Foto: Kulturpalast Außenansicht © Nikolaj Lund
Nachdem sich die Dresdner Musikfestspiele vor vier Jahren erstmals mit einem Festival im Festival dem Cello verschrieben und damit auch die „Lange Nacht des Cellos“ aus der Taufe hoben, lädt Jan Vogler in diesem Jahr abermals die ‚Altmeister‘ des Faches sowie junge, hochtalentierte und aufstrebende Künstlerkolleginnen und -kollegen, altbekannte und neue Gesichter, an die Elbe. In Dresden ist die „Cellomania 2.0“ in vollem Gange und die zweite „Lange Nacht des Cellos“ hält, was sie verspricht: Ein musikalisches Feuerwerk zu sein.
Kulturpalast Dresden, 26. Mai 2022
Lange Nacht des Cellos
Nicolas Altstaedt, Santiago Cañón-Valencia, Pablo Ferrández, Zlatomir Fung, David Geringas, Marie-Elisabeth Hecker, Friederike Herold (als Gast), Sheku Kanneh-Mason, Anastasia Kobekina, Harriet Krijgh, Mischa Maisky, Ivan Monighetti, Edgar Moreau, Johannes Moser, Daniel Müller-Schott, Miklós Perényi, Jan Vogler, Pieter Wispelwey, Violoncello
Julien Quentin, Klavier
von Pauline Lehmann
Für die 18 Cellistinnen und Cellisten des Abends oder besser gesagt der Nacht ist ihr Instrument – mit den Worten Jan Voglers gesprochen – gleichsam der „Mittelpunkt der Welt“; ihre Freundschaft zu feiern und dies über alle Generationen und Ländergrenzen hinweg, ist ihr Anliegen, dass sie mit dem begeisterten Publikum teilen. Die jüngste Cellistin in der Runde ist die 16-jährige Friederike Herold, sie studiert bereits an der Dresdner Musikhochschule und musiziert am Sonntag, den 29. Mai, gemeinsam mit der Neuen Jüdischen Kammerphilharmonie Dresden Mieczysław Weinbergs Concertino für Violoncello und Orchester op. 43.
Bis weit in die Nacht hinein reihen sich im Saal des Dresdner Kulturpalastes, den die Scheinwerfer stimmungsvoll in wechselnde Farben tauchen, in drei Konzertetappen Cello-Musiken wie erlesene Pralinen aneinander. Die Cellistinnen und Cellisten warten mit unterschiedlichen Besetzungen auf – als Solo, im Duett, im Trio und im größeren Ensemble bis hin zur 17-köpfig besetzten „Sardana“ für Violoncello-Orchester von Pablo Casals im Finale. Mit dem in Paris geborenen Pianisten Julien Quentin haben sie einen erfahrenen Duopartner an ihrer Seite, auf den sie sich verlassen können und welcher mit seinem expressiven, sensiblen und klaren Spiel beeindruckt.
Einzig die Umbauten des Bühnenarrangements beeinträchtigen. Sicherlich ist dies in bestimmtem Maße akustisch (und optisch) unabdingbar, da die Besetzungen immerzu wechseln und ARTE das Konzert aufzeichnet. Jedoch ist auch zu bedenken, dass die fast auf jedes Musikstück folgenden Umbauten den dramaturgischen Spannungsbogen aufdröseln, das Publikum aus seinem Hörerlebnis reißen und letztendlich das Konzert gefahrläuft, nicht mehr als Ganzes zu wirken, sondern sich stattdessen in aneinandergereihte Filmsequenzen, die immer wieder gecuttet werden, verliert.
Gerade im dritten Teil des Konzerts, welcher dramaturgisch mehr noch als die vorigen vom Kontrast zwischen Ruhe und Ausgelassenheit, Melancholie und Übermut lebt, ist der Spannungsbogen aus so dünner Seide, dass – übertrieben gesprochen – nicht einmal eine Stecknadel hätte zu Boden fallen dürfen. Er beginnt mit Ivan Monighettis solistisch dargebotenen Präludien von Mieczysław Weinberg und der „Sarabande“ aus der Suite für Violoncello solo C-Dur BWV 1009 von Johann Sebastian Bach beinahe meditativ. Der litauische Cellist David Geringas beeindruckt mit einer empathischen Interpretation von zwei eigens von ihm fürs Cello arrangierten Liedern von Richard Strauss’, „Morgen“ und „Cäcilie“ aus den Liedern op. 27. Demgegenüber setzt Vasily Stepanovs „Verdiana Nr. 1“ für 5 Violoncelli nach der Oper „La Traviata“ von Giuseppe Verdi einen heiteren und pastosen Farbtupfer wie auch Carlos Gardels für Violoncello-Quartett arrangiertes Tangolied „Por una cabeza“ süßlich-schwelgerisch und funkensprühend daher kommt.
Doch nun zurück zum Beginn des Abends, obgleich auch hier aufgrund der Fülle nur Schlaglichter gesetzt werden können: Das Konzert eröffnen die Cellistinnen und Cellisten in größerer Runde mit dem „Hymnus“ für 12 Violoncelli op. 57 aus der Feder des Leipzigers Julius Klengel, der nicht nur Solocellist des Gewandhausorchesters und Cellist des Gewandhausquartettes war, sondern sich darüber hinaus auch als Cello-Pädagoge einen bedeutenden Namen machte. Nachdem sich der „Hymnus“ sozusagen von unten nach oben auftürmt, brechen sich hochromantische Phrasen Bahn.
Und auch die junge Elite gibt sich an diesem überlangen Abend musikalisch die Klinke in die Hand: Der Amerikaner Zlatomir Fung, 1999 in Ithaca geboren und Goldmedaillenpreisträger des 16. Internationalen Tschaikowsky-Wettbewerbes im Jahr 2019, interpretiert zwei Stücke des sowjetisch-russischen Komponisten Reinhold Glière.
Getragen vom repetierenden Klangteppich des Klaviers spielt Marie-Elisabeth Hecker ein sinnend-melancholisch beginnendes „Après un rêve“ von Gabriel Fauré, welches sich ins Expressive steigert. Ebenso emotional und tiefgehend interpretiert Pieter Wispelwey das „Kaddish“ aus den „Dieux mélodies hébraïques“ von Maurice Ravel. Mit der Nocturne F-Dur op. 9/2 und der Etüde cis-Moll op. 25/7 gibt der Ungar Miklós Perényi einen wunderbar poetischen Frédéric Chopin, wobei das unterschiedliche, aber dennoch melancholische Kolorit der beiden Stücke zu Tage tritt, so wirkt die Etüde cis-Moll op. 25/7 etwas lichter und heiterer.
Auch der zweite Teil des Konzerts ist voller Gefühl: Die Niederländerin Harriet Krijgh hat zwei Lieder Robert Schumanns, die im Liederjahr 1840 entstanden, im Gepäck, „Stille Tränen“ aus „Zwölf Gedichte“ op. 35 und „Du bist wie eine Blume“ aus den „Myrthen“ op. 25, dem Liederzyklus, den der Komponist „seiner geliebten Braut“, Clara, widmete. Und die in Russland geborene Anastasia Kobekina gedenkt mit der Elegie „La tristesse“ der ukrainischen Komponistin Mykola Lyssenko – einem traurigen Zwiegespräch zwischen Cello und Klavier – dem derzeitigen Kriegsgeschehen in der Ukraine.
Aber die Cellisten des Abends sind auch Grenzgänger ihres Faches, auf der Suche nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten ihres Instruments: Mit Henri Dutilleux’ „3 strophes sur le nom Sacher“ lotet Nicolas Altstaedt die extremen Höhen des Cellos aus und bekommt die ersten Bravo-Rufe des Abends. Doch damit nicht genug: Nach der Pause heizt Johannes Moser mit einem eigens für ihn komponierten Stück von Ellen Reid (geb. 1983), „Somewhere There Is Something Else“, auf dem Elektrocello ein und auch Sheku Kanneh-Mason erkundet mit Edmund Finnis’ (geb. 1984) Preludes für Violoncello neue Sphären des Cello-Klanges. Sphärisch, überaus inspirierend und berauschend.
David Poppers „Requiem“ für 3 Violoncelli und Klavier op. 66 erklingt in Gedenken an den im Jahr 2020 verstorbenen Cellisten Lynn Harrell, welcher auch bei der ersten Auflage der „Cellomania“ 2018 in Dresden zu erleben war. Mit Udo Zimmermanns „Canticum marianum“ für 12 Violoncelli möchten die Cellistinnen und Cellisten an den Komponisten erinnern, welcher im Jahr 2021 verstarb und das Stück für die Dresdner Musikfestspiele des Jahres 1978 komponierte. Beinahe unmerklich steigen die einzelnen Stimmen in die Musik ein und verweben sich.
Eines ist sicher: Wenn so wunderbare Cellistinnen und Cellisten wie hier in Dresden musizieren, mit so viel Herzblut und Freude, dann steht zweifellos fest, dass das Cello der „Mittelpunkt der Welt“ ist.
Pauline Lehmann, 29. Mai 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Junge Deutsche Philharmonie/Nicolas Altstaedt Violoncello, Elbphilharmonie, 22. März 2022