Don Pasquale an der Royal Opera zwischen Brillanz und Bitterkeit

Gaetano Donizetti, Don Pasquale, Royal Opera House, London, 14. Oktober 2019

Foto: © Clive Barda
Gaetano Donizetti, Don Pasquale,
Libretto Giovanni Ruffini und Gaetano Donizetti
Royal Opera House, London, 14. Oktober 2019

 Von Charles E. Ritterband

Bryn Terfel, der walisische Bassbariton ist ein Weltstar – und er ist der erklärte Liebling der Royal Opera Covent Garden. Ob er allerdings in der komischen Titelrolle von Donizetti’s „Don Pasquale“ nicht doch eher unterfordert war und unter seinem Niveau singen musste, könnte man mit Recht fragen. Terfel hat schon grandiosere Rollen gesungen, von Boris Godunov (kürzlich in Covent Garden), als großartiger Fliegender Holländer und überragend komischer Falstaff.

Jedenfalls hat es ihm, seinen Partnern auf der Bühne und den Zuschauern, auch diesmal, in dieser neuen Produktion des „Don Pasquale“, Spaß gemacht – und das ist doch die Hauptsache. Auch wenn sich Terfel hier einmal mehr (siehe Falstaff) als überaus sympathisches komisches Talent profiliert: Es stellt sich doch die Frage, ob der 53Jährige nicht vielleicht doch schon seinen sängerischen Zenith zu überschreiten beginnt. Aber diese Rolle bietet möglicherweise nicht den fairen Anlass, dies zu beurteilen.

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Auch wenn der berühmte Terfel (mit Rollendebut im „Don Pasquale“) an diesem Abend für einen Großteil des Publikums der Royal Opera unter den Sängern das Zugpferd  war  – der Star des Abends war er dennoch nicht.

Das war nämlich eindeutig die Norina der aus Sankt Petersburg stammenden Olga Peretyatko – dicht gefolgt von ihrem Bühnen-Liebhaber, dem Ernesto des rumänischen Tenors Ioan Hotea. Dieser war der phänomenalen Peretyatko ein kongenialer Partner – das ideale Belcanto-Paar sozusagen. Hotea schwang sich in herrliche Höhen auf, mit derselben mühenlosen Leichtigkeit und musikalischen Virtuosität, die Peretyatko in ihren geradezu akrobatischen Koloraturen an den Tag legte. Donizetti, ganz auf den Belcanto-Spuren seines Vorbilds Rossini und dessen so erfolgreicher Opera Buffa, verlangt seinen Sängern geradezu akrobatische Leistungen ab – beispielsweise akrobatische Spannweiten von bis zu zwei Oktaven und schwindelerregende Höhenflüge. Die Höhen der Peretyatko waren allerdings mitunter kristallen scharfkantig. Doch das passte gar nicht so schlecht zu ihrem Charakter als Figur, der einiges an Bosheit und Zynismus offenbarte – und sie glich das wieder aus mit ihren besonders feinfühligen Pianissimi.

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Um nichts stand diesen beiden jungen, brillanten Belcanto-Größen der Dritte im Bunde, als Doctor Malatesta – der österreichische Bariton Markus Werba nach, mit seiner hinreissend gesungenen Cavatine, mit der er dem Heiratskandidaten Don Pasquale die vermeintlich klösterliche Schwester Norina schmackhaft machen will: „Bella siccome un angelo“(schön wie ein Engel)  – Werba singt sie fließend, weich und mit zärtlichem Schmelz. Das Belcanto-Paar Sopran und Tenor sowie der perfekte junge Bariton waren ein hinreißendes Trio und stellten den Titelhelden Bryn Terfel in den Schatten – was dieser allerdings sichtlich sportlich und großmütig hinnahm.

„Don Pasquale“ entstand auf dem künstlerischen Höhepunkt des Schaffens von Gaetano Donizetti – manche halten diese Oper für sein musikalisches Meisterwerk schlechthin, wegen der hohen Qualität, mit der die Rollen der Sängerinnen und Sänger geschrieben sind und wegen der humorvollen Leichtigkeit, mit der er Rossinis Erbe antritt und den Großmeister des Belcanto sogar noch qualitativ zu übertreffen vermag. Es sind einmal mehr herrliche Melodien aus der Hand dieses kaum übertreffbaren Meisters – Töne, die im Verlauf des restlichen Abends noch lange im Ohr nachklingen, lange nachdem sich der Vorhang über der Opernbühne gesenkt hat. Der italienische Dirigent Evelino Pidò verleiht mit dem wie immer herausragenden und grandios vielseitigen Hausorchester der Royal Opera der Partitur Donizettis die ganze Brillanz und „Italianità“, die sie erfordert.

Aber zugleich fließt in die heiter-parodistische Handlung dieser Oper tiefe Tragik aus der Biographie Donizettis mit ein: Er hatte gerade Frau und Tochter verloren – es war das dritte Kind, das in zartem Alter starb. Einiges von der unvermeidlichen Bitterkeit über diese persönlichen Schicksalsschläge fließt in diese urkomische Belcanto-Oper ein – es ist die Tragik des alternden Mannes, der sich der Illusion und damit auch der Schande ausliefert, indem er sich und seine Attraktivität maßlos überschätzt und sein Alter, seinen Zustand ignoriert. Er „kauft“ sich eine Braut und wird von den Beteiligten brutal hinters Licht geführt – hart bestraft für seine Arroganz, die er an den Tag legt, als er glaubt, seinem Neffen Ernesto die Ehe mit seiner geliebten Norina verbieten zu können.

„Don Pasquale“ erlebte am 3. Januar 1843 die Uraufführung im Théatre-Italien in Paris – und schon ein halbes Jahr später, am 20. Juni hatte die Oper ihre Londoner Erstaufführung, im (heute noch existierenden) „Her Majesty’s Theatre“ in Haymarket. Elf Jahre vorher hatte Donizettis Oper „Elisir d’Amore“ in Mailand ihre Uraufführung – und in der Hochzeitsszene führt der Quacksalber Dulcamara mit Adina das überaus heitere „Theater im Theater“ vor, eine Farce, in welcher der alte, senile Senator die junge knackige Adina, hier als Gondolieressa posierend, ehelicht: Hier produzierte Donizetti ein entzückendes Commedia dell’Arte-Stücklein in reinster Form.

Elf Jahre später baute er das Thema zu einer abendfüllenden Oper aus – aber viel von der Unschuld und dem Charme der kleinen Szene ist seither (vielleicht wegen Donizettis tragischer Biographie) verloren gegangen. Die Sache ist – bei aller musikalischer Leichtigkeit – bitter geworden, ja ziemlich tragisch.Während man im Falstaff mit dem Protagonisten lacht, so lacht man im „Pasquale“ über ihn. Ein ganz wesentlicher Unterschied. Man könnte fast sagen, dass im „Pasquale“ die Schwelle von der Farce zur Grausamkeit überschritten wird. Pasquales Erniedrigung kulminiert in der schallenden Ohrfeige, die ihm Norina verpasst.

Die Sache ist komisch, aber sie ist gleichzeitg auch überaus tragisch. Und diese Inszenierung thematisiert und persifliert die Alterstorheit streckenweise so brutal realistisch, dass einem das Lachen im Halse stecken bleiben könnte. Da ist zunächst das Bühnenbild Paolo Fantin, dessen verstaubt-miefige Brockenhaus-Schäbigkeit in Beige-Tönen die für jede junge Frau denkbar unattraktive Welt des alternden Don Pasquale geradezu schrecklich konkret verkörpert. Dazu passt auch die alte, schrumpelige, kettenrauchende Haushälterin, der dann im zweiten Akt von der  angeblichen Kloster-Novizin Sofronia zum kostspieligen Edel-Weibchen avancierten Norina ein adrettes Dienstmädchen-Schürzchen umgehängt kriegt.

Deprimierend brutal auch die Alters-Requisiten des Don Pasquale – sein schlampiger Pyjama, den Norina triumphierend im Brockenhaus-Bett findet und vor allem die orthopädische Bauchbinde, die seine üppigen Formen unter Kontrolle bringen soll. Im dritten Akt lässt die jetzt ihre wahre Natur offenbarende Norina das Brockenhaus-Interieur mit großem Personalaufwand zu einem minimalistisch-hochmodernen Design umbauen – und sie spart auch nicht mit Schmuck und Haute-Couture-Kleidung auf Don Pasquales Kosten. Peretyatko zeigt dabei ihr schauspielerisches Talent und ihren (oft maliziösen) Charme.

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Das Bühnenbild wird dominiert von angedeuteten Umrissen eines Hauses mit kalten Neonröhren. Damit wird drastisch und in eisig kaltem Licht gezeigt, wie wichtig Haus und Möbel für die Handlung sind – Don Pasquale wird aus seiner gewohnten Lebenswelt herausgerissen, deren Versatzstücke werden entsorgt, und er wird in ein ihm fremdes Ambiente versetzt. Das ist unverhohlen grausam, so lustig es auch auf den ersten Blick erscheinen mag.

Diese neue Produktion hat zweifellos ihre Stärken und ihre Originalität, wenn auch diese regelmäßig über die Gebühr strapaziert wird. Die Inszenierung ist, mit einem Wort, überfrachtet. Unmotiviert laufen Kinder über die Bühne, mal mit und mal ohne Mutter. Das ist wohl eine psychologisierende Betrachtungsweise – Anspielung vermutlich auf Don Pasquales unverarbeitete Kindheit. Nicht wirklich plausibel. Ernesto umklammert einen Teddybär und erscheint neben der sehr fraulichen, hocherotischen und bildschönen Narina wie ein pubertierender Jüngling. Was diese tolle Frau an diesem unreifen Knaben finden soll, wird nicht ganz klar. Dann müssen sich die Protagonisten plötzlich als Puppenspieler betätigen. Dann ist da eine Filmleinwand aufgestellt, welche es ermöglicht, die Darsteller in eine andere Realität zu katapultieren. Überstrapazierung der technischen Möglichkeiten.

Dass diese Inszenierung Don Pasquale am Ende in einen Rollstuhl verbannt und ihn mit einem filmischen Blue-Screen-Trick in ein Altersheim versetzt, wo er sich mit seinen (durchaus interessierten) Altersgenossinnen herumzuschlagen hat, während die jungen Liebenden Verlobung feiern, mag ein lustiger Regieeinfall sein – ist aber eigentlich ziemlich brutal.

Charles Ritterband, 18. Oktober 2019, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Inszenierung: Damiano Michieletto
Bühne: Paolo Fantin
Dirigent: Evelino Pidò
Don Pasquale: Bryn Terfel
Norina: Olga Peretyatko
Ernesto: Ioan Hotea
Malatesta: Markus Werba
Orchester der Royal Opera

 

 

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