Lawrence Zazzo (Giulio Cesare) © Monika Rittershaus
Georg-Friedrich Händel
Giulio Cesare in Egitto
Musikalische Leitung: Simone Di Felice
Inszenierung: Nadja Loschky
Bühnenbild: Étienne Pluss
Kostüme: Irina Spreckelmeyer
Licht: Joachim Klein
Chor: Tilman Michael
Oper Frankfurt, 14.April 2024
von Kirsten Liese
Der erste Blick fällt auf antike Büsten, aufgereiht auf Stelen, und etwas später auf einen Männertorso in einer Vitrine. Spielt diese Händeloper nun auch schon wieder in einem Museum wie vor nicht allzu langer Zeit in Paris die von Lotte de Beer verhunzte Aida?
Das wäre gewiss reiflich beliebig. Letztlich ließe sich jedes Stück in einem Museum verorten, ohne dass damit ein Erkenntnisgewinn einherginge.
Allerdings ist man sich in der Frankfurter Oper nicht sicher, ob Nadja Loschky ihre Inszenierung tatsächlich so verstanden wissen will. Lange rätsle ich, was sie überhaupt in diesem Figurenpark erzählen möchte, gewinnt doch das Museum als Ort in ihrer Produktion keine klare Kontur.
Im Laufe des Abends hat es eher den Anschein, als seien die antiken Relikte lediglich dekorative Versatzstücke eines Dramas, das die historischen Protagonisten Cäsar und Cleopatra nicht verleugnet, aber seitens der Ästhetik ein bisschen zeitlos anmuten – und den Krieg in diesem Drama um Macht und Liebe in seiner Allgegenwärtigkeit andeuten will. Dies auch mit viel Rauch im hinteren Bühnenraum und Kostümen, die sich an Schnittmustern antiker Gewänder orientieren, mit teils billigen Materialien wie Kunststoff, Gummi und Latex aber heutiger anmuten.
Ganz anders der von George Petrou inszenierte Giulio Cesare in Egitto vor zwei Jahren in Göttingen: Da erwachte das alte Ägypten im Jahr 1922, als der Forscher Howard Carter es entdeckte, in Opulenz mit seinen Pyramiden, Grabkammern und Pharaonen zu neuem Leben, angereichert noch mit allerhand Stummfilm-Videos à la Fritz Langs Metropolis. Allerdings erlebte man da angesichts optischer Überfrachtung das andere Extrem.
Ein bisschen von diesem Bilderrausch hätte Loschkys Produktion sicherlich gut getan, die erst an Farbe und Poesie gewinnt, wenn Cleopatra unter falscher Identität Cäsar in einem herrlichen Park verführt. Aber die spartanische Ausrichtung bietet auch einen Vorteil, man konzentriert sich stärker auf die Musik. Auch dann noch, wenn das Geschehen um die verfeindeten Parteien ab dem zweiten Akt brutaler – und dank einer sehr lebendigen Personenregie zunehmend bedrückender wird.
Allen voran Cláudia Ribas, seit anderthalb Jahren Mitglied im Frankfurter Opernstudio – und mit ihrem sonoren, fülligen, großen Mezzosopran eine Sängerin mit großer Zukunft – hat in solchen Szenen starke Momente. In ihrer Trauer um ihren ermordeten Gatten, den römischen Feldherrn Pompeius, erscheint ihre Cornelia von Anfang als eine gebrochene Figur, zutiefst verzweifelt und standfest in ihrer Zurückweisung des Mörders ihres Mannes, der sein unerwidertes Begehren an ihr mit Gewalt einfordert.
Nils Wanderer, ein weiterer trefflicher Nachwuchssänger, gibt mit kaum zu überbietender Widerwärtigkeit diesen Tolomeo, der Cornelia vor den Augen ihres Sohnes in seinem Harem zwingt, an Haaren über die Bühne schleift, zu Boden schleudert oder mit dem Messer bedroht, wenn sie nicht spurt. Und seine Schwester Cleopatra in Konkurrenz um die Macht hart angeht. Mit seinem agilen, in alle Register schlank geführten Countertenor, sicher in der Höhe, profund in der Tiefe, tritt der Gewinner des Operalia Gesangswettbewerbs 2022 schon jetzt in die Fußstapfen so bedeutender Kollegen wie Max Emanuel Cenčić oder Yuriy Mynenko.
Weniger überzeugte der amerikanische Counter Lawrence Zazzo in der Titelpartie. Vor allem im ersten Akt verhudelte er in der von mir besuchten Vorstellung seine Koloraturen, seine Stimme fand streckenweise nicht den idealen Sitz. Immerhin aber im zweiten Akt gestaltete er seine lange schöne Arie „Se in fiorito ameno prato“ deutlich sicherer und bestens abgestimmt auf die mit ihm dialogisierende Solo-Violine.
In seiner letzten Arie entströmen seiner Kehle schließlich doch noch lichte, luzide, schöne Spitzentöne im Falsett, da wirkte der Sänger wie ausgewechselt.
Unter zahlreichen Newcomern fand sich in Gestalt der viel beschäftigten Pretty Yende auch ein sehr prominenter Name auf der Besetzungsliste. Auch sie fand erst im Laufe des Abends und nach kleinen Ungenauigkeiten im Zusammenspiel mit dem Orchester in der Verführungsarie „V’adoro pupille“ zu der von ihr gewohnten Hochform. Der Affekt des Schwermütigen, Elegischen liegt ihr vielleicht einfach noch besser, jedenfalls tönten ihre beiden großen Arien „Giusto Ciel“ und „Piangerò“ von einem zärtlichen Liebreiz und einer lyrischen Schönheit, die sich schwerlich überbieten lässt.
Abgesehen von der unvergleichlichen Lisa Della Casa mit ihrem silbrigen Timbre, die diese Arien vor 60 Jahren in deutscher Sprache aufnahm, habe ich sie bislang selten so schön gehört, noch nicht einmal von der berühmten Cecilia Bartoli, die in dieser Partie mit reiflich kehligem Gesang und unschönem dicken Vibrato ihre ersten Salzburger Pfingstfestspiele eröffnete.
Die eigentliche Entdeckung dieses Giulio Cesare aber beschert die Neuseeländerin Bianca Andrew als Cornelias Sohn Sesto. Als sie das erste Mal auftritt, meint man einen jungen Mann an der Seite seiner Mutter zu sehen, einen Kopf kleiner als sie und von jugendlicher Gestalt. Wie der wohl die anspruchsvollen Szenen und Arien meistern wird, frage ich mich noch, bis ich feststelle, dass es tatsächlich eine erwachsene Frau ist, die hier so trefflich ihre Hosenrolle meistert. Ein sensibles, schmächtiges Kerlchen ist dieser Sesto, der mit seiner Mutter über den Verlust seines Vaters trauert und, wiewohl körperlich seinen Feinden unterlegen, alles dransetzen will, den Mord am Vater zu rächen.
Und erst diese Stimme!! Groß, schlank und noch in den dramatischen Momenten von vollblütiger Schönheit ist ihr Mezzosopran, und im Gegensatz zu Zazzo, der in seinen Koloraturen einige Töne verschluckt, empfiehlt sie sich als eine Virtuosin erster Klasse, die gestochen scharf alle Noten serviert, die Händel für ihren Part geschrieben hat. Wenn ich ganz ehrlich bin, gefällt mir diese Sängerin noch besser als der damals im Zenit seiner Kunst stehende Philippe Jaroussky in der erwähnten, prominent besetzten Salzburger Produktion vor 12 Jahren, dies auch deshalb, weil Andrew sich auf die seltene Qualität des Liniensingens versteht. Und so zählt etwa auch das Duett zwischen Mutter und Sohn am Ende des ersten Akts zu den musikalischen Höhepunkten dieser Produktion.
Überhaupt sind selbst die kleineren Nebenpartien sehr achtbar besetzt, allen voran die von Cleopatras Vertrautem Nireno in Gestalt des russischen Rollendebütanten Iurii Iushkevic, ein Countertenor mit einer selten hellen, luziden Stimme, die schon fast an einen Sopran erinnert. Wie schön, dass er seine virtuose Arie singen darf, die oft gestrichen wird.
Simone Di Felice leitete das Frankfurter Opern- und Museumsorchester stilsicher und engagiert, fand dabei seitens der Tempi das richtige Maß, will heißen, hetzte nicht so radikal schnell durch einige Wut- und Rachearien wie in Göttingen der ansonsten von mir sehr geschätzte George Petrou.
Die von Händel vorgesehenen Blockflöten habe ich zwar an diesem Abend nicht gehört, sie sind auch unter den Spezialisten, die das Orchester in Barockproduktionen verstärken, im Programm nicht aufgeführt, aber das fällt nicht groß ins Gewicht. Schließlich gehörte eine gewisse Austauschbarkeit innerhalb des Instrumentariums schon in Händels Zeiten zur gängigen Praxis. Umso mehr haben mich die ventillosen Naturhörner mit ihrer fast einwandfreien Intonation beeindruckt, die sich in seltenen Momenten dazugesellen, wenn von der Jagd die Rede ist oder wie am Ende alle den Frieden besingen.
Kirsten Liese, 15. April 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Besetzung:
Giulio Cesare: Lawrence Zazzo
Cleopatra: Pretty Yende
Cornelia: Cláudia Ribas
Sesto: Bianca Andrew
Tolomeo: Nils Wanderer
Achilla: Božidar Smiljanić
Curio: Jarrett Porter
Nireno: Iurii Iushkevich
Frankfurter- Opern und Museumsorchester
Chor der Oper Frankfurt
Continuo
Cembalo und Orgel: Alexander v. Heißen, Felice Venanzoni
Violoncello: Johannes Oesterlee
Laute: Thomas Boysen
Gambe: Renate Mundi
Harfe: Masako Art
Georg Friedrich Händel, Hercules Komische Oper Berlin, Premiere am 3. März 2024
Johann Sebastian Bach, Matthäuspassion BWV 244 Frankfurt, Alte Oper, 16. März 2024
Chicago Symphony Orchestra Riccardo Muti, Dirigent Frankfurt, Alte Oper, 19. Januar 2024