Amina tanzt schlafwandlerisch durch Bellinis Oper “La Sonnambula”

Vincenzo Bellini, LA SONNAMBULA  Opéra Royal de Wallonie-Liège, 24. Januar 2023

Foto Sonnambula © J. Berger-ORW-Liège

Die Oper in Lüttich führt “La Sonnambula” von Vincenzo Bellini auf. Die englisch-geborene, australische Sopranistin Jessica Pratt überragt in einer exzellenten musikalischen Besetzung. Die Regie findet Bellinis Oper wahrscheinlich dramaturgisch langweilig und wandelt sie in einen Tanzabend mit Gesang um.


Vincenzo Bellini
LA SONNAMBULA
Opera semiseria in 2 Akten

Giampaolo Bisanti, Dirigent
Jaco Van Dormael, Inszenierung
Jessica Pratt, Amina
René Barbera, Elvino
Marko Mimica, Il Conte Rodolfo

 Opéra Royal de Wallonie-Liège, 24. Januar 2023

von Jean-Nico Schambourg

Die Handlung der Oper “La Sonnambula” von Vincenzo Bellini ist nicht sehr reich an Dramatik: Elvino will Amina heiraten, findet diese aber in der Nacht allein schlafend im Bett des Grafen Rodolfo. Nein, sie hat ihn nicht betrogen, sie ist Schlafwandlerin. Der Graf hat, galanterweise, diese Begebenheit nicht ausgenutzt, aber niemand glaubt an die Unschuld Aminas. Elvino löst die Verlobung auf und will stattdessen die Wirtin Lisa heiraten. Es fliegt aber auf, dass diese ein Techtelmechtel mit dem Grafen hatte. In dem Moment kommt Amina schlafwandelnd herein, Elvino erkennt ihre Unschuld und alles endet im Happy-end.

Die fehlende Dramatik der Geschichte wird von Bellinis Musik mehr als wett gemacht, dies hauptsächlich mit den Vokalpartien, die gespickt sind mit wunderbaren Melodien. In Bellinis Kompositionen stehen nicht irrsinnige Koloraturen im Mittelpunkt, sondern das “Cantabile”, Melodien, die in einem harmonischen Fluss fast ohne Ende dahinfließen. Seine Musik ist leidenschaftlich, melancholisch, schwärmerisch, ekstatisch. Das Orchester spielt in dieser Oper eher eine begleitende, als eine aktive Rolle.

Ist die fehlende Dramatik in Handlung und Orchesterpartitur der Grund weshalb der Regisseur Jaco Van Dormael dachte, er müsse die Oper mit Tanzeinlagen überhäufen, so dass man eher den Eindruck hat, einer Ballettaufführung mit Gesang beizuwohnen? Die Bühne besteht einzig aus einer riesigen Tanzfläche, neben der links und rechts nur noch Platz für den Chor ist, der sitzend, fast den ganzen Abend lang, die Handlung verfolgt. Die Sänger müssen sich mit dem Platz zwischen Tanzfläche und Orchestergraben begnügen, was dann reines Rampensingen mit stereotypischen Gesten zur Folge hat. Doch damit nicht genug: Live-Kameras projizieren die Tänzer auf eine große Filmleinwand hinter der Tanzfläche, so dass das Auge des Zuschauers fast in keinem Moment Ruhe findet. Diese Art von filmischer Untermalung scheint momentan der absolute Hit bei Regisseuren zu sein und fängt schon an, langweilig zu werden. Natürlich senkt es die Kosten des Bühnenbilds!

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Foto: Sonnambula © J. Berger-ORW-Liège
Jeder Sänger findet sein Alter Ego in einem Tänzer. Die Tanzinszenierung und die Darbietung der einzelnen Tänzer an sich gefielen mir, als Laien auf diesem Gebiet, sehr gut. Auch die filmische Projektion aus verschiedenen Kameraeinstellungen heraus gibt tolle Bilder voller Akrobatik (die Tanzfläche verwandelt sich mit Momenten in ein Trampolin), aber auch voller Komik (wenn eine von oben herab filmende Kamera, die auf dem Boden liegenden, sich bewegende Tänzer in ein Photo auf der Leinwand projiziert). Alles das ist sehr interessant und sehr gut gemacht. Aber, wie alles im Überfluss: es stört, weil es vom eigentlichen Zentrum der Oper, der musikalischen Darbietung, zu sehr abgelenkt hat. (Dazu kommt noch, dass anscheinend auf “billigeren” Plätzen die Projektion nicht zu sehen ist). Wenn ich mir Tanz ansehen will, gehe ich zu einem Ballettabend, wenn ich mir einen Film ansehen will, gehe ich ins Kino! Ich will mir eigentlich an diesem Abend die Oper “La Sonnambula” ansehen und anhören.
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Foto: Sonnambula © J. Berger-ORW-Liège

Wenn es mir gelingt, meine Aufmerksamkeit auf die musikalische Aufführung zu lenken,  werde ich mit einer tollen musikalischen Darbietung belohnt. Gesanglich ist es ein Genuss, Jessica Pratt in der Rolle der Amina zuzuhören. Für alle Emotionen der Amina findet sie die richtige Stimmfarbe: Melancholie, Freude, Enttäuschung, Ekstase. Die langen Melodien von Bellini singt sie mit perfektem Legato. Mt wunderbaren Piani weiß sie das Publikum in ihren Bann zu ziehen. In der Cabaletta am Schluss der Oper brennt sie ein regelrechtes Feuerwerk an Spitzentönen ab. Eine großartige Leistung, die das Publikum zum Schluss mit überschwänglichem Applaus und Brava-Rufen zu würdigen weiss.

Ihr Elvino ist René Barbera, der mit seiner leuchtenden, klaren Tenorstimme die Verzierungen seiner Partitur zu meistern weiß und seine Spitzentöne trompetenhaft in den Saal schleudert.  Man ist erstaunt über sein technisches Können. Allerdings fehlt es ihm, besonders im Vergleich zu Jessica Pratt, an Klangfarben. Dasselbe gilt auch für Marko Mimica, der mit sonorem Bass die Rolle des Grafen Rodolfo singt, dabei leider aber ein wenig eintönig bleibt. Beide erhielten aber zu Recht großen Applaus. Marina Monzó ist eine ausgezeichnete Lisa. Die Besetzungsliste wird von Julie Bailly als Aminas Mutter und Ugo Rabec als Alessio kompetent vervollständigt.

Chor und Orchester wurden von Giampaolo Bisanti problemlos durch den Abend geleitet.

 Fazit (wie in der Schule):

Klassenerste: Jessica Pratt!
Gute Noten für René Barbera und Marko Mimica!
Auch die tänzerische Leistung ist top!
Jaco Van Dormael: Im Einzelnen alles richtig gemacht, doch Thema verfehlt! Durchgefallen!

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