Lorenzi, Sewell, Inoue, Birkenheier, Han, Arsenault © Jörg Landsberg
Wenn Kunst und soziales Engagement verschmelzen – Eine berührende Neuinterpretation des beliebten Opernklassikers
Giacomo Puccini, La Bohème
Theater Bremen, 30. November 2024 PREMIERE
von Oxana Arkaeva
Die Premiere von Giacomo Puccinis La Bohème am Theater Bremen endete am Abend des 30. November mit minutenlangem, begeistertem Applaus und enthusiastischen BRAVO-Rufen des ergriffenen Publikums. Die dritte Musiktheaterpremiere in der aktuellen Spielzeit setzte die Erfolgsserie gelungener Neuproduktionen am Bremer Theater fort und zeigte auf, wie ein Stadttheater als solches in der Stadtgesellschaft agieren kann. Und soll.
Die gelungene Neuinszenierung von Alice Zangwijk erzählt die Geschichte von vier jungen Künstlern, die in einer Pariser Dachkammer leben, und der tragischen Liebesgeschichte zwischen dem Dichter Rodolfo und der kranken Näherin Mimì, die das dramaturgische Herzstück der Oper bildet.
Die Regisseurin präsentierte eine berührende Auslegung der Geschichte, die unerwartet zeitgemäß und dennoch traditionstreu wirkte. Bewusst setzte sie auf die Betonung der Armut und Einsamkeit. Zusammen mit ihrem Bühnenbildner und Lichtdesigner Theun Mosk entwarf sie ein schlichtes, spärliches Bühnenbild und ermöglichte somit eine hundertprozentige Konzentration auf die Geschichte und deren Protagonisten.
So platzierte sie das Zuhause der vier Künstler, die Dachkammer im ersten und letzten Akt, ganz nah an das Publikum auf einem Podest, das in die ersten Stuhlreihen hineinragt. Nicht nur szenisch, sondern auch akustisch ein absoluter Gewinn. Von der publikumsnahen Mansarde siedelte sie das Geschehen im zweiten und dritten Akt an einem Ort an, der die Armut und Einsamkeit in vielen Facetten widerspiegelt: in der Bremer Tafel, mit der das Theater für diese Produktion kooperierte. Und so wird spätestens hier aus einer Pariser „La Bohème“ eine bremische.
Eine geschickte Entscheidung, die der Inszenierung eine außerordentliche Relevanz verleiht. Insbesondere angesichts der Tatsache, dass Bremen als Bundesland die höchste Armutsquote hat. Anne Sophie Domenz kleidete ihre Protagonisten in zerrissene Lumpen, die dramaturgisch jedoch im Einklang mit der Interpretation von Zangwijk stehen und die Individualität der Charaktere unterstreichen.
Ein wahrer Gewinn an diesem Abend war allerdings das durchgehend beeindruckende und junge Solisten-Ensemble. Bemerkenswert: Alle Partien sind in dieser Produktion doppelt besetzt. Ein wichtiges Zeichen für die Ensemblepflege und -fürsorge, was in Zeiten anhaltender finanzieller Engpässe in der Kulturbranche Bremens, und nicht nur, nicht selbstverständlich ist.
Die federleichte Adèle Lorenzi als Mimì beeindruckte mit ihrem reifen Spintosopran, kraftvoller Mittellage und Höhe sowie der Fähigkeit, Puccinis große Bögen meisterhaft zur Geltung zu bringen. Oliver Sewell als Rodolfo überzeugte mit seinem sensiblen Spiel, wohlklingender Tenorstimme, schönem Legato und fokussierten Höhe. Elisa Birkenheier präsentierte als Musetta stimmlich eine fein nuancierte Interpretation, die über das Klischee der frivolen Figur hinausging. Elias Gyungseok Han brillierte als Marcello mit einer vollklingenden Baritonstimme und empathischer Darstellung. Julian Arsenault als Schaunard fiel stimmlich etwas schwächer aus, überzeugte jedoch durch sein sympathisches Auftreten und authentisches Spiel. Hidenori Inoue als Colline berührte tief mit seiner „Mantel“-Arie am Ende der Oper und feinfühliger Charakterdarstellung.
Die Bremer Philharmoniker unter der Leitung des 1. Kapellmeisters Sasha Yankevych agierten von Anfang an als sensibler und achtsamer Begleiter der Solisten, ohne an Eigenständigkeit und Individualität zu verlieren. Das Orchester überzeugte mit ausgewogener Dynamik und vollem Klang, und brachte Puccinis impressionistische unverwechselbare Tonmalerei und Dynamik optimal zur Geltung.
Dem Chorleiter des Hauses, Karl Bernewitz, ist die herausragende Leistung des neu gegründeten Kinder- und des Hauschors zu verdanken. Die ca. 50 Kinder hatten sichtlich eine Menge Spaß am Bühnengeschehen und waren musikalisch exzellent vorbereitet. Der Opernchor agierte mit authentischer Begeisterung und glänzte mit einem vollen und homogenen Klang. Bravi.
Fazit: Diese Inszenierung von „La Bohème“ am Theater Bremen ist mehr als nur eine Opernaufführung – sie ist ein bewegendes Theatererlebnis, das Kunst und soziales Engagement auf einzigartige und musikalisch hochkarätige Weise verbindet. Man lässt sich von der Wärme dieser La Bohème umhüllen und erlebt einen Abend, der nicht nur die Ohren verzaubert, sondern auch die Herzen berührt.
Oxana Arkaeva, 4. Dezember 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Weitere Vorstellungen:
Freitag, 06. Dezember und 13. Dezember 2024
Montag, 23. Dezember 2024
Mittwoch, 25. Dezember 2024
Sonntag, 29. Dezember 2024
Donnerstag, 09. Januar 2025
Samstag, 11. Januar 2025
Freitag, 14. Februar 2025
Mittwoch, 05. März 2025
Samstag, 19. April 2025, 19:00 – 21:20 Uhr / Zum letzten Mal
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