Musikalische Sternstunde in Salzburg – auch ohne Anna Netrebko

Francesco Cilea, Adriana Lecouvreur,  Salzburger Festspielhaus, 31. Juli 2019

Foto: Marco Armiliato (Musikalische Leitung), Mozarteumorchester Salzburg © SF/Marco Borrell

Francesco Cilea, Adriana Lecouvreur
Salzburger Festspielhaus, 31. Juli 2019

Musikalische Leitung: Marco Armiliato
Choreinstudierung: Walter Zeh

Adriana Lecouvreur: Hui He
Maurizio: Yusif Eyvazov
La principessa di Bouillon: Anita Rachvelishvili
Michonnet: Nicola Alaimo
Il principe di Bouillon: Mika Kares
L’abate di Chazeuil: Andrea Giovannini
Mlle Jouvenot: Alina Adamski

Philharmonia Chor Wien
Mozarteumorchester Salzburg

von Raphael Eckardt

Mit Francesco Cileas vieraktigem Drama „Adriana Lecouvreur“ steht bei den diesjährigen Salzburger Sommerfestspielen eine konzertante Opernproduktion auf dem Spielplan, mit der in der Mozartstadt einmal mehr bewiesen werden darf, dass weniger manchmal mehr sein kann. Dies liegt zum einen an einer intelligent vorgetragenen musikalischen Interpretation des an diesem Abend wieder einmal furios aufgelegten Mozarteum-Orchesters Salzburg und zum anderen an der sängerischen Brillanz von Anna Netrebko-Ersatz Hui He und Anita Rachvelishvili, die diese „Adriana Lecouvreur“ zu einer der besten aller Zeiten machen.

1902 in Mailand uraufgeführt – für die Rolle des Maurizio konnte damals der sagenumwobene Tenor Enrico Caruso gewonnen werden – etablierte sich das im Paris der 1730er Jahre spielende Drama bald fest an den Spielplänen der großen europäischen Opernhäuser. Da verwundert es freilich wenig, dass Cileas wohl bekanntestes Werk 2019 auch endlich einmal bei den renommierten Salzburger Festspielen zu hören war – wenngleich konzertant, was sich an diesem Abend aber als alles andere als ein Nachteil entpuppen sollte.

Denn mit der chinesischen Sopranistin Hui He konnte für die Titelrolle, die eigentlich der kurzfristig erkrankten Anna Netrebko zustand, eine Sängerin gewonnen werden, die ihrem Ruf als einer der größten Shootingstars in der Szene wieder einmal alle Ehre erweisen sollte.

Hui He. Bildquelle: Facebook

In einem dicht verworrenen Netz aus Liebesintrigen verfangen und schließlich einem Giftanschlag ihrer angeblichen Rivalin zum Opfer fallend, ist es vor allem Hes warmherzig betörender Gesang, der das Publikum von Beginn an in seinen Bann zu ziehen wusste. Farben in verschiedenen Rottönen gleiten da wie leicht dahinschwebende Wellen an einem sommerlichen Abendhimmel durch das Festspielhaus, um sich immer wieder zu neuen Mustern zusammenzufügen.

Anfangs im türkisfarbenen Abendkleid noch frei durch die Lüfte schwebend, gelingt He später vor allem mit der Arie „Arme Blumen“ eine beeindruckende und temperamentvolle Interpretation dieser so schwer zu interpretierenden Adriana.

Denn obwohl Cileas leicht bekömmliche und gut orchestrierte Opernmusik stellenweile stark an den italienischen Operngroßmeister Giacomo Puccini zu erinnern wusste, hat sie dessen kompositorischen Genius nur an sehr wenigen Stellen erreicht. Es ist da vor allem Hes Verdienst, dass Cilea als Komponist an diesem Abend ähnlich brillant wirken sollte, waren es doch vor allem leicht, aber mit dem nötigen Tiefgang vorgetragene Pianopassagen, die sich wie Phönix aus der Asche hier und da mit beachtlichen Crescendi in schwindelerregende Höhen aufschwingen sollten: Auf fein akzentuierte Achtelketten folgen da plötzlich lang geschwungene Legati, die Cileas Drama einen so selten gehörten musikalischen Tiefgang verschaffen. Fabelhaft!

Anita Rachvelishvili.
Foto: © Dario Acosta

Mit der georgischen Mezzosopranistin Anita Rachvelishvili als Fürstin von Bouillon stand Hui He an diesem Abend eine Mitstreiterin zur Seite, die ihr dann beinahe den Rang streitig machen sollte: Wie von mystischen Sphären durchzogen, ist es vor allem Rachvelishvilis ungeheuer durchdringende und kraftvolle Stimme, die hier und da für feurig scharfe Momente im Salzburger Festspielhaus sorgte: Wie ein groß angelegtes loderndes Feuer donnern da technisch brillant anvisierte Fortissimopassagen mit brüllenden Akzenten bis in die letzten Reihen, nur um anschließend durch himmlisch säuselnde Piano-Legati wieder vollends gezähmt zu werden.

Da ist es vor allem Rachvelishvilis unglaubliches musikalisches Ausdrucksspektrum, dem es zu verdanken ist, dass dieses komplexe Netz aus Liebesintrigen gar keiner szenischen Inszenierung bedarf, weil Emotionalität und dramaturgischer Fortlauf durch den bloßen musikalischen Ausdruck dieser beiden herausragenden Hauptprotagonistinnen zur vollen Entfaltung gelangen. Zynisch angesetzte Dialoge wechseln sich da mit gefühlvollen Bemitleidungen beinahe im Sekundentakt ab, seelische Wutausbrüche und Resignation sind es, die sich an diesem Abend in Salzburg als gegensätzliches Wechselbad der Gefühle gegenüberstehen – von einer sängerischen Brillanz durchzogen, die man so nur ganz selten hört!

Da passt es dann freilich auch ins Bild, dass Yusif Eyvazov als Graf Maurizio stimmlich in ähnlichen Ligen anzusiedeln ist. Körperlich in erstaunlicher Verfassung, ist es einmal mehr die aus hunderten verschiedenfarbigen Fäden zusammengewobene kraftvolle Stimme des Tenors, die wohl auch die letzten Zweifler im Publikum überzeugen konnte.

Yusif Eyvazov © Vladimir Shirkov

Mit scharfer Klinge gelingt es Eyvazov an diesem Abend immer wieder, das tiefe Dickicht dieser dicht orchestrierten Musik mit bloßem Ausdruck und musikalischem Facettenreichtum zu lichten. Durch wohldosierte Akzentuierungen und sorgfältig ausgewählte Agogik ist es vor allem sein Verdienst, dass Cileas teilweise beinahe zur Ekstase neigende Komposition nicht ansatzweise in den Bereich des Chaotischen verfällt. Chapeau, die Damen und der Herr, eine „Adriana Lecouvreur“ dieser musikalischen Klasse bekommt man wahrlich selten zu hören!

Abgerundet wurde ein wahrlich brillanter Abend dann durch eine famose Darbietung des Mozarteumorchesters Salzburg, die allen voran ihrem Dirigenten an diesem Abend, dem italienischen Opern-Routinier Marco Armiliato zu verdanken war. Höchst engagiert gab sich dieser als Architekt eines riesigen Klangbaus, der bei genauerem Hinsehen durch eine ungeheure Anzahl an Verzierungen und Spielereien zu faszinieren wusste.

Durch hochkomplexe Pianissimopassagen führte Armiliato sein Orchester an diesem Abend mit einer erstaunlich präzisen Sicherheit, sich aufbauschende musikalische Klangstrudel überließ er wohlbesonnen sich selbst und trug damit seinen Teil zu einer Entfaltung dieser italienischen, spätromantischen Musik bei, die emotional so greifbar und natürlich war, dass man sich hier und da die ein oder andere Freudenträne verkneifen musste. Denn eine Oper von diesem Darbietungsniveau ist auch für das so verwöhnte Salzburger Festspielpublikum wahrlich eine Ausnahme. Welch’ zauberhafter Abend!

Raphael Eckardt, 01. August 2019, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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