27 Klavier-Wunderkinder verschlagen 2000 Zuschauern den Atem

Steinway & Sons Klavierspiel-Wettbewerb 2017,   Laeiszhalle, Hamburg, Großer Saal

Foto: © Thies Raetzke
Steinway & Sons Klavierspiel-Wettbewerb 2017
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Laeiszhalle, Hamburg, Großer Saal, 28. Oktober 2017

von Ricarda Ott

„Steinway Klavierspiel-Wettbewerb 2017“ – da konnte man sich eigentlich ganz gut vorstellen, was einen in der bis auf den letzten Sitz gefüllten Laeiszhalle in Hamburg erwartete. Doch weit gefehlt: Dies waren die kurzweiligsten 150 Minuten, die man zuletzt hier erleben konnte – mitunter das Spektakulärste, das Beeindruckendste, ja: das Liebenswerteste. Willkommen in der Talentschmiede des weltweit renommierten Flügelfabrikanten Steinway & Sons, in der finalen Runde des traditionsreichen, seit 1937 existierenden und international angesehenen Wettbewerbs.

Fein herausgeputzt mit Fliege oder Hosenträger, mit fein säuberlich hochgestecktem Haar und schickem Kleid, mit unterschiedlichster Ausstrahlung und (zumindest die Jüngeren) mit diversen Utensilien zum Aufstellen der noch kurzen Beine – zum Erreichen der Pedale, betraten die Kinder und Jugendlichen an diesem Samstagnachmittag die Bühne. Die vor Stolz beinahe platzenden Eltern in den vorderen Reihen reckten sich, filmten und schossen unzählige Fotos ihrer Sprösslinge. Es wurde gewunken und gezwinkert, was die Finalisten auf der Bühne mal schüchtern, mal selbstsicher und sichtlich stolz erwiderten.

27 Teilnehmer spielten also der Reihe nach, meist solistisch, zwei Mal auch im Duo, in Altersgruppen aufgeteilt ihr ausgewähltes Vortragsstück. Der Jüngste erst vier Jahre alt und gerade groß genug, um im Stehen die Tasten des Flügels zu sehen. Die beiden Ältesten schon 16 und nicht mehr weit entfernt von einem Jungstudium.

Bereits in der Gruppe A (4 – 7 Jahre) erklangen die Werke nahezu fehlerfrei und überraschend präzise einstudiert. Wie sich die kurzen Finger über die Tasten streckten und sich die kleinen Körper zur Musik bewegten – man traute kaum seinen eigenen Augen. Als Höhepunkt zeichneten sich die beiden Mozart-Sonaten C-Dur (KV 545) – gespielt von Sunny Ritter, 7, aus Wien – und F-Dur (KV 13) – gespielt von Celina Höferlein, 7, aus Mainz, ab, die jeweils nicht nur technisch gut, sondern vor allem in ihrem musikalischen Ausdruck absolut überzeugend erklangen. Das war kein Vorspiel, das war ein stattliches Konzert!

Und so wuchsen die einzelnen Spielerinnen und Spieler mit jedem Vortrag und gleichsam die Länge und die Komplexität der Stücke. In Gruppe B (8-10 Jahre) erklang Felx Mendelssohn-Bartholdys wunderschönes Lied ohne Worte (Lewen Chang, 8, Hamburg), die Französiche Suite von Johann Sebastian Bach Nr. 5 G-Dur (BWV 816), dargeboten von Julia Kaufmann, 9, Bad Homburg, eine anspruchsvolle Sonate von Ludwig van Beethoven (Sonate G-Dur op. 79, 1. Satz von Yannick Fiß, Hamburg, und sogar – unfassbar – eine Etüde von Franz Liszt: Études en douze exercices op. 1 S 136, Nr. 10 Étude F-Moll Moderato. Alexander William Wagner, 9, aus Wachtberg spielte dieses anspruchsvolle Stück so perfekt und ausdrucksstark, dass man sich fragte: Was spielt dieser Junge in drei Jahren?

Umwerfend, was die Talente auf der Bühne ablieferten. Einwandfreie Notengetreue, eine beachtliche Konzentration und Coolness falls doch einmal ein Ton verrutschte und wirklich absolute musikalische Hingabe. Die Werke wurden nicht einfach nur vorgespielt, sondern bekamen durch das Können der jungen Musiker Tiefe und Charakter.

In Gruppe C (12 – 13 Jahre) und Gruppe D (14 – 16 Jahre) steigerte sich die Spieldauer pro Vortrag zum Teil auf bis zu 8 Minuten und es standen unteren anderem Stücke typischer Klaviervirtuosen auf dem Programm: Fréderic Chopin und viel von Liszt.

War es in den beiden vorherigen Gruppen noch möglich gewesen, Unterschiede zwischen den Vorträgen herauszuhören, so wurde dies in den beiden letzten Gruppen fast unmöglich. Die Stücke mögen unterschiedlich komplex gewesen sein, da kommt es auf den speziellen Anspruch der Fachjury an, aber die Vorträge waren allesamt höchst professionell – keinem Jugendlichen merkte man auch nur ein bisschen Nervosität an – und musikalisch schlicht umwerfend.

Stichwort Jury: die teils festen, teils wechselnden Jurymitglieder haben nicht nur den live-Auftritt als Grundlage für ihre Entscheidung, sondern können sich das ganze Konzert dank der Bild- und Tonaufzeichnung noch einmal individuell und in Ruhe anhören. Die Entscheidung, wer von diesen zahlreichen Ausnahmetalenten den jeweils 1. bis 3. Platz in jeder Gruppe erreicht, dürfte keine leichte Aufgabe sein.

Wer gewinnt, darf sich nicht nur über ein Preisgeld freuen, sondern kommt auch in den Genuss von weiterführenden Stipendien und Förderprogrammen, ausgehend oder vermittelt durch das Haus Steinway & Sons. So mancher bekannte Pianist hat in der Jugend diesen Wettbewerb gewonnen – darunter Rolf Plagge, Sebastian Knauer, Markus Groh, Martin Helmchen, Sophie Mautner oder Ragna Schirmer, um nur einige zu nennen – und so ist es nicht verwunderlich, dass sich in Deutschland bis zu 150 Teilnehmerinnen und Teilnehmer für die Vorentscheide beworben haben.

Vom bald scheidenden Manfred Sitz, Vice President Steinway & Sons Europe und Bilderbuchhanseat, erfahren wir, dass sich zum Wettbewerb in Peking sage und schreibe 15.000 Kinder beworben haben!!!

So kann es also sein, dass sich durch diesen Wettbewerb für manchen Nachwuchsmusiker eine Tür öffnet, eine noch ernstere Auseinandersetzung mit dem Instrument beginnt und sich der kindliche Alltag neben der Schule vielleicht noch ausschließlicher auf das Üben verlagert. Denn eines muss uns Klassik-Begeisterten klar sein: so großartig der musikalische Genuss auch ist – der Preis, den die Kinder und Jugendlichen zahlen, ist kein geringer. Wer es in der Welt der Musik (und selbstverständlich auch in vielen anderen Bereich unserer Gesellschaft) zu etwas bringen möchte, muss Opfer bringen – und das von klein auf.

Ricarda Ott, 30. Oktober 2017, für
klassik-begeistert.de

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