Fotos: ©EnneviFoto/Fondazione Arena di Verona
Kein Zweifel – es ist die imposanteste Inszenierung dieser weltweit am häufigsten aufgeführten unter allen Opern. Franco Zeffirellis Carmen, die vor fast drei Jahrzehnten für die römische Arena von Verona erstellte epochale Produktion, fasziniert nicht weniger als im Jahr der Erstaufführung 1995 Scharen von Besuchern, welche alljährlich im sommerlichen „Arena di Verona Opera Festival“ auf sonnengeheizten, steinernen Stufen und den vornehmeren Sitzen im Parkett das Geschehen auf der gigantischen Bühne mitverfolgen.
Georges Bizet: „Carmen“
Libretto: Henri Meilhac und Ludovic Halévy
Dirigent: Leonardo Sini
Regie und Bühnenbild: Franco Zeffirelli
Kostüme: Anna Anni
Licht: Paolo Mazzon
Choreographie: El Camborio
Chorleitung: Roberto Gabbiani
Orchester, Chor, Techniker der Fondazione Arena di Verona
Arena di Verona, 8. August 2024
von Dr. Charles E. Ritterband
Über 500 Mitwirkende drängen sich zwischen der bunten, die Welt der Zigeuner verkörpernden Stoffbahnen und den gemalten Kulissen, die Sevilla darzustellen haben – es sind so viele Choristen, Tänzer und Statisten, dass das Auge des Zuschauers unmöglich diese farbenprächtige Vielfalt auch nur annähernd zu erfassen vermag. Und oft ist es, ohne leistungsstarken Operngucker, völlig unmöglich, die Solistinnen und Solisten welche jetzt gerade ihre Arien zum Besten geben, in dieser turbulenten Menge überhaupt zu orten, bevor bereits der nächste musikalische Höhepunkt wartet.
Es ist nicht nur die einzigartige Opern-Show des legendären italienischen Bühnen- und Film-Multitalents Franco Zeffirelli mit ihren atemberaubenden Bühnenbildern und den Massenauftritten der Mitwirkenden, vergleichbar nur noch mit dem Verona-Hit „Aida“ und allenfalls dem dieses Jahr nicht auf dem Spielplan figurierenden „Nabucco“.
Auch musikalisch war diese „Carmen“ wieder weitgehend perfekt. Sensation des Abends: Die Titelrolle, großartig gesungen von der russischen Mezzosopranistin Alisa Kolosova. Als Gegenpol die immer wieder hinreißende Pretty Yende in der Rolle der Micaëla.
Nur schade, während des berührenden Duetts der Michaela mit Don José die Statistenkinder in nächster Nähe zu dem Sängerpaar weiter ihre lustigen Kapriolen vollführten und damit störend von diesem gesanglich und szenisch so wichtigen Auftritt ablenkten. Bei aller Freude am bunten, lebhaften Geschehen in diesem Bühnen-Sevilla das die Zuschauer mitten in einen dreidimensionalen Zeffirelli-Film hineinversetzte, der sich vor ihren Augen abspielte : Hier war es dann doch des Guten etwas zuviel.
Dass die Sängerinnen und Sänger in dieser riesigen Arena mit ihrem Publikum von 22 000 und der weitläufigen Bühne ohne jegliche Mikrophone und Lautsprecher auszukommen haben – im Gegensatz etwa zu den alljährlichen Opern-Aufführungen im Römersteinbruch von Sankt Margarethen im Burgenland mit deutlich hörbarem Unterschied zum „Naturklang“ von Verona – stellt an sich schon eine bemerkens- und anerkennenswerte Leistung dar.
Der musikalische und darstellerische Höhepunkt dieser üppigen Inszenierung mit ihren hervorragenden Sängerinnen und Sängern und dem temperamentvollen Orchester unter der souveränen Leitung des preisgekrönten italienischen Maestro Leonardo Sini war unbestreitbar die Carmen der der russischen Mezzosopranistin Alisa Kolosova.
Ihre stimmliche Variabilität, die sonoren Tiefen und die Sinnlichkeit ihrer legendären Auftrittsarie „L’amour est un oiseau rebelle“, die darstellerische Glaubwürdigkeit von dem durch den Zapfenstreich erst untermalten, dann jäh unterbrochenen erotischen Tanz für den zwischen sexuellem Verlangen und Pflichtgefühl hin- und hergerissenen Don José bis hin zur Todesszene vor der „Plaza de Toros“ – alles Weltklasse.
Daneben hatte der Don José des Genueser Tenors Francesco Meli trotz glatter, warmer Stimme etwas Mühe sich zu behaupten. Auch der Escamillo des slowakischen Baritons Dalibor Jenis erfüllte trotz imposanter Statur und machistisch-dominantem Auftreten (genau wie es die Rolle erfordert) stimmlich nicht vollständig die Erwartungen an diesen wilden Stieren herausfordernden und durch einen gezielten Stich ins Herz (wie es der Text in der letzten Szene beschreibt) tötenden Matador – dieses klassische spanische Idol schlechthin.
Micaëla, diese Verkörperung der Rechtschaffenheit, Loyalität und wahrer Liebe – Antithese zur dämonischen (wie es sich Don José ja selbst eingestehen muss) aber erotisch unwiderstehlichen Carmen – wurde verkörpert von der wunderbaren südafrikanischen Sopranistin Pretty Yende, die allerdings in dieser Rolle und in den gigantischen Dimensionen dieser Bühne der Naturgewalt dieser Carmen von Alisa Kolosova zu weichen hatte.
Doch die eigentliche Sensation dieser grandiosen Carmen-Inszenierung war einmal mehr die authentische Flamenco-Truppe des weltberühmten Antonio Gades, gleichsam als Zwischenspiel vor dem spektakulären Aufzug der Stierkämpfer auf dem Platz vor der Stierkampf-Arena von Sevilla – die Szene, in der Kampf zwischen Mensch und tierischer Urkraft, Liebe, Eifersucht und Tod zum szenischen Höhe- und Endpunkt gelangen.
Dr. Charles E. Ritterband, 11. August 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Georges Bizet, Carmen Arena di Verona Opera Festival, 24. August 2023
Giuseppe Verdi, La Traviata Arena di Verona Opera Festival, 19. August 2023
Kleiner Nachtrag: In Verona wird bereits seit Jahren mit Mikrofonen musiziert, das Orchester wurde halbiert und die Sänger werden auch verstärkt. Das Klangergebnis ist sehr mäßig und keine Empfehlung.
Diegolone
Lieber Diegolone,
die Arena di Verona ist ein phantastisches Bauwerk, das den Menschen demütig blicken lässt.
Wer diese einzigartige Atmosphäre erleben will und dabei eine verstärkte Akustik, das Gebrabbel von tausenden Menschen und und das Filmen und Fotografieren von fast allen Zuschauern als erlebenswert findet, ist in der Arena di Verona sehr gut aufgehoben.
Menschen, denen es um ein klanglich nachhaltiges Musikerlebnis aus sind, sind in Verona fehl am Platze.
Herzlich
Andreas Schmidt
Ja, das ist das Alleinstellungsmerkmal solcher Events. Riesige Bühne, völlig überladen, alles zielt nur aufs Auge ab. Für feinmotorige Gehörgänge absolut ungeeignet. Dasselbe in Grün im Burgenland. Dort setzt die „Oper im Steinbruch“ auf dasselbe Pferd. Wer’s mag – bitte. Hat alles seine Berechtigung. Der Zuschaueransturm dürfte den Veranstaltern recht geben. Ich kann auf so ein Spektakel ruhigen Gewissens verzichten.
Liebe Grüße
Jürgen Pathy