Elīna Garanča (Carmen), Piotr Beczała (Don José). Foto: Wiener Staatsoper/Michael Pöhn
Eröffnung der Saison 2022/23 der Wiener Staatsoper mit dem Kassenschlager “Carmen” von Georges Bizet am 6. September 2022.
Es stand stand “Carmen” auf dem Programm. Die bunte Zeffirelli-Inszenierung wurde seit letztem Jahr durch eine, für Wien, neue Produktion von Calixto Bieito ersetzt. Vor Wien wurde diese Produktion schon an 29 Opernhäusern gespielt, so dass ich mir eine Kritik hierzu erspare. Nur soviel: eigentlich ist nicht allzu viel an Bieito’s Auffassung auszusetzen. Doch sie verliert sich im Laufe des Abends in einer Welt von Brutalität und Grausamkeit. War die Inszenierung von Zeffirelli, wie bei seiner Bohème, auch hier mit allen Klischees betreffend Spanien behaftet, so erzählt Bieito eine Geschichte von brutalen, dauergeilen, versoffenen Außenseitern, sowohl auf der Seite der Soldaten, als auch auf Seiten der Gauner. Sogar Escamillo torkelt am Ende des 3. Akts besoffen von der Bühne, so dass man Carmens Entscheidung zu seinen Gunsten eigentlich schwer versteht.
von Jean-Nico Schambourg
Elīna Garanča als Carmen ließ sich nach der Pause wegen gesundheitlichen Problemen (Sommergrippe) entschuldigen. So lässt es sich erklären, dass ihre Arien in den ersten zwei Akten nicht mit dem gewohnten stimmlichen Glanz und Kraft vorgetragen wurden. Ihre große Professionalität ermöglichte ihr aber auch die anspruchsvolleren Passagen in den letzten beiden Akten ohne größere merkliche Probleme zu meistern. Schauspielerisch bestach sie durch ihr aufreizendes, aufgeilendes Spiel mit den verschiedenen Männergruppen die ihr nachstehen, ohne aber je ins vulgäre Gehabe abzudriften.
Der musikalische Höhepunkt des Abends war somit Piotr Beczała mit der Blumenarie des Don Josés vorbehalten. Er sang sie einfach perfekt. Beckmesserisch wäre es anzumerken, dass er den hohen Ton am Schluss der Arie im Forte sang, wie es bis vor einigen Jahren überall Usus war. Auch den Rest des Abends war er ein exzellenter Don José. Schon im Auftrittsduett mit Micaëla zeigte er, dass man es hier nicht mit einem larmoyanten, sonder aufbrausenden Don José zu tun hat. Im Schlussduett mit Carmen wusste er zuerst die Verzweiflung und dann die blinde Wut des Abgewiesenen stimmlich eindrucksvoll auszudrücken.
Slávka Zámečníková sang bei der Premiere vor einem knappen Jahr noch die Rolle der Frasquita . Jetzt vertraute man ihr die Rolle der Micaëla an und sie nutzte diesen Wechsel mit einem starken Vortrag. Ihr Sopran klang fest und nie scharf. Spielte sie anfangs noch ein schüchternes, junges Mädchen das seine erste Liebe entdeckt, so war sie später in ihrer Arie und in der Schlussszene des dritten Aktes zu einer ernstzunehmenden Gegnerin von Carmens gereift, die um Don Josés Liebe kämpft.
Roberto Tagliavini sang Escamillo ohne großes stimmliches Macho-Gehabe und ohne das oft gehörte Gedröhne bei der Auftrittsarie des Toreadors. Dies entspricht sowohl Bieitos szenischer Auffassung, als auch den stimmlichen Mitteln des italienischen Bassbaritons.
Alle anderen Rollen waren gut besetzt und sangen mehr oder weniger ein akzentfreies Französisch.
Yves Abel schlug von Beginn an ein forsches Tempo an. Übergrosse Sentimentalität kam somit nicht auf. Insofern passte er sich also auch der szenischen Auffassung an. Aufgrund einiger Striche in den Passagen zwischen den einzelnen großen Nummern kommt die Aufführung allerdings zeitweise einem konzertanter Vortrag gleich.
Jean-Nico Schambourg, 8. September 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Schammis Klassikwelt 1: Meine Gänsehaut-Momente in der Oper Klassik-begeistert.de, 28. August 2022