge mit Wehmut und Zuversicht

Dresdner Festspielklänge mit Wehmut und Zuversicht  Dresdner Musikfestspiele, 16./17. Mai 2020

Dresdner Musikfestspiele, 16. / 17. Mai 2020

Foto: Semperoper Dresden, © Matthias Creutziger

von Pauline Lehmann

Ein Hauch des frühsommerlichen Dresdner Festspielfeelings weht an diesem Wochenende durch die Studios, Wohnzimmer und Küchen auf der ganzen Welt. Das Onlinefestival der Dresdner Musikfestspiele ist wie ein kurzer Blick hinter den Vorhang, es erinnert an vergangene Festspielmomente und birgt zugleich eine Vorfreude auf die kommende Saison – unter hoffentlich besseren Vorzeichen.

Kunst und Kultur brauchen ein Podium, sie atmen durch gemeinsame Momente und Erlebnisse. Abgesehen von den finanziellen und existenziellen Nöten der freischaffenden Künstler, ist eine lebendige Kulturszene auch für das menschliche Miteinander unentbehrlich. Kunst und Kultur sind ein Lebenselixier, eine kreative Quelle für das gesellschaftliche Zusammenleben und zugleich ein Spiegel für einen reflexiven Blick.

Für Veranstalter, Künstler und Publikum sind Videostreams eine Interimslösung, aber kein Ersatz für ein Live-Event im Konzertsaal. Dennoch haben Jan Vogler und sein Team das Beste aus der derzeitigen Situation gemacht und mit einem unverbesserlichen Optimismus so manche Nacht an einem überaus gelungenen Online-Programm gestrickt.

Locker und leger, künstlerisch hochkarätig und stilistisch vielfältig präsentieren sich in dem 24-stündigen Streaming-Puzzle über 80 Künstler. Zwischen Grußbotschaften, Livestreams und Konzertaufnahmen aus dem Festspielarchiv mischen sich kurzweilige Plaudereien mit Jan Vogler und Ute Lemper aus ihren New Yorker Wohnungen, pathetisch-humorvolle Worte von Martin Brambach und die Schauspielerin Katja Riemann umgibt sich mit der Aura einer Märchenerzählerin.

Ob bahnbrechende Akkordeonklänge mit Kimmo Pohjonen, virtuose Beats mit Martin Grubinger und dem Percussive Planet Ensemble, die New York Gypsy Allstars oder musikalische Comedy mit Aleksey Igudesman und Hyung-ki Joo zu später Stunde – auch auf der virtuellen Bühne sind die Dresdner Musikfestspiele Genre-Grenzgänger.

Köstlich und herzerfrischend interpretiert der argentinische Tenor José Cura die »Children’s Songs« von Maria Helena Walsh und gerade diese Aufnahme wirkt wie ein Blick in eine sorglosere Zeit, daneben gibt es per Livestream Songs von China Moses, Ute Lemper und Aoife OʼDonovan.

In die Welt der 88 Tasten entführt die chinesische Pianistin Tiffany Poon. Mit makelloser, beinahe überperfekter Technik bringt sie die Klaviersonate in C-Dur von Domenico Scarlatti, eine verträumte »Waldszene« von Robert Schumann sowie einen brillanten Chopin zu Gehör. Bei Francesco Tristano verbinden sich graziöse barocke Klavierklänge von Orlando Gibbons und John Bull mit eigenen modernen Sounds.

Die Countertenöre Valer Sabadus und Xavier Sabata setzen barocke i-Tüpfelchen und auch Musik von Johann Sebastian Bach gibt es reichlich. Die berühmte Chaconne aus der Partita Nr. 2 d-Moll ist sogar mehrmals zu hören, u.a. von Avi Avital an der Mandoline und von Anneleen Lenaerts an der Harfe.

Kevin Zhu scheint Niccoló Paganinis hoch virtuoses »Nel cor più non mi sento« förmlich aus den Fingern zu fließen. Jan Vogler zaubert den »Schwan« aus Camille Saint-Saënsʼ »Karneval der Tiere« und der kolumbianische Cellist Santiago Cañón Valencia schafft mit Arvo Pärts »Fratres« einen sphärischen, mystischen und sakralen Klang.

Aus ihrem Archivschatz kramen die Dresdner Musikfestspiele sinfonische Höhepunkte der letzten beiden Jahre: Romantisch-schwelgerisch erklingt die Ouvertüre aus der Schauspielmusik zu Shakespeares »Ein Sommernachtstraum« von Felix Mendelssohn Bartholdy, eine Aufnahme aus dem Kulturpalast mit dem Dresdner Festspielorchester unter der Leitung von Ivor Bolton. Auch gibt es eine Erinnerung an das Berlinkonzert im vergangenen Jahr mit Jan Vogler, dem Orchester des Mariinsky-Theaters unter der Leitung von Valery Gergiev und dem Konzert für Violoncello und Orchester Nr. 2 op. 126 von Dmitri Schostakowitsch.

Auch die Verleihung des »Glashütte Original MusikFestspielPreises«, gestiftet von der Uhrenmanufaktur Glashütte Original, geht virtuell über die Bühne. Nach Joshua Bell erhält in diesem Jahr die Sängerin und Dirigentin Barbara Hannigan, eine der beeindruckendsten zeitgenössischen Künstlerinnen, den Preis für ihr Engagement um die Förderung junger Künstler.

Es gibt auch schon Ausblicke für das nächste Jahr: Das Konzert mit dem Jazzer Jamie Cullum wird nachgeholt und auch die Sängerin und Songwriterin Aoife OʼDonovan kommt im Frühsommer 2021 an die Elbe. Für alle, die in den kommenden Tagen noch ein bisschen Festspielflair im Netz genießen möchten: Die Videos vom 24 Stunden-Livestream-Festival werden bis zum 12. Juni 2020, dem eigentlichen Ende der diesjährigen Dresdner Musikfestspiele, auf der Webseite gepostet.

Pauline Lehmann, 20. Mai 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

 

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