Foto: Adriana © ORW-Liège-J.Berger
”Adriana Lecouvreur” ist die bekannteste Oper des italienischen Komponisten Francesco Cilea. Uraufgeführt am 6. November 1902 am Teatro Lirico in Mailand, zählt die Oper zu den vier großen italienischen Werken des sogenannten Verismus. Sie erzählt die Liebe der Schauspielerin Adriana Lecouvreur zum Herzog Maurizio von Sachsen. Im Kampf um dessen Zuneigung mit ihrer Rivalin, der Prinzessin von Bouillon, wird sie von dieser zum Schluss vergiftet. Das Libretto basiert auf einer Vorlage von Eugène Scribe, die das Leben der legendären, von Voltaire hochgelobten Schauspielerin der “Comédie Française” erzählt.
OPÉRA ROYAL DE WALLONIE-LIÈGE, Lüttich, 14. April 2023
Francesco Cilea ADRIANA LECOUVREUR
Oper in vier Akten
Christopher Franklin, Dirigent
Arnaud Bernard, Inszenierung
Arnaud Bernard & Virgile Koering, Bühne
Carla Ricotti, Kostüme
Orchester und Chor der Opéra Royal de Wallonie-Liège
Adriana Elena Moşuc
Maurizio Luciano Ganci
Michonnet Mario Cassi
Principessa di Bouillon Anna Maria Chiuri
von Jean-Nico Schambourg
In der Lütticher Inszenierung von Arnaud Bernard spielt die Handlung der ganzen Oper an der Pariser “Comédie Française”. Die Hauptidee der Inszenierung von Arnaud Bernard basiert auf den drei Prinzipien der klassischen Tragödie: Einheit der Handlung, der Zeit und des Ortes. Das vom Regisseur selbst und Virgile Koering entworfene imposante Bühnenbild führt den Zuschauer im Laufe des Abends durch das ganze Theaterhaus.
Der erste Akt spielt in den Kulissen des Theaters, erlaubt dem Zuschauer aber auch einen seitlichen Einblick in den Zuschauerraum der Comédie Française. Der zweite Akt spielt im Foyer des Theaters, der dritte im Bankettsaal und, schlussendlich, der vierte in der Loge von Adriana Lecouvreur. Die jeweiligen Umbauten zwischen erstem und zweitem, sowie drittem und viertem Akt werden von den Bühnenarbeitern der Oper Lüttich bei offenem Vorhang getätigt. Arnaud Bernard integriert diese in das Theatergeschehen mit ein und macht sie somit als Teil des Theatervolkes sichtbar. Seine Inszenierung ist gedacht als Hommage an das ganze Theater und an alle Menschen, die darin arbeiten.
Die Idee vom Theater im Theater hilft auch, die Verschmelzung von Realität und Komödie in dieser Oper darzustellen. Dabei ist die Schlussszene besonders erwähnenswert: auf hellbeleuchtender Bühne mit Blick in den Zuschauersaal der Comédie Française, vor fiktivem, unsichtbarem Publikum, haucht Adriana ihr Leben aus.
Die schönen Kostüme von Carla Ricotti orientieren sich eher an der Zeit der Uraufführung als am 18. Jahrhundert.
Szenisch und visuell hebt sich diese Aufführung extrem positiv ab von den vielen häßlichen und unverständlichen Inszenierungen, die unsere Opernhäuser immer mehr überfluten.
Musikalisch bewegt sich dieser Abend jedoch leider nicht auf demselben hohen Niveau. Es gibt zwar keinen Ausfall, aber mehr als mittelprächtig ist die musikalische Ausführung nicht. Vor allem, sie läßt mich kalt und reißt mich nicht mit. Der höfliche Applaus bei den einzelnen Arien der Oper zeigt mir, dass der Großteil des Publikums wohl dasselbe Gefühl hat.
Christopher Franklin legt mit seinem Orchester von Beginn an ein forsches Tempo vor. Alles erscheint jedoch zu gekünstelt, zu affektiert. Verschiedentlich ist das Orchester, das auf gewohnt gutem Niveau spielt, auch zu laut und überdeckt die Sänger, besonders die der kleineren Rollen. Die zentralen Sänger wissen sich mit fester Stimme durchzusetzen.
Elena Moşuc singt die Titelrolle. Ihr Koloratursopran, mit dem sie die Opernfreunde lange Zeit auch als Königin der Nacht und Zerbinetta begeisterte, hat sich in den letzten Jahren zum lyrischen Sopran entwickelt. Die Höhe ist vorhanden, die schwächelnde Tiefe läßt erkennen, woher sie kommt. Die Stimme klingt immer noch frisch. Jedoch reicht dies allein für die Rolle der Adriana nicht aus, wie auch schon vor ihr manch andere berühmte lyrische Sopranistin erfahren mußte. Es fehlt der Stimme an den für diese Rolle benötigten dramatischen Farben. Dadurch geht ihr der Tiefgang in der Interpretation verloren. Der Sängerin ist allerdings gut zu halten, dass sie fehlende Dramatik in der Stimme nicht durch druckvolles, lautes Singen kompensieren will.
Anders ihr Maurizio. Luciano Ganci gestaltet ihn zwar solide. Unter Druck, und der wird ihr immer wieder zugemutet, ist seine Stimme ab der höheren Mittellage jedoch leider so steif wie sein Schauspielern. Beim Versuch des Pianosingens rutscht die Stimme öfters aus ihrem Fokus. Auch Anna Maria Chiuri singt mit stetig gepresster Stimme, als möchte sie dadurch der Prinzessin von Bouillon ein noch aggressiveres Image verleihen. Somit klingt sie ziemlich abgesungen.
Dagegen gibt Mario Cassi einen ergreifenden Michonnet. Besitzt er auch nicht die schönste aller Baritonstimmen, so weiß er diese doch künstlerisch effektvoll einzusetzen, um den verliebten väterlichen Freund der Adriana zu gestalten. Nach seiner Arie im ersten Akt erklingt auch das einzige aus dem Publikum spontan dazwischengerufene “Bravo” des ganzen Abends. Hervorheben aus den vielen kleineren Rollen muss man den Tenor Pierre Derhet als Abate di Chazeuil. Sowohl szenisch als auch gesanglich verleiht er diesem geistlichen Intriganten und Schürzenjäger genau das richtige Profil, und dies ohne die in dieser Rolle oft gehörten quäkenden Tenorstimme. Da kann Mattia Denti als Principe di Bouillon mit seinem fahlen Bass nicht mithalten.
Das Publikum spendet am Schluss braven Applaus für einen Opernabend, der szenisch überzeugt hat, musikalisch aber viele Erwartungen nicht erfüllt hat. Leben und Lieben einer großen Schauspielerin sollten doch schon mit viel mehr Emotionen auf die Bühne gebracht werden als es an diesem Abend in Lüttich der Fall ist.
Jean-Nico Schambourg, 16. April 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Vincenzo Bellini, LA SONNAMBULA Opéra Royal de Wallonie-Liège, 24. Januar 2023