Antoninis Wunderwerk bei Händels „Orlando“
Foto: Monika Rittershaus ©
Theater an der Wien, 16. April 2019
Georg Friedrich Händel, Orlando
Dramma per musica in drei Akten (1733)
Il Giardino Armonico/Giovanni Antonini
Regie: Claus Guth
Solisten: Christophe Dumaux, Florian Boesch, Anna Prohaska, Giulia Semenzato, Raffaele Pe
von Herbert Hiess
Es ist keinerlei Übertreibung, wenn man sagt, dass der Deutsch-Brite Georg Friedrich Händel ein musikalischer „Vielschreiber“ war – wenn auch auf musikalisch höchstem Niveau. Genau das ist schon ab seiner mittleren Schaffensperiode zu bemerken, in die auch die Komposition seiner Oper „Orlando“ fällt.
Das merkt man spätestens ab dem zweiten Akt, in dem er in das recht starre Schema seiner „da capo“-Arien fällt. Was für ihn als Komponist gut ist, zerstört sehr oft den dramatischen Fluss, was viele Regisseure auf eine harte Probe stellt und was letztlich für das Publikum einen gewaltigen Anspruch an seine Aufmerksamkeit stellt.
Szenisch wurde dies bei der gegenwärtigen Produktion im Theater an der Wien genial von Claus Guth gelöst. Er verlagerte das Drama um den Kriegshelden Orlando an einen spanischen Badeort in irgendein schon eher heruntergekommenes Appartementhaus am Meer, wobei er eifrigst die Drehbühne benutzte. Die (zeitweise sehr langen) drei Stunden und 20 Minuten drehten sich um die Abreise (die Flucht?) von Medoro und Angelica, die natürlich niemals ausgeführt wurde. Großartig dieses Mal die Videoprojektionen, die niemals aufgesetzt wirkten, sondern einfach eine geniale Ergänzung zu dem Stück waren.
Und spannend, wie sehr die verworrenen Paarbeziehungen jenen der erst 57 Jahre (!) später uraufgeführten „Cosi fan tutte“ von Mozart ähneln. Bis auf die fehlende Despina ist die Personenaufstellung sehr ähnlich; Zoroastro (hier der Kriegstreiber) könnte locker die Rolle Don Alfonsos einnehmen.
Musikalisch ist der „Orlando“ gespickt mit genialen Einfällen; hier blitzt und funkelt es, da werden Vogelstimmen wach, und zeitweise ist überschäumende Dramatik im Orchester zu hören. Schade, dass Händel hier schon oft in sein starres Kompositionsschema fällt und eben die musikalische Dramatik mehr als ausbremst.
Ein echtes Wunder sind Giovanni Antonini und sein edles Ensemble „Il Giardino Armonico“. Hier wurde deutlich hörbar, was von den Dirigenten in den vielen konzertanten und szenischen Händel-Produktionen versäumt wurde. Jedes der Instrumente und seine Spieler in dem Ensemble sind eine Klasse für sich; da machte es einfach Freude, hinzuhören und die musikalischen Geniestreiche mitzuerleben. Und wenn Antonini als begnadeter Blockflötenspieler in der traumhaft schönen elegischen Arie der Angelica mitspielt, dann bleibt kein Auge trocken.
Diese Angelica wurde von der großartigen Sopranistin Anna Prohaska genial interpretiert. Mit ihrer wunderbaren Diktion und Ausstrahlung lässt sie das Publikum am Schicksal der (leidenden) Geliebten teilhaben. Ihr Sopran ist glockenhell und einfach bewundernswert – auch wenn er früher vielleicht etwas „offener“ geklungen hat. Das machen natürlich auch die vielen Jahre auf Bühnen und Konzertpodien.
Giulia Semenzato konnte locker an Anna Prohaskas Leistung anschließen. Mit ihrem beeindruckend klingenden Sopran spielte sie die Rolle der ebenso unglücklich liebenden Dorinda. Sie ist eine Persönlichkeit, die man sich auf alle Fälle merken muss. Offenbar ist sie auf dem unaufhaltsamen Weg zur Weltkarriere.
Weniger beeindruckend die beiden Countertenöre Christophe Dumaux und Raffaele Pe. Ja, sie sangen perfekt, einfühlsam und schön. Und ja, sie spielten in Guths Regie beeindruckend ihre Rollen. Jedoch haben sie halt das Schicksal der meisten Countertenöre, dass sie eben „gleich“ klingen. Es gibt kaum akustische Unterschiede in ihren Stimmen (das ist die Natur dieser Stimmlage), und sie können kaum mit ihren Stimmen großartig spielen. So gut sie technisch sangen, so uninteressant klangen sie auch. Und dafür können sie absolut nichts.
Interessant war, wie gut Florian Boesch dieses Mal in der Rolle des Zoroastros sang und agierte. Einmal war er der recht elegante Kriegstreiber und ein anderes Mal plötzlich ein heruntergekommener Trunkenbold. Einfach genial, wie er nicht nur in die Kostüme dieser Partien, sondern auch in die musikalische Artikulation der jeweiligen Rollen schlüpfte. Herr Boesch hat eine sonore und kräftige Bass-Baritonstimme, die eigentlich immer gleich und relativ laut klang. Noch dazu konnte er die Stimme bis jetzt niemals mit Farben anreichern. Dieses Mal war es doch anders; plötzlich hörte man saubere Koloraturen und zeitweise interessante Klangschattierungen. Kommt Florian Boesch aus seinem bisherigen Gesangsmodus heraus? Wenn er jetzt so weitermacht, wie in dieser Produktion, dann wäre das ein gewaltiger Sprung.
Auf alle Fälle war dieser „Orlando“ ein (wenn nicht DER) Höhepunkt dieser Saison. Eine wahre Freude für Aug und Ohr!
Herbert Hiess, 17. April 2019, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
If you went on the 16th, you would have noticed Zoroastro’s losing the coordination with the orchestra and failing his 1st Aria.
And to write that the two countertenors sounded the same is akin to blasphemy. This is the most biased chronicle I have ever read.
Ohne Namen
I am all with you, concerning the „Blasphemy“. Nobody with an intact hearing can claim that all Counters sound the same and are „uninteresting“.
Nina Schnepf