Bild: Album artwork by Valnoir
Wir leben in einer Zeit, in der Dystopien Realität werden. Nicht nur was die Pandemie betrifft, auf die uns etwa Stephen King, Michael Crichton und Terry Gilliam vorbereitet haben. Vor dem, was in den USA, Brasilien, Ungarn, der Türkei … geschieht, haben uns George Orwell oder Margaret Atwood gewarnt. „Laibach“ liefert bereits seit vier Jahrzehnten dafür den Soundtrack.
von Gabriele Lange
„All art is subject to political manipulation (…),
except for that which speaks the language of this same manipulation.“Laibach, „Manifest”
Eines der faszinierendsten Konzerte meines Lebens war Laibach „The Sound of Music“. Eine Avantgarde-Industrial-Band spielte Songs aus dem zuckersüßen Musical von Rodgers & Hammerstein. Und präsentierte damit eine irritierende Schnittmenge aus Hollywoodunterhaltung, Heimatkitsch und totalitärer Propaganda. Klingt seltsam? Es wird noch bizarrer. Jahre bevor das Album herauskam hatte Laibach ebendiese Songs in Nordkorea gespielt. 2015, zum 70. Jubiläum der Befreiung von der japanischen Besatzung. Mitten im Konflikt um die nukleare Aufrüstung Nordkoreas. Als erste ausländische Rockband, die dort überhaupt je auftreten durfte. Es gibt einen Dokumentarfilm darüber (Liberation Day).
Das hätte schiefgehen können, denn diese Diktatur ist unerbittlich. Auch gegen Ausländer. Damit sich ermessen lässt, was für ein irrwitziges Kunststück Laibach da gelungen ist – und wie das klappen konnte –, muss ich etwas ausholen.
„Gib mir ein Leitbild!“ Moment mal, sind das Nazis?
Seit vierzig Jahren spielt der musikalische Teil des Künstlerkollektivs „Neue Slowenische Kunst“ nun mit der Ästhetik totalitärer und faschistischer Regime. Laibach erklärt nicht, verweigert die Interpretation. Laibach parodiert nicht, sondern bleibt schmerzhaft nah am Original. Die Band entlarvt durch Überidentifikation. Bei ihren Inszenierungen assoziiert man leicht Leni Riefenstahl, Nürnberger Parteitage und stalinistische Propaganda.
Denken Sie jetzt an Rammstein? Stimmt. Deren Sänger Till Lindemann gibt selbst zu, dass sich die Band von Laibach hat „inspirieren“ lassen. Ich würde es anders formulieren: Die talentierten Brachialrocker haben das Marketing-Potential der Provokation durch martialische Nazi-Optik erkannt. Sie lassen einfach jede Brechung weg. Dazu kommen sexistische Texte, etwas Extra-Ekel, jede Menge Special Effects – und immer hübsch auf die Kunstfreiheit verweisen. Fertig ist das Geschäftsmodell.
Laibach provoziert – allerdings meistens den Verstand. Die Gruppe war an einer Vielzahl von Theaterprojekten beteiligt (und an den exzentrischen Iron-Sky-Filmen, in denen es um Nazis auf dem Mond geht. Nur der erste ist sehenswert). Jedenfalls ist es nicht unwahrscheinlich, dass die Nordkoreaner schlicht auf die plakativ-heroische Umsetzung des unsäglichen 80er-Opus-Hits „Live is Life!“ oder von Queens „One Vision“ hereingefallen sind – Ironie dürfte in Kims Diktatur eher wenig verbreitet sein.
Die Trapp-Familie – in Deutschland verkitscht
Angehende Nonne verlässt das Kloster, kümmert sich um die Kinder des verwitweten und überaus autoritären Adeligen von Trapp, heiratet selbigen. Familie verlässt Österreich, als die Nazis einmarschieren, emigriert in die USA, macht dort Karriere als Tracht tragender, vor allem Volkslieder singender Chor.
Darum geht’s in einem der erfolgreichsten deutschen Filme der 50er Jahre. Die Familie wird idealisiert, aus der geordneten Ausreise des bereits im Ausland erfolgreichen Chors wird hier eine Flucht, der politische Hintergrund kommt dennoch nur am Rande vor. Primär geht es um heile Welt – so zuckrig, dass die Zähne beim bloßen Zuschauen Löcher bekommen. Regie führte übrigens Wolfgang Liebeneiner, der in der NS-Zeit unter anderem „Ich klage an“ gedreht hat, einen Film, in dem es um die Tötung von schwer Kranken geht und der propagandistisch das Euthanasieprogramm vorbereiten sollte. Von vielen Szenen in „Die Trapp-Familie“ wäre auch Goebbels begeistert gewesen (ja, doch … siehe Kurzbiografie unten).
Alpenkitsch & noch heilere Welt: Die US-Version
So eine rührende Story musste natürlich ein Musical werden. Aus dem Broadway-Erfolg „The Sound of Music“ wurde dann 1965 ein Film. Ganze 1,5 Milliarden Menschen vor allem in den USA und Asien haben seither den Streifen gesehen, der ganze fünf Oscars gewann und den das American Film Institute (AFI) mal auf Platz 55 der besten US-Filme aller Zeiten gelistet hat. Zum 50. Jahrestag gab es sogar eine ganz besondere Performance bei den Oscars. Im deutschsprachigen Raum ist der Film weniger präsent – mit Trachten- und Heimatschmalz war und ist die Versorgung bei uns auch so gesichert.
“The Hills are alive” in Pjöngjang
Kann man noch süßer singen als Julie Andrews? Kein Problem für Boris Benko von Laibach. Statt der Berge gibt’s dazu eine durchgeplante Stadtlandschaft, statt Dirndln uniformiertes Jungvolk, statt braver Blondzöpfe ernste Nordkoreaner bei der Erfüllung diverser patriotischer Pflichten. Die Bilder aus der Diktatur öffnen den Blick. Die streng dressierten Kindlein im Kitschfilm sind plötzlich nicht mehr nur niedlich, die durchchoreographierten Untertanen werden dagegen auf einmal als Individuen sichtbar. Die große Familie mit gütiger Mutter und disziplinierendem Vater wird zusehends gruseliger, während die Kuckucksuhr ruft. Das letzte Bild von „So long, farewell“ vor dem Abspann (3:12) weckt eine Assoziation an den Keller von Josef Fritzl. Bei 5:10 wird es dann noch einmal interessant.…
Der Verlust der Unschuld
Der Verlust der Unschuld zieht sich als thematischer roter Faden durch die Interpretation von Laibach. Politisch – aber nicht nur. Im Originaltext von “Sixteen going on Seventeen” heißt es etwa:
“Your life, little girl, is an empty page,
That men will want to write on”
Heute fühlt man sich da unbehaglich. Während die Warnung „Better beware, be canny and careful“ im Musical niedlich durch einen kaum älteren Jungen vorgebracht wird („You need someone older and wiser, telling you what to do“), umschmeichelt bei Laibach der lüsterne ältere Mann (Milan Fras) das naive Mädchen wie der böse Wolf das Rotkäppchen (kein offizielles Video verfügbar, diese Interpretation mit Disney-Bildern passt gut, könnte aber irgendwann aus dem Netz verschwinden…). Der Jodler vom einsamen Ziegenhirten wird nicht mehr als putziges Puppentheater aufgeführt – bei Laibach sind der Hirte und der Jäger die typischen guten Onkels, verdächtig harmlos – und doch irgendwie ungebührlich intensiv an den Mädchen aus dem Kinderballett interessiert. Erinnert mich übrigens an viele Bilder des aktuellen US-Präsidenten mit seiner Tochter – und an seltsame Aussagen des Vaters über sie… Apropos, auf einen glockenhellen Kleinmädchenchor und kindliche Unschuld greift man im Trump-Lager auch gern zu Propagandazwecken zurück.
Träume vom Konsum – und von Veränderung?
Was für das eine Publikum romantisch bis selbstverständlich ist, ist für das andere ein unerreichbarer Traum. Als die Kinder nicht schlafen können, beruhigt Maria von Trapp sie mit „My Favourite Things“. Neben Regentropfen und Mädchen in weißen Kleidchen kommen da auch „Cream-colored ponies and crisp apple strudels… And schnitzel with noodles“ vor. Die banalen Träume von Spielzeug und leckerem Essen … in Nordkorea fühlen sie sich wohl anders an. Laibachs Musik ist angemessen melancholisch.
In Pjöngjang spielten Laibach auch ihre Version von „Across the Universe“ von den Beatles. Das tieftraurig wiederholte „Nothing’s gonna change my world“ dürfte selten schmerzhafter geklungen haben (Mina Spiler, live in Pjöngjang, Song startet ab 1:10). In der Videoprojektion sollen derweil Raketen gestartet sein. Benko sang gefühlvoll ein koreanisches Volkslied. Und dann spielten sie tatsächlich noch ihren Song „The Whistleblowers“.
„We march
The black cross machine
We stand alone
But soon the day will come
When freedom rings“
Wie man unter anderem in dieser BBC-Dokumentation sieht, gab es koreanische Untertitel… Das Publikum blieb stoisch. So stoisch wie die Band. Anders wäre dieses Ereignis nicht denkbar, nicht möglich gewesen. Doch unter den ruhig oder ostentativ gelangweilt lauschenden Menschen findet man auch welche, die nicht vollständig verbergen können, dass es hinter ihrer Stirn gerade arbeitet…
Trump bewundert ja Kim Jong-un. Sein Ego ist ähnlich aufgeblasen und fragil zugleich. Es ist durchaus möglich, dass der US-Präsident im November nicht abtritt. Dabei ist es nicht gänzlich auszuschließen, dass er seine Amtszeit nicht auf demokratischem Weg verlängert.
Bei der letzten Inauguration hatte er große Probleme, Musiker zu finden, die für ihn spielen wollten. Vielleicht gibt ihm dann sein Diktatoren-Kumpel einen Tipp. Und Laibach spielen „Sympathy for the devil“, bevor Margaret Atwoods Buch Handmaid‘s Tale Realität wird.
Gabriele Lange, 08. Juni 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Ladas Klassikwelt (c) erscheint jeden Montag.
Frau Lange hört zu (c) erscheint jeden zweiten Dienstag.
Schweitzers Klassikwelt (c) erscheint jeden zweiten Dienstag
Sommereggers Klassikwelt (c) erscheint jeden Mittwoch.
Hauters Hauspost (c) erscheint jeden Donnerstag.
Lieses Klassikwelt (c) erscheint jeden Freitag.
Spelzhaus Spezial (c) erscheint jeden zweiten Samstag.
Ritterbands Klassikwelt (c) erscheint jeden zweiten Sonntag.
Posers Klassikwelt (c) erscheint jeden zweiten Sonntag.
Die Münchnerin Gabriele Lange (Jahrgang 1960) war bei ihren ersten Begegnungen mit klassischer Musik nur mäßig beeindruckt. Als die lustlose Musiklehrerin die noch lustlosere Klasse in die Carmen führte, wäre sie lieber zu Pink Floyd gegangen. Dass Goethes Faust ziemlich sauer war, weil es in dieser Welt so viel zu erkunden gibt, man es aber nicht schafft, auch nur einen Bruchteil davon zu erfassen, leuchtete ihr dagegen ein. Sie startete dann erst mal ein Geschichtsstudium. Die Magisterarbeit über soziale Leitbilder im Spielfilm des „Dritten Reichs“ veröffentlichte sie als Buch. Bei der Recherche musste sie sich gelegentlich zurückhalten, um nicht die Stille im Archiv mit „Ich weiß, es wird einmal ein Wonderrrr geschehn“ von Zarah Leander zu stören, während sie sich durch die Jahrgänge des „Film-Kurier“ fräste. Ein paar Jahre zuvor wäre sie fast aus ihrer sechsten Vorstellung von Formans „Amadeus“ geflogen, weil sie mit einstimmte, als Mozart Salieri wieder die Sache mit dem „Confutatis“ erklärte. Als Textchefin in der Computerpresse erlebte sie den Aufstieg des PCs zum Alltagsgegenstand und die Disruption durch den Siegeszug des Internets. Sie versuchte derweil, das Wissen der Technik-Nerds verständlich aufzubereiten. Nachdem die schöpferische Zerstörung auch die Computerpresse erfasst hatte, übernahm sie eine ähnliche Übersetzerfunktion als Pressebeauftragte sowie textendes Multifunktionswerkzeug in der Finanzbranche. Vier Wochen später ging Lehman pleite. Für Erklärungsbedarf und Entertainment war also gesorgt. Heute arbeitet sie als freie Journalistin. Unter anderem verfasste sie für Brockhaus einen Lehrer-Kurs zum Thema Medienkompetenz. Musikalisch mag sie sich auch nicht festlegen. Die Liebe zur Klassik ist über die Jahre gewachsen. Barockmusik ist ihr heilig, Kontratenöre sind ihre Helden – aber es gibt noch so viel anderes zu entdecken. Deshalb trifft man sie (hoffentlich bald wieder) etwa auch bei Konzerten finnischer Humppa-Bands, einem bayerischen Hoagascht und – ausgerüstet mit Musiker-Gehörschutz – auf Metal- oder Punkkonzerten. Gabriele ist seit 2019 Autorin für klassik-begeistert.de .