Christian Thielemann triumphiert mit der Siebten in Salzburg
Salzburger Festspiele, 3. August 2021
Elīna Garanča (Mezzosopran)
Wiener Philharmoniker
Christian Thielemann (Dirigent)
Gustav Mahler: Fünf Lieder nach Gedichten von Friedrich Rückert für eine Singstimme und Orchester
Anton Bruckner: Symphonie Nr. 7 E-Dur WAB 107
von Kirsten Liese
Für ein einziges Konzert von Berlin aus zu den Salzburger Festspielen zu reisen und am Tag danach schon wieder zurück: Das ist – ich gebe es zu – ein ziemlicher Luxus. Oft leiste ich ihn mir nicht, aber für einen Bruckner-Abend mit Christian Thielemann scheue ich ihn nicht. Und um es gleich zu sagen: Der Aufwand hat sich mehr als gelohnt!
Denn zu erleben war hier eine jener Sternstunden, die man nicht vergisst und die erste, an der seit Corona wieder ein größeres Publikum teilhaben konnte. Schon seit einem guten halben Jahr arbeiten Thielemann und die Wiener Philharmoniker intensiv an einem Bruckner-Zyklus, der bis zum 100. Geburtstag des Komponisten im September 2024 vollendet sein soll. Die bisherigen Aufzeichnungen im Wiener Musikverein konnte allerdings nur eine kleine begnadete Gruppe von Wiener Pressevertretern aus der Nähe mitverfolgen.
Das Publikum im Großen Festspielhaus in Salzburg durfte die Siebte erleben. Thielemann hat die Sinfonie in früheren Jahren schon mehrfach grandios mit unterschiedlichsten Orchestern dirigiert, und auch diesmal verzehrte er sich spürbar für jedes Detail. Nach den langen Entbehrungen tönte sie diesmal vielleicht noch eine Spur aufwühlender, oder nahm bei uns im Publikum die Gänsehaut zu, weil wir schon nach all den Lockdowns an Entzugserscheinungen litten?
Feierlichkeit, Erhabenheit, Schönheit, Transzendenz und Monumentalität: Alles, was diese Musik ausmacht, findet hier Raum. Jede noch so kleine motivische Einheit ziseliert Thielemann genauestens aus, Geigen und Celli musizieren mit der denkbar größten Zärtlichkeit, so dass einige lyrische Motive beinahe wiegenliedhaft anmuten.
Wenn sich Klanggewalten wie zu einer Kathedrale auftürmen, waltet ein heiliger Ernst über allem. Übergänge und Zäsuren gelingen Thielemann einmal mehr mit der allergrößten Exaktheit. Egal, wie sehr er das Tempo nach einer ersterbenden Melodie, einer schnörkelreichen Girlande oder kraftstrotzenden Gipfelgängen mit jähen Abbrüchen anzieht oder verlangsamt: Nie klappert auch nur ein Spieler eine Millisekunde hinterher. Stets spielen alle in vollendeter Perfektion zusammen.
Und was für ein Moment, wenn ein langes, sich über viele Takte ziehendes Decrescendo ganz im Nichts verebbt: Da ist es, als halte der Klangmagier Thielemann, mit dem Körper schon ganz tief in der Hocke, die Zeit an.
Den größten Balsam für die Seele freilich bietet das herrliche, trostreiche Hauptmotiv im Adagio, Herzstück der Sinfonie, das Bruckner hundertfach moduliert durch Dur und Moll. Vom Grundton E bis zur großen Terz Gis spannen sich die drei markanten Viertel, mit denen es beginnt, wenn sie die Violinen zum ersten Mal spielen: satt, majestätisch, ruhevoll, wonnig und erhaben, und zugleich luftig durchatmet, vor jedem Anflug von Klebrigkeit verschont.
Sehnsüchtig wartet man auf die Wiederkehr des Motivs, das zwischen imposanten Chören im Blech, berührenden Melodien im Holz und dramatischen Ausbrüchen im ewigen Widerstreit von Licht und Dunkel, den Hörenden nicht mehr loslässt. Noch jetzt beim Schreiben der Rezension schwirrt es mir im Kopf.
Nach diesem überwältigenden Erleben dieses Satzes und bevor das rhythmisch prägnante Trompetensolo im Scherzo anhebt, braucht es – FFP2 Maske hin- oder her – Zeit, tief durchzuatmen. Zum Glück klatscht in diese Stille niemand hinein wie einige Enthusiasten oder Konzertunerfahrene (?) nach dem ersten Satz, an dessen Ende sich die Musik unter Einsatz der Pauke so unheimlich düster zuspitzte.
Der größte dramatische Kulminationspunkt ist freilich dem Finale vorbehalten, wenn das gesamte Orchester unisono in einem wilden Zickzack durch mehrere Oktaven donnert. Hat da gerade Gott gesprochen und womöglich seinem Zorn über die so lange kalt gestellte Musik Raum gegeben? Bruckners Musik sei göttlich, sagte der spirituelle, weise Bruckner-Experte Celibidache, und das ließ sich an diesem Abend in Salzburg auch so empfinden.
Ich habe es in meinen Kritiken über Bruckner-Abende schon mehrfach gesagt und sage es wieder: Um in solche transzendenten Regionen vordringen können, braucht es ein halbes Leben. Außer Christian Thielemann habe ich in heutigen Zeiten nur sehr wenige Altmeister gehört, die bis dahin kommen.
Der E-Dur Sinfonie voraus gingen fünf Rückert Lieder von Gustav Mahler, vorgetragen von der wunderbaren Elīna Garanča, die mit der großen Tragfähigkeit ihres Mezzos und dem ihrer Kehle entströmenden herrlichen Wohllaut ihrer Stimme für sich einnimmt. Bei den Liedern „Um Mitternacht“ und „Ich bin der Welt abhanden gekommen“ darf man sich schon einmal an die unvergessene, kürzlich verstorbene Christa Ludwig erinnert fühlen, auch wenn es ihr gegeben war, sich in punkto Textauslegung in noch tiefere, jenseitigere Gefilde zu begeben.
Da kommt die Lettin noch nicht ganz heran, tonlich aber war das ungemein schön. Auch der Dirigent zeigte sich tief gerührt, küsste der Sängerin beim Beifall dankbar die Hände.
Aber am Ende war es er selbst, den das Publikum als Star des Abends mit Ovationen verdient feierte. Die Musikerinnen und Musiker hatten schon den Saal verlassen, da nahmen die Bravos immer noch kein Ende, kehrte der Dirigent wieder und wieder allein auf das Podium zurück. Das Salzburger Publikum weiß offensichtlich, was es an diesem herausragenden Künstler hat.
Kirsten Liese, 5. August 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Gustav Mahler
Fünf Lieder nach Gedichten von Friedrich Rückert für eine Singstimme und Orchester
Ich atmet’ einen linden Duft
Liebst Du um Schönheit
Um Mitternacht
Blicke mir nicht in die Lieder
Ich bin der Welt abhanden gekommen
Anton Bruckner: Symphonie Nr. 7 E-Dur WAB 107