Echo Klassik: Weltstar Jonas Kaufmann singt gepresst und trifft viele Töne nicht

Stars und Sternchen: Das Mega-Event in der Elbphilharmonie

Echo Klassik 2017
Elbphilharmonie, Hamburg, 29.10.2017

von Leon Battran (Bild und Text)

Große Emotionen, glitzernde Roben, spritzige Auftritte und pathetische Lobreden, das ist die Verleihung des Musikpreises Echo Klassik. Hier treffen Schauspieler und Fernsehnasen mit ehemaligen Bundestagspräsidenten, Violinvirtuosen mit Tastentalenten zusammen – die Crème de la Crème der Klassik gibt sich die Klinke in die Hand, und ein Weltstar patzt bei seinem Auftritt.

Großer Rummel auf der Plaza, wenn sich schon am Nachmittag Stars und Sternchen im Blitzlichtgewitter auf dem roten Teppich tummeln. Die Verleihung des Echo Klassik findet in diesem Jahr erstmalig in der Hamburger Elbphilharmonie statt. Insgesamt 54 Auszeichnungen werden in 22 Kategorien vergeben.

Der Echo Klassik wird seit 1994 alljährlich vom Bundesverband Musikindustrie (BVMI) veranstaltet. Eine elfköpfige mit Vertretern aus Musikwirtschaft und Kultur besetzte Jury berät über die Vergabe der begehrten Trophäen. Neben den Künstlern werden aber vor allem Tonträger, CD-Pressungen, Marken und Labels ausgezeichnet. Die zahlreichen hochkarätigen Künstler geben dem Ganzen ein Gesicht und machen mit ihren Auftritten aus einer Werbe– und Marketingveranstaltung eine mit Evergreens der Klassik gespickte und von Thomas Gottschalk moderierte Musikgala, die eine der meistgesehenen Klassik-Sendungen im deutschen Fernsehen ist.

Kent Nagano, Generalmusikdirektor der Staatsoper Hamburg, wird an diesem Abend prämiert als Dirigent des Jahres. Gemeinsam mit dem Philharmonischen Staatsorchester Hamburg fiel ihm die ehrenvolle Aufgabe zu, den Abend zu eröffnen mit einer schwungvollen Darbietung von Johannes Brahms‘ wohlbekanntem Ungarischen Tanz Nr. 5.

Anschließend durfte der Klassik-Superstar Jonas Kaufmann den Preis für den Bestseller des Jahres entgegennehmen. Der 48-Jährige patzte jedoch bei seiner Darbietung von Pourquoi me réveiller aus Jules Massenets Oper Werther – ursprünglich komponiert für einen Mezzosopran. Zu viele unsaubere Noten und eine gepresste, unfreie Stimme schmälerten die Freude an dem unverwechselbar dunkel-herben Tenor-Timbre des Weltstars. Der deutsche Supertenor war deutlich nervös, bevor er gegen 17.20 Uhr live vor den 2000 Zuschauern im Großen Saal der Elbphilharmonie zu singen begann. Ab 22 Uhr verfolgten etwa zwei Millionen ZDF-Zuschauer in Deutschland, Österreich und der Schweiz den Echo Klassik.

Dynamisch und in Topform präsentierten sich hingegen die Damen des Abends: Die russische Sopranistin Aida Garifullina gab Giacomo Puccinis bekannte Arie O mio babbino caro aus der Oper Gianni Schicchi intensiv und anrührend. Ebenso energetisch wie mühelos war die Leistung der als beste Nachwuchssängerin prämierten Südafrikanerin Pretty Yende bei Charles Gounods Ah! Je veux vivre aus Roméo et Juliette.

Zum Sänger des Jahres kürte die deutsche Phono-Akademie Matthias Goerne. Bei Orchesterliedern von Gustav Mahler überzeugte der 50 Jahre alte Bariton durch konzentrierten Ausdruck und lebhafte Mimik, auch wenn das Philharmonische Staatsorchester nicht immer zu seinen Gunsten spielte.

Den Vogel schoss die US-amerikanische Mezzosopranistin Joyce DiDonato ab, vor allem in emotionaler Hinsicht. Die Interpretation von When I am laid in earth aus Henry Purcells Oper Dido and Aeneas ging unter die Haut und auch die anschließende Friedensansprache der 48-Jährigen hinterließ Tränen der Rührung auf den Gesichtern, auch auf ihrem.

Immer besonders denkwürdig: die Würdigung des Lebenswerks herausragender Persönlichkeiten der Musikwelt. Am Sonntagabend wurde sie der Sängerin, Intendantin und Regisseurin Brigitte Fassbaender zuteil. Außerdem prämierte noch vor sechs Tagen aus dem Amt geschiedene Präsident des deutschen Bundestages Norbert Lammert zwölf Cellisten der Berliner Philharmoniker, und Klavierkoryphäe Maurizio Pollini zauberte auf dem Steinway-Flügel ein ganz bedächtig schönes, gedankenverlorenes Chopin-Nocturne. Der 75-Jährige erhielt den Echo als Klavierinstrumentalist.

Taufrisch und unverbraucht kam der Auftritt des als bester Nachwuchskünstler prämierten 27 Jahre alten Lucas Debargue daher. Der französische Pianist trug auf seinem Instrument Improvisationen über Martin Luthers Kirchenlied Eine feste Burg ist unser Gott vor und zog dabei alle Register, sodass dieses mit wechselndem klanglichen Gewand und immer wieder neuer Stilistik überraschte: zunächst in zartseidener Seligkeit, dann jazzig verstimmt, bald mit hämmernden Repetitionen, die an Franz Liszts La campanella erinnerten, und schließlich mit dem wilden Übermut eines Ragtimes von Scott Joplin.

Auch die ein oder andere Kuriosität gab es zu sehen, wie das Carmen-Medley der Preisträgerinnen Camille Thomas (in Paris geborene Cellistin und Liebling der Fotografen an diesem Abend) und der lettischen Akkordeonistin Ksenija Sidorova. Das Arrangement à la noch beliebtere Melodien aus einer beliebten Oper ging dann doch über die Grenzen des guten Geschmacks hinaus. Wie um eine drohende Überpopularisierung abzufangen, beschlossen Kent Nagano und das Philharmonische Staatsorchester den Abend mit einer gepfefferten Interpretation des vierten Satzes aus György Ligetis Concert Românesc.

Ferner wurde gefühlt jede Tonträger-Produktion geehrt, die im Laufe des Jahres erschienen ist: etliche Einspielungen von Konzerten und Opern, sinfonischer oder Kammermusik, aufgeschlüsselt nach verschiedenen Jahrhunderten. Verständlicherweise haben viele dieser Ehrungen gar nicht alle Patz in der Sendung gefunden und wurden von Thomas Gottschalk im Anschluss an die Aufzeichnung im Schnellverfahren an die Protagonisten ausgeteilt, die während der dreistündigen Gala artig ausgehalten hatten. Nachdem schließlich auch der Echo Klassik in der Kategorie Audiophile Mehrkanaleinspielung des Jahres vergeben ist, freut man sich dann schon aufs Fingerfood im Foyer.

Klassik-begeistert.de hat nach der Show mit Jonas Kaufmann gesprochen. Der gefeierte Operntenor freut sich immer noch über die Auszeichnung, die er an diesem Abend bereits zum siebenten Mal entgegennimmt, und denkt an seinen ersten Echo Klassik zurück: „Man sieht sich als kleiner Wicht zwischen Giganten. Aber je öfter man das mitmacht, desto cooler wird man natürlich und desto mehr kann man auch das ganze rundrum genießen. Es war heute viel Stress für mich, ich bin heute Morgen aus Paris gekommen, weil ich bis gestern Abend spät noch Vorstellung hatte. Die Zeitumstellung hat mir geholfen, sonst wäre ich wahrscheinlich zu müde gewesen (lacht).“

Die Pianistin Olga Scheps erhielt 2010 noch den Echo Klassik als Nachwuchskünstlerin. Sieben Jahre später tritt sie als Laudatorin auf den Plan um ihrerseits den Nachwuchspianisten Lucas Debargue zu ehren: „Ich habe mich damals sehr gefreut über diesen Preis. Es ist eine Anerkennung und ein schönes Gefühl. Natürlich generiert so ein Preis auch eine gewisse mediale Aufmerksamkeit. Lucas Debargue hat eine ungewöhnliche Laufbahn, er wurde in Paris geboren und in Russland ausgebildet. Ich habe mich sehr gefreut, als ich gefragt wurde, die Laudatio für ihn zu halten.“

Das Notos Quartett, das sind Sindri Lederer (Violine), Andrea Burger (Viola), Philip Graham (Violoncello) und Antonia Köster (Klavier). Die vier wurden für ihre Debüt-CD Hungarian Treasures mit dem Nachwuchspreis für ein gemischtes Ensemble ausgezeichnet: „Es ist etwas ganz Besonderes, wenn man gleich für seine erste CD eine so tolle Auszeichnung bekommt. Da sind wir natürlich sehr stolz und glücklich darüber.“

Leon Battran, 30. Oktober 2017, für
für klassik-begeistert.de

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