Elisabeth Leonskaja © Marco Borggreve
Elisabeth Leonskaja Klavier
Dennis Russell Davies Dirigent
Philharmonisches Staatsorchester Hamburg
Richard Wagner (1813-1883)
Eine Faust-Ouvertüre d-Moll WWV 59
Robert Schumann (1810-1856)
Klavierkonzert a-Moll op. 54
Pause
Heinz Winbeck (1946-2019)
Zweite Symphonie
Elbphilharmonie, 14. Januar 2024
von Harald Nicolas Stazol
Hände hoch! Nein wirklich, wie diese Grande Dame am Klavier, Elisabeth Leonskaja, schon beim ersten fulminant-starken Akkord und deren weiterer Abfolge des Schumann erstmals nach dem kraftvollen Anschlag die linke Hand hochreißt, oft auch die Rechte, manchmal die Arme nach rechts und links gleichzeitig, als wolle sie direkt abheben im bodenlangen weißen Kleid mit den schwarz-dekorativen, großen Pinselstrichen darauf, das ihr die Aura einer russischen Fürstin gibt, voller Würde und dabei mit voller Hingabe im Antlitz, und die, durch den langen Rock ja unsichtbar, die Pedale bedient und auch da manchmal das Bein hochschnellen lässt in einem kleinen Ausfallschritt, meist, wenn sie ihre Leidenschaft schon im 1. Satz, der ja so schnell und gefällig, im 3., allegro vivace, kaum bremsen kann, und es sie wirklich rasend vor Leidenschaft sekundenlang vom Schemel hebt!
Dabei von einer unvergleichlichen Eleganz und einem feinfühligen Ausdruck, die sie nun wirklich zu den „großen Pianistinnen unserer Zeit“ macht, wie das Programmheft stolz bemerkt, und weiter, „Elisabeth Leonskaja trat als Solistin mit fast allen erstklassigen Orchestern der Welt auf. Sie spielte unter der Leitung der großen Dirigenten ihrer Zeit wie Kurt Masur, Sir Colin Davis, Christoph Eschenbach, Christoph von Dohnányi, Kurt Sanderling oder Mariss Jansons.“ Und nun eben bei uns!
Unter dem Baton von Dennis Russell Davies, und dem trefflichen Philharmonischen Staatsorchester, und ich sehe in den Rängen ganze Gruppen von Besuchern, die völlig verloren-hingerissen ihre Köpf auf die aufgestützen Hände gelegt haben, zu Ehren dieser Virtuosin.
Wie Elisabeth Leonskaja mit immerhin 78 Lenzen – der Beweis, wie alterslos Künstler sein können, man verliert geradezu die Angst vorm Altern – diesen Nachmittag dieses Hauptwerk in der Blüte der Hochromantik beherrscht, ja, geradezu voll ausfährt, mit ganz eigenen Tempi, und im 2. Satz so feinest-fein – es ist kein Wunder, dass sie bei den für Hamburg ungewöhnlich starken Ovationen geradezu strahlt, die Wunderhand vom Herzen wegbewegt, und drei Rosen aus ihrem natürlich überbrachten schönen Ehrenstrauß in schöner Geste an die Konzertmeister Daniel Cho und Thomas C. Wolf weiterreicht, eine natürlich überreicht sie dem Dirigenten, mit dem sie ebenso wunderbar harmonierte, wie mit dem großen Orchester.
Sie dankt mit einer rasend-schnellen Prélude von Debussy, allerspätestens jetzt schäme ich mich, die Fürstin nicht auf dem Radar gehabt zu haben, aber eben jetzt, und sowas von! Was für ein Erlebnis!
„Polier Deine Piercings, wir gehen ins Konzert“ sage ich meiner wirklich reizenden und aufreizend tätowierten Begleitung Nina („Mann, war die Frau toll!“), ganz in meinem Sinne, die Jugend an meine heißgeliebte Klassik heranzuführen, und ja, sie hat das Programm studiert, „nur mit dem Wagner“ fremdelt sie anfangs „Ich hab mal eine ganz schlimme Inszenierung gesehen, da standen die Sänger auf Waschmaschinen“ – „das hast Du heute nicht zu befürchten!“ – und als Davies dann loslegt mit der „Faust-Ouvertüre“ – die allein ja schon glänzend gemeisterte Höchstleistung fürs Staatsorchester, sagt sie, ganz fasziniert, während der Flügel auf die Bühne geschoben wird: „Das war erstaunlich zärtlich“ – und sie hat recht, das war es in der Tat!
Dennis Russell Davies, Luciano Berio, John Cage, Philip Glass, Heinz Winbeck, Aaron Copland, Arvo Pärt und Hans Werner Henze sind seine Weggefährten, mit ihnen hat er zusammengearbeitet, und so ist es kein Wunder, dass nun die 2. Symphonie von Heinz Winbeck droht, zu der der Maestro eine kleine Einführungsrede hält, „Haben Sie den Mut, noch zu bleiben! Da ist dieser Mann in Niederbayern (1946-2019), der in der Tradition von Bruckner und Mahler steht, und für größtes Orchester schreibt“, stolz verweist er auf das vollbesetzte Rund, „sie sehen Celesta, Orgel und vier Schlagzeuger“, ich zähle sieben Kontrabässe, und jetzt geht es richtig los – allein, ich habe versucht, mich in der Modernen schon vorher einzuhören – ich gab der werten Leserschaft ja letztens das Versprechen neuer Offenheit dem Neuen gegenüber – aber ich kann auch die Zuhörer verstehen, die, wenn ein Fluchtweg besteht, den Saal verlassen, und ich muss zu meiner Schande gestehen: Es ist kaum auszuhalten, auch bei der wirklich bewundernswerten Beherrschung des Sujets der Musiker – aber im zweiten Satz blicken Nina und ich uns an, und – ich bitte wirklich um Verzeihung, und empfehle zum Verständnis die YouTube-Aufnahme der 2., aber bei einer wirklich lauten Stelle flüchten wir auch, ganz diskret.
Unten an der Garderobe sammeln sich die Flüchtlinge, „das hat uns nicht abgeholt“, „Dabei war es doch vorhin so schön!“, Nina, auf deren junge Ohren ich ja für Winbeck setzte, fand es „einfach schrecklich!“ Und als ich auf den Bildschirm neben den Mänteln sehe samt leisem Sound, sage ich „Schatz, der macht genauso weiter!“, sehr zur Erheiterung der Garderobiers – aber vielleicht bin ich für den Niederbayern auch noch nicht reif, meine Sitznachbarin vorhin hat ja geradezu fasziniert in kleiner Geste mitdirigiert, offenbar eine Kennerin – aber ich bezweifle, dass der Ausnahmekomponist auch den Nicht-Geflohenen zugänglich ist, und, ja, zugänglich bleiben wird, was ich hiermit zur Diskussion stelle?
Im Ganzen aber ein wunderbarer Nachmittag, und in der Flanade zum Baumwall erblicke ich die Mondsichel, die über allem schwebt, über Wagner, Schumann, Davies, der Großfürstin – und sicherlich auch über Heinz Winbeck!
Harald Nicolas Stazol, 15. Januar 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Ludwig van Beethoven, Elisabeth Leonskaja, Klavier Elbphilharmonie Hamburg, 26. Mai 2022
An Herrn Harald Nicolas Stazol, anlässlich der gestern erschienen Kritik zur Aufführung der 2. Sinfonie von Heinz Winbeck
Ich bringe es nicht zusammen: Sich „Kritiker“ zu nennen, auf einer Seite mit dem Namen „Klassik begeistert“ – und so unglaublich überheblich-hämisch die Musik eines Komponisten öffentlich niederzumachen, allein mit den dürftigen und gänzlich subjektiven Argumenten: „Es war nicht auszuhalten“, „andere fanden das auch“ und: „hört es Euch selbst an“.
Ich habe es mir selbst angehört und war zutiefst ergriffen von Heinz Winbecks wunderbarer 2. Sinfonie; und dem überwiegenden Teil der Zuhörer ging es ganz offensichtlich ebenso (es gab sehr langanhaltenden Applaus und Bravorufe, die Menschen standen von ihren Plätzen auf).
Ihr hämisch-läppischer Artikel aber suggeriert etwas vollkommen anderes.
Sollte mein Kommentar auf dieser Seite erscheinen (ich bin gespannt, ob auch Sie Kritik ertragen können), dann empfehle ich allen Lesern, sich wirklich noch einmal in Ruhe (und bis zum Ende!) die 2. Sinfonie von Heinz Winbeck anzuhören – ohne Vorurteile, mit offenen Ohren und offenem Herzen – und sich dann unbeeinflusst eine ganz eigene Meinung zu bilden!
Ines Lütge
Liebe Frau Lütge,
durch Herrn Stazols Kritik und Ihren vehementen Widerspruch neugierig geworden, bin ich Ihrem Rat gefolgt und habe die ganze Symphonie bis zum Ende angehört.
Sie haben Recht.
Für mich gilt: Hält man die ersten beiden Sätze durch (sie klingen für meinen Geschmack doch etwas disharmonisch), wird man mit einem überraschend berührenden, sehr harmonischen dritten Satz belohnt, der unglaublich schön ist.
Danke für Ihre Anregung!
Freundliche Grüße,
Kathrin Beyer
Ja, es lohnt sich auszuhalten und auszuharren… Denn Winbecks Musik erschließt sich nicht wie gängige Stücke… Bereitschaft sich einholen zu lassen, zu erfahren, dass es Größeres gibt, als das alles, was wir Bruchstückhaft verstehen können. Wer vorab die Chance hatte, die Caspar David Friedrich Ausstellung besuchen zu dürfen, wird es begreifen, nie eine Farbe für sich allein, durch das Zusammenspiel unzähliger Nuancen entsteht das einzigartige Gemälde und ermöglicht es dem Betrachter in die Stimmung des Bildes einzutauchen… Ein Hörerlebnis, das ich jeden wünsche, der sich beschenken lassen will und dann erfahren hat, davon kann ich noch lange zehren…
Clara Vasseur
Ganz anderer Punkt: Bin ich der Einzige, der von dieser grundfalschen Verwendung von „oder“ zunehmend genervt ist, wenn eigentlich „und“ gemeint ist? Man liest das immer häufiger, bilde ich mir zumindest ein, nicht zuletzt in den elenden Programmheft-Biographien:
„Sie spielte unter der Leitung der großen Dirigenten ihrer Zeit wie Kurt Masur, Sir Colin Davis, Christoph Eschenbach, Christoph von Dohnányi, Kurt Sanderling oder Mariss Jansons.“
„Ja, mit welchem der sechs genannten Herren hat Frau Leonskaja denn nun musiziert?“, bin ich geneigt zu fragen, Pedant, der ich bin, „oder meinten Sie vielleicht eine andere beliebte Konjunktion?“
Die dem Beispiel dienende Auflistung – denn Frau Leonskaja ist ganz bestimmt mit mehr als sechs Dirigenten aufgetreten – steckt bereits im Wörtchen „wie“.
Wohl jenen, denen Sprache egal ist, sie haben definitiv ein leichteres Leben.
Dr. Brian Cooper
Tja, Herr Cooper, es ist doch ein grundsätzliches Problem der deutschen Sprache in Wort und Schrift, dass sie immer mehr, wie soll ich es ausdrücken, verkommt?
Wende ich in meiner Alltagssprache den Genitiv an, komme ich mir manchmal exotisch, geradezu vornehm vor.
Sie haben absolut Recht, es lebt sich ruhiger, wenn einem korrekte Sprache egal ist.
Kathrin Beyer
Ich stimme den Kommentatorinnen zu.
Diese Aufführung der 2. Sinfonie von Winbeck (für mich komplett neu) ist nun in meinem persönlichen Konzerthimmel.
Ich glaube, wie Frau Vasseur oben anmerkt, es ist das „Größere“, das viele fühlen konnten.
Ein feiner 1. Satz voller nuancierter Klangfarben und subtilem Rhythmus.
Der 2. Satz für mich „die wilde Jagd“. Er zerrte an den Nerven, aber gerade als man es wirklich nicht mehr aushielt – fügte sich plötzlich alles zusammen.
Und der 3. Satz – wie traurig für die Geflohenen – eine ewige, wunderschöne Harmonie, die am Schluss von den Schlagzeugen abgelöst wurde, welche den Raum langsam fast bis zum Bersten ausfüllten.
Ich finde, dass die hochkonzentrierten Musiker, das mutige Dirigat und die Größe und Akustik der Elbphilharmonie diese Aufführung so einzigartig gemacht haben, es war ein vollkommenes Zusammenspiel. Entstanden aus Klang, Rhythmus, Raum und Zeit.
Hoffentlich dürfen wir das Stück dort wieder hören.
Julia Schneider
War selbst nicht im Konzert, habe aber gerade mal aus Interesse die Kritik im Abendblatt gelesen. Im Vergleich zu Ihrer Kritik und den Kommentaren sehr aufschlussreich !
Hartmut Funke
Die im Abendblatt erwähnten „Zitatverweise mit Beethoven-Gestus“ stammten aus Schumanns fis-Moll-Sonate.
Ines Lütge