In Düsseldorf führt der Kampf gegen die Titanen schließlich doch zum erlösenden Durchbruch

Düsseldorfer Symphoniker, Gordon Hamilton, Jörg Mohr  Tonhalle Düsseldorf, 4. September 2024

Tonhalle Düsseldorf, 4. September 2024

Düsseldorfer Symphoniker, Foto © Susanne Diesner
Gordon Hamilton, Dirigent
Jörg Mohr, Regie

Hiroyuki Sawano – Attack on Titan – Suite in 2 Teilen, 2021
Gordon Hamilton – „Die Welt am Arsch“, Uraufführung
Gordon Hamilton – Upcycling, 2023
Dmitri Schostakowitsch – Sinfonie Nr. 15 in A-Dur (Satz 1), 1971
John Williams – Suite aus „Close encounters of the third kind“, 1978
Joe Hisaishi – „Merry go round of life“ aus „Howl’s Moving Castle“, 2005

von Daniel Janz

Wenn in Düsseldorf Musik aus Film, Fernsehen und Klassik zusammengewürfelt wird, dann ist wieder #IGNITION. Und was ist das für eine Aufgabe, der sich die Düsseldorfer Symphoniker unter Gordon Hamilton gestellt haben! Schon zum letzten Konzert waren die Titanenkämpfe angekündigt worden. Dass dieses Programm sich aber auch mit aktuellen Problemen und politischen Konflikten auseinandersetzen wird, wird erst deutlich, als Dirigent Hamilton zur Einführung von Kämpfen und Herausforderungen in der Welt spricht. Wie gut dies wohl gelingt, auch eine politische Ebene in ein Konzert für eher junges Publikum zu bringen?
Ob dieses Programm in Teilen wohl eine Reaktion auf die letzten Wahlergebnisse im Osten Deutschlands ist? Denn geht es nach Gordon Hamilton, so ist „die Welt am Arsch“ – das ist jedenfalls der Titel seiner neuesten Komposition, die er an diesem Abend eingewoben in ein raffiniertes Programm vorstellt. Unter allen Werken heute sind seine beiden die mit Abstand Politischsten. Da ist sein auch heute sehr agil gespieltes „Upcycling“ über „Abfall und Recycling“, das ähnlich energisch bereits im Juli zu hören war und damals – wenig überraschend – mit 981 Voten (also über 41 % der Publikumsstimmen) auch als Gewinner der „Green Monday“-Reihe hervorging.

Und dann die Uraufführung „Die Welt am Arsch“ – eine polemische, fast absurde Komposition, in der Hamilton in äußerst kreativer Weise bekannte Politikerzitate aufgreift, elektronisch bearbeitet und mit Musik unterlegt. Da finden sich Klassiker, wie Walter Ulbrichts „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten“ zusammen mit John F. Kennedys „Ich bin ein Berliner“ (inklusive Wortwitz über das Berliner Gebäck), Arnold Schwarzeneggers „Californian Superstar“-Rede und Angela Merkels „Wir schaffen das“, die mal pointiert, mal verrückt, mal karikativ durch den Kakao gezogen und am Ende mit einer wirren Rede von Donald Trump abgerundet werden.

Das hat Unterhaltungswert – auch durch die eingeblendeten Bilder zu Sprache und Musik. Gleichzeitig lädt das bei einem Programm über Kämpfe gegen Titanen und Urgewalten zum Spekulieren ein. Warum erscheinen z.B. die (von Trump genannten) Waschbecken, Toiletten und Glühbirnen aus China plötzlich als Lösung? Braucht es echt den Kalifornischen Superstar (Schwarzenegger), um (wie Nixon fordert) Mauern einzureißen? Und wenn man schon Zitate karikiert und verzerrt – warum nicht die Absurdität vollenden und sie miteinander verweben? „Niemand hat die Absicht, Waschbecken, Toiletten und Glühbirnen von China nach Berlin zu schaffen“ hätte mindestens so viel Witz gehabt, wie „ich bin ein Californian Superstar“. Besonders bei einer Komposition, die sich selbst nicht ernst nimmt. So aber bleiben Fragen offen.

Andererseits fügt sich diese Neukomposition gut mit Schostakowitschs 15. Sinfonie zusammen. Denn auch sie lässt Fragen offen. In einem Programm für junge Besucher wirkt ihr abstrakter erster Satz fast deplatziert. Dabei sucht er mit seinen wirren Melodien und den komischen Fanfareneinwürfen aus Rossinis „Wilhelm Tell“ selbst nach Antworten auf drohende Gefahren. Ironie, Sarkasmus und Groteske? Durchaus Wege, mit Bedrohung umzugehen. Wenn auch keine Lösung. Ein Lob gilt dabei den besonders filigran spielenden Flöten und dem Fagott, sowie der ersten Violine für ihr brillierendes Solo. Sie bilden in dieser verwirrenden Musikkollage das Herz!

Namensgebend für dieses Programm sind aber die Titanen. Nicht jene aus der griechischen Mythologie. Sondern hier besteht der Bezug zu gigantischen, Menschen fressenden Riesen, die im Anime „Attack on Titan“ die letzte Bastion der Menschen immer wieder bedrohen und bei jedem ihrer Angriffe gnadenlos ihre Opfer verschlingen. Gleich 2 Suiten sind ihnen gewidmet, die von Gordon Hamilton als „Shonen“- und als „Kumoreiwi“-Suite vorgestellt werden. Auch, wenn diese Titel in der Nachrecherche unauffindbar sind, wird die Gefahr hier musikalisch greifbar.

Und was für Urgewalten hier losbrechen! Drohend stampfende Rhythmen treffen auf martialische Themen, gefolgt von einem lyrischen Klaviersolo, das sich in ein Meer aus Pathos mit fast heroischem Bläsergesang ergießt. Strahlend bilden Hörner und Trompeten zum aufbrodelnden Posaunenchor mit Trommeldonnern eine Klimax mit Gänsehautgarantie. In der zweiten Suite überwiegen zart gehauchte Streicher und versöhnliche Harfenlänge, zu denen Flöten- und Trompetenklänge hervorleuchten. Englischhorn und Klarinette setzen in süßlich säuselnden Soli der Bedrohung etwas Hoffnung entgegen. Es wirkt wie die Ruhe vor einer Schlacht, die keinen anderen Ausgang als den eigenen Untergang kennen dürfte. Und doch – auch hier gelingt den Hörnern am Ende ein erlösender Triumphgesang.

Damit dürfte das Konzert heute für diejenigen, die die Anime-Vorlage kennen, eine Offenbarung sein. Aber selbst wer diese Serie nie gesehen hat, muss beiden Suiten von Hiroyuki Sawano enorme Wirksamkeit anerkennen. Fast könnte man vom Höhepunkt des Konzerts sprechen, wäre da nicht John Williams’ Musik zu „Close encounter of the third kind“ (zu Deutsch: „Unheimliche Begegnung der dritten Art“). Diese mit einer gewaltigen Friedenshymne inklusive Glocken und erlösenden Bläserfanfaren endende Filmmusik gilt heute eher als Geheimtipp, wurde sie doch in demselben Jahr wie Star Wars komponiert, was bekanntermaßen Weltruhm erlangte.

Tatsächlich wirkt dieses Werk nach einem sich perfekt ins Programm eingliedernden Start heute aber etwas matt. Ob es daran liegt, dass zum Ende hin die Luft beim Blech fehlt oder die Akustik der Tonhalle wieder zugeschlagen hat? Etwas mehr Zug zum fortefortissimo hätte hier jedenfalls für ein atemberaubend durchschlagendes Finale gesorgt. So bleibt es aber hinter den Möglichkeiten zurück und hinterlässt nur einen gelungenen Eindruck. Schade, da wäre mehr drin gewesen. Gerade auch, nachdem das Zittern der Streicher und die schrillen Orchestercluster zu Beginn die vorherige Stimmung noch einmal perfekt eingefangen hatten.

Dennoch hält sich das Publikum nicht zurück und luchst dem Orchester nach langem und begeistertem Applaus sogar zwei Zugaben ab – beide Male „Merry go round of life“ von Joe Hitashi, das auch schon in der Vergangenheit hier zu hören war. Nach diesem von Dramatik geprägten Abend wirkt dessen Musik wie losgelöst. Mit bewegten Tanzrhythmen verabschiedet sich das Orchester schließlich mit dem Versprechen, schon im November mehr Musik aus Anime, Film und Klassik zu präsentieren. Klar ist: Wenn auch das nächste Mal so wird, wie heute, kann man sich schon jetzt darauf freuen. Alles in allem war das doch ein gelungener Abend!

Daniel Janz, 6. September 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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