Gavino Murgia und Cantar Lontano bringen fabelhafte Klangwelten ins Brucknerhaus

Gavino Murgia, Cantar Lontano, Marco Mencoboni, Brucknerhaus Linz, 25. Februar 2019

Brucknerhaus Linz, 25. Februar 2019
Foto: Gavino Murgia © Tiziana Pala

Gavino Murgia Saxophon
Cantar Lontano Vokalensemble
Marco Mencoboni Musikalische Leitung

von Julia Lenart

Ein sanfter Glockenton hallt durch den Mittleren Saal des Brucknerhauses. Vier Gesangsstimmen betten sich nacheinander darüber, überlagern den Ton allmählich und erfüllen den Raum mit einer weichen Klangwolke. Marco Mencoboni gibt mit Weinglas und Löffel gewissermaßen den Takt an und führt die Sänger an den Zusehern vorbei auf die Bühne. Wunderbare Renaissance-Klänge umhüllen die Zuhörer von allen Seiten – man fühlt sich in eine andere Welt versetzt.

Das Programm des Abends heißt Officium Divinum. Es schließt an das Album Officium an, das der norwegische Saxophonist Jan Garbarek im Jahre 1994 mit dem Hilliard Ensemble aufgenommen hat. Die gewagte Idee, Musik verschiedener Epochen zu vereinen, sollte sich als erfolgreich erweisen. Das Ergebnis war ein unvergleichliches Klangerlebnis, welches sakrale Gesänge der Renaissance mit jazzigen Saxophonklängen verband.

Rund zwanzig Jahre später erfährt Marco Mencoboni – ein Spezialist auf dem Gebiet der Alten Musik – von der Auflösung des Hilliard Ensembles. Er beschließt also, das Projekt Officium selbst aufzunehmen, um diese besondere Art von Zusammenspiel nicht aussterben zu lassen. Gemeinsam mit dem Vokalensemble Cantar Lontano und dem Jazz-Saxophonisten Gavino Murgia nimmt Mencoboni das Projekt in Angriff.

So entstand Officium Divinum. Und so steht es an diesem Abend im Brucknerhaus auf der Bühne. Angeführt von Mencoboni betreten die vier Sänger (Countertenor, zwei Tenöre und Bariton) den Saal von hinten und schreiten auf die Bühne zu. In feinster Weise erfüllen ihre weichen Stimmen den gesamten Saal und umschlingen die Zuhörer regelrecht. Cantar Lontano (entfernter Gesang) so heißt auch eine Gesangspraxis des 15. Jahrhunderts, bei welcher sich die Sänger an verschiedensten Stellen des Saales positionieren, um das Klangerlebnis auf eine neue Ebene zu heben. Besonders in Kirchen (wo diese Musik bekanntlich beheimatet ist) nehmen die einzelnen Stimmen dabei den gesamten Raum ein, verbinden sich für den Zuhörer zu einem großen Ganzen und wirken dabei wahrlich überirdisch. Cantar Lontano (das Ensemble) zeigt an diesem Konzertabend mehrmals, welch Mystik und Schönheit in dieser Gesangstechnik stecken.

Unter die vier Stimmen mischt sich Murgias Sopransaxophon. Sein erster Einsatz wirkt noch etwas hart im Gegensatz zu den sanften Klängen der Sänger. Er scheint eher einen Gegenpol zu bilden, als sich unter sie zu mischen. Bald verschmilzt der Klang des Sopransaxophones jedoch mit den Gesangsstimmen. Es ist eine wundervolle Symbiose, die an Garbarek erinnern lässt: eine würdige Ergänzung der Sänger.

Ein weiteres überraschendes Element des Abends sind die tiefen Klangfarben, die von Murgias speziell sardonischer Gesangstechnik herrühren. Reich an Obertönen, mit einem kehlig schnarrenden Beigeschmack erinnert sein Gesang an ein Didgeridoo. Zunächst muss man sich an diese neue Klangfarbe gewöhnen; sie scheint doch etwas rau. Doch auch sie mischt sich exzellent unter die sakralen Renaissance-Gesänge. Man braucht nur die Augen zu schließen und scheint in eine andere Welt abzutauchen. Nur manchmal bricht Murgia etwas zu brachial in die getragenen Gesänge seiner Kollegen. Schnelle Sechzehntelzerlegungen gehen ihm leicht von der Hand, aber sie möchten eingeleitet werden und schließlich wieder zu den sanften, getragenen Gesangsteilen überleiten. An manchen Stellen wird man vom plötzlichen Einsatz des Saxophons ein wenig überrumpelt. Das soll das Gesamterlebnis dieses Konzertes nicht trüben: Murgia beweist oft genug, dass auch er dem Projekt Officium Divinum gewachsen ist und sein Handwerk bestens versteht.

Ein kleines Manko des Abends ist die Akustik. Schon Garbareks Projekt wurde ausschließlich in Kirchen aufgeführt. Erst im hallenden Umfeld der Kirchenbauten kann diese Musik ihr Volumen und ihre Wirkung entfalten. Der Mittlere Saal des Brucknerhauses ist nun Mal keine Kirche, was die Musik – vor allem den Sängern – ein wenig ihres Volumens beraubt.

Nichtsdestotrotz ist es ein großartiges Konzert. Die Paarungen von Klangfarben eröffnet den Zuhörern neue Klangwelten. Die Musiker beweisen, dass sie nicht einfach eine billige Kopie Garbareks und des Hilliard-Ensembles sind. Sie zeigen, dass sie die Musik zu würdigen wissen. Der nicht enden wollende Applaus spricht für sich. Ein Dank an Marco Mencoboni, CantarLontano und Gavino Murgia dafür, dass sie auf den Spuren Jan Garbareks und des Hilliard Ensembles wandeln und deren wegweisendes Projekt Officium weitertragen.

Julia Lenart, 26. Februar 2019, für
klassik-begeistert.at und klassik-begeistert.de

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