Dornröschen reloaded: "Mavra" und "Iolanta" – ein ungeheuer starker Abend in München

Igor Strawinsky, Mavra / Peter I. Tschaikowsky, Iolanta,  Opernstudio der Bayerischen Staatsoper, München, Cuvilliés-Theater, Premiere, Montag, 15. April 2019

Foto: Iolanta (Mirjam Mesak ) sitzt in ihrem goldenen Käfig und spielt mit den Puppen Parascha (Anna El-Khashem) und Wassili (Freddie De Tommaso) © Wilfried Hösl

Cuvilliés-Theater, Premiere, Montag, 15. April 2019
Opernstudio der Bayerischen Staatsoper, München
Igor Strawinsky, Mavra / Peter I. Tschaikowsky, Iolanta
Komische Oper in einem Akt / Lyrische Oper in einem Akt
In russischer Sprache mit deutschen Übertiteln
Neuproduktion

von Barbara Hauter

Märchenhaft, verwunschen, tiefenpsychologisch – so inszeniert Axel Ranisch Tschaikowskys selten gespielte Oper Iolanta im puppenstubenhaften Münchner Cuvilliés-Theater. Seine Iolanta, berührend gespielt und gesungen von Mirjam Mesak, ist ein Dornröschen, eine Prinzessin, die in einem rosenumrankten Garten abgeschirmt von anderen Menschen lebt.

Iolanta ist blind geboren und ihr Vater König René (bejubelt: Markus Suihkonen) lässt sie so behütet aufwachsen, dass sie von ihrer Einschränkung nichts wissen und nichts merken soll. Die äußere, enge, kleine Welt der Prinzessin ist farb- und lichtlos, graue Hofdamen umsorgen sie, ein ergrautes Orchester spielt für sie auf. Und doch ist es eine Welt der Fülle, geprägt von Berührungen, Düften, Gefühlen. Das klingt in Tschaikowskys emotionaler Musik wieder. Und welche tiefe psychologische Dimension Iolantas Universum hat, zeigen sinnbildlich die zarten und doch üppigen Natur-Projektionen von Unterwasserszenarien und Wurzelwerk. Freud lässt grüßen.

© Wilfried Hösl

In diese Welt dringt Ritter Vaudémont ein, sympathisch und glaubwürdig gegeben von Long Long, und alles verändert sich. Jolanta erkennt ihre Blindheit. Das ist Voraussetzung für ihre Heilung durch den maurischen Arzt Ibn-Hakia, der von Oğulcan Yilmaz sehr eindringlich gesungen wird.  Ihre Sehnsucht nach Licht soll geweckt werden, doch es ist die Angst um ihren Ritter, der Iolanta antreibt. Gelingt ihre Heilung nicht, muss Vaudémont sterben. In Tschaikowskys Original wirkt der Trick. Die Aussage der Oper ist eine gottesfürchtige: Das Licht des Schöpfers zu erblicken, ist das höchste Glück des Menschen.  Iolanta wird sehend. Doch Regisseur Axel Ranisch traut dieser Lesart nicht und deutet das Ende um. Iolanta bleibt blind und Vaudémont blendet sich selbst, um Iolanta näher zu sein.

© Wilfried Hösl

Eine noch viel stärkere Umdeutung der Iolanta erzielt Ranisch, indem er in Tschaikowskys Werk eine zweite Oper hineinwebt: Mavra von Igor Strawinsky. Ein größerer Kontrast ist kaum denkbar. Mavra ist eine komische Oper, eine opera buffa, grotesk und mit holzschnitt-artigen Figuren. Iolanta spielt den Plot mit ihren Puppen, während auf der Bühne zeitgleich die Sänger und Sängerinnen in Puppenkostümen agieren. Man sieht die Gesichter der Akteure in ihren Kostümen nicht, das erzeugt Distanz. Statt die Tiefe und Individualität der menschlichen Gefühle auszuloten, geht es in Mavra um niedrige Triebe:  Parascha schmuggelt ihren Geliebten Wassili als Köchin verkleidet in den Haushalt der Mutter ein, um sich mit ihm zu verlustieren. Laut, grell, possenhaft. Und letztlich eine Interpretation der Iolanta: In der Heranwachsenden wachen ganz neue Sehnsüchte auf und brechen mit aller groben Macht an die Oberfläche.

Ranisch und seinem Team aus der Nachwuchsschmiede Opernstudio gelingt so ein ungeheuer starker Abend. Die jungen Sänger sind durch die Bank sehr präsent, die russische Dirigentin Alevtina Ioffe, die mit der Premiere ihr Debüt an der Bayerischen Staatsoper feiert, befeuert ihr Orchester mit viel Einsatz. Unbedingt sehens- und hörenswert.

Barbara Hauter, 16. April 2019, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Musikalische Leitung: Alevtina Ioffe
Inszenierung: Axel Ranisch
Bühne: Falko Herold
Kostüme: Falko Herold
Licht: Michael Bauer
Dramaturgie: Nikolaus Stenitzer
Mavra
Parascha: Anna El-Khashem
Deren Mutter: Noa Beinart
Nachbarin: Natalia Kutateladze
Wassili, ein Husar: Freddie De Tommaso
Iolanta
König René: Markus Suihkonen
Robert: Boris Prýgl
Vaudémont: Long Long
Ibn-Hakia: Oğulcan Yilmaz
Almerik: Caspar Singh
Bertrand: Oleg Davydov
Iolanta: Mirjam Mesak
Marta: Noa Beinart
Brigitta: Anaïs Mejías
Laura: Natalia Kutateladze
Kinderchor
Kinderchor der Bayerischen Staatsoper
Bayerisches Staatsorchester
Opernstudio der Bayerischen Staatsoper

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