© Bregenzer Festspiele / Karl Forster
Was sich vor den total ausverkauften Zuschauerrängen vor der Bregenzer Seebühne, nämlich in den über 6600 (in dieser Saison neuen und deutlich komfortableren) lindgrünen Sitzplätzen während dieser Premiere zur Wiederaufnahme der gefeierten „Butterfly“ vom letzten Jahr ereignete, sagte irgendwie schon alles über diese geniale Inszenierung des Meisterregisseurs Andreas Homoki – nämlich rein gar nichts. In krassem Gegensatz zu der von mir erst vorgestern besuchten Arena di Verona leuchtete während der rund zweistündigen, pausenlosen Vorstellung nicht ein einziger Handy-Screen auf, es gab kein Tuscheln, kein Hüsteln, Niesen oder Räuspern. Nichts. Es war mucksmäuschenstill. Diese Inszenierung schlug die Tausende von Zuschauern, die aus allen drei Bodenseeländern angereist waren, vollkommen in ihren Bann. Nie habe ich diese Oper – ich habe sie an vielen Bühnen weltweit gesehen – in einer derart faszinierenden, subtilen Inszenierung gesehen. Und die Hauptdarstellerin, Cio-Cio-San alias Butterfly, gesungen von der unvergleichlichen usbekischen Sopranistin Barno Ismatullaeva, war schlicht phänomenal, unübertrefflich. Es ist mit diesen zwei Stunden ununterbrochener Bühnenpräsenz eine der anspruchsvollsten Rollen für eine Sängerin – Ismatullaeva meisterte die Herausforderung souverän. Vom ersten bis zum letzten herrlichen Ton.
Giacomo Puccini
Madame Butterfly
Oper in drei Akten (1904)
Libretto von Giuseppe Giacosa und Luigi Illica
nach der gleichnamigen Kurzgeschichte von John Luther Long (1898)
und dem darauf basierenden Schauspiel Madame Butterfly. A Tragedy of Japan von David Belasco (1900)
In italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln
Bregenzer Festspiele, Seebühne, 20. Juli 2023 Premiere
von Dr. Charles E. Ritterband (Text und ausgewählte Fotos)
Diese Inszenierung von Andreas Homoki ist ein Geniestreich, und sie fasziniert in der Wiederaufnahme eindeutig noch mehr als in der ersten Runde letztes Jahr. Zu Recht spricht Homoki von der Herausforderung, auf einer derart gigantischen Bühne Intimität herzustellen, emotionale Interaktion zwischen drei Personen auf einer sonst leeren Bühne zu zeigen und damit die Handlung des Stückes eindeutig nachvollziehbar zu machen. In seiner genialen Inszenierung ist dies vorbehaltlos gelungen – und deshalb waren Tausende von Zuschauern spürbar berührt von dieser erschütternden Geaschichte. Da gibt es krasse Gegenbeispiele – etwa die aktuelle „Aida“-Neuinszenierung in Verona – wie man die Handlung einer Oper und die Emotionen der Protagonisten in einer Masse von Statisten, Choristen und unter einem Trommelfeuer von High-Tech-Bühneneffekten verschütten läßt.
Subtilität der japanischen Kultur
Nicht so hier: Alles an dieser Inszenierung war Klugheit und Subtilität. Subtil, wie das riesige, gewellte, sich aus den Fluten des Bodensees 23 Meter hoch emporhebende Papierblatt mit seinen zarten Tuschezeichnungen und den atemberaubend schönen, farblich abgestimmten und technisch selbstverständlich perfekten Projektionen, die die japanische Kultur (und damit indirekt die junge Geisha Cio-Cio-San) symbolisierte und zugleich verkörperte – und der Geniestreich, dieses sublime Kunstwerk von einer überdimensionierten amerikanischen Flagge zu den schmetternden Klängen von „Stars and Stripes“ brutal durchstoßen zu lassen, eben wie Pinkerton (der, bittere Ironie, die edlen Vornamen „Benjamin Franklin“ trägt) die bedingungslose Hingebung des japanischen Mädchens mißbraucht und ihre Liebe verrät.
Die Ästhetik der langsam dieses Blatt in einer Kolonne herabschreitenden Geishas in ihren herrlichen Kimonos, der aufwendigen Frisur, ist hinreißend – und, „comic relief“, die über die Steilwände torkelnden und vom Apéro zur Hochzeit von Cio-Cio-San schon mehr als angeheiterten Verwandten sind in ihrer Komik umwerfend (vor allem wenn einer von ihnen nur mit Mühe abgehalten werden kann, in die Tiefe, in den Bodensee, zu stürzen…).
Weshalb allerdings Homoki völlig ahistorisch das Stück in die 50er Jahre verlagert hat, wird nicht klar. Es kann doch nicht nur wegen der wunderschönen Kostüme der „Westler“ in ihren leuchtenden Farben (als Kontrast zu den pastellfarbenen Kimonos) gewesen sein…
Genial ist auch das, was nur in Andeutungen zu sehen ist: Ich kenne keine Butterfly-Inszenierung, in der nicht das typisch japanische Papierhaus mit seinen Schiebewänden zu sehen wäre (so unter anderem in der Londoner Royal Opera) – Homoki lässt aber auf einer leeren Bühne ausschließlich unsere Phantasie walten, die sich dieses Häuschen nach den Beschreibungen des Heiratsvermittlers Goro auszumalen hat.
Und der zürnende Onkel Bonzo (mit sonorem, dominierendem Bass: Stanislav Vorobyov) erscheint nicht in persona sondern wie ein gigantisches Gespenst, mit verzerrtem Antlitz, als Projektion – meisterhaft. Großartig durchdacht ist auch die Überbrückung der Zäsur zwischen den beiden Akten, in Opernhäusern sonst durchwegs eine Pause: Hier verdecken die weiß gekleideten Geister Pinkerton und Butterfly, die, für den Zuschauer unsichtbar, durch eine Falltür verschwinden, und wenn die Gespenster den Blick wieder freigeben ist es die anders gekleidete Butterfly, drei Jahre später. Doch für diesen Rezensenten am bewegendsten war die inszenierte Vision Cio-Cio-Sans vom glücklichen Wiedersehen mit dem (inzwischen auf seinem Kriegsschiff in Nagasaki eingelaufenen) Pinkerton, der Butterfly und seinen Sohn endlich in die Arme nimmt und Geschenke aus seinem Seesack hervorzieht. Dass es dann so ganz anders kommen wird, wissen wir – und der Kontrast zwischen Traum und Realität ist für den Zuschauer schwer erträglich…
Die wissende Dienerin Suzuki
Dass die treue Dienerin Suzuki (mit tragender, reiner Stimme, der Butterfly von Barno Ismatullaeva in nichts nachstehenend und mit starker Bühnenpräsenz verkörpert von der herausragenden italienischen Mezzosopranistin Annalisa Stroppa) Zeugin der ganz am Anfang des Stücks von Pinkerton im Zwiegespräch mit dem Konsul Sharpless geäußerte Absicht wird, dereinst eine „echte“ Ehe mit einer Amerikanerin zu schließen, gibt der Handlung eine radikale Richtung: Suzuki weiß demnach von Anfang an, dass die Ehe zwischen Butterfly und Pinkerton eine reine Illusion ist. In ihrer sozialen Rolle als Dienerin – namentlich im rigorosen japanischen Kontext – könnte sie jedoch ihre Herrin niemals warnen und von dieser Tatsache unterrichten. Ja, im zweiten Akt, fährt ihr Butterfly scharf übers Maul, als die wissende Suzuki Zweifel an der Rückkehr Pinkertons äußert.
Musikalische Perfektion
Dass dieser hochkarätigen Inszenierung ein ebenso erstklassiges Musikerlebnis gegenübersteht, ist in Bregenz fast schon eine Selbstverständlichkeit: Das „Hausorchester“, die Wiener Symphoniker unter der bewährten Stabführung des „Conductor-in-residence“ Enrique Mazzola, strahlte aus dem exzellenten High-Tech-Lautsprechersystem überwältigend kraftvolle, und dann aber wieder höchst subtil schwebende Klangwolken über die Seebühne.
Die Cio-Cio-San der Barno Ismatullaeva war zweifellos der unübertreffbare Star dieser Aufführung, aber auch der Pinkerton des georgischen Tenors Otar Jorjikia bestach mit Schmelz und zugleich kraftvoll-souveräner Stimmführen. Ein Ausnahmetalent der kanadische Bariton Brett Polegato mit einer maskulinen, wohlklingenden Stimme – ein allzu zurückhaltender Warner, der den Lauf der Dinge von Anfang an voraussieht, aber als Amerikaner und noch dazu im konsularischen Dienst nicht über seinen Schatten zu springen vermag und in den patriotischen Gesang mit Sharpless vorbehaltlos einstimmt, in dem ganz am Anfang dieser Oper die Vorzüge und Tugenden des „Yankee“ und seiner auf Macht und Dollars gegründeten Privilegien gepriesen werden.
Im Gegensatz dazu die von Puccini mit großem Enthusiasmus recherchierten und beeindruckender Sorgfalt in die Partitur eingewobenen original japanischen Musikstücke – wir erkennen alle das berühmte „Sakura“, das Nationallied von der Kirschblüte, aber es ertönen auch das im Gegensatz dazu wenig bekannte Lied „Echigo Jishi“ (Der Löwe von Echigo), die alte japanische Hymne „Kimi Ga Yo“ und das „Harakiri Motiv“ vermutlich aus einem Koto-Musikstück.
Puccini hat aus vielen Quellen geschöpft, unter anderem auch aus der berühmten englischen Operette „The Mikado“ von Gilbert and Sullivan, welche unter anderem einen original japanischen Militärmarsch in ihre zündenden Melodien eingebaut hatten. Puccini, aber auch Gilbert und Sullivan waren das Echo auf jene Welle der Japan-Begeisterung, die unter dem Titel „Japonismus“ ganz Europa erfasst hatte – mehr noch als die Musik die Malerei (Monet, Van Gogh) und die Mode.
Die Oper „Butterfly“ wird oft allzu kritisch gesehen – zu Unrecht. Sie zelebriert ja nicht die Ungeheuerlichkeit des Pinkerton, sie kritisiert sie, und zwar mit starken emotionalen Mechanismen. Im Zeichen einer völlig falsch verstandenen „Political Correctness“ oder, modisch, „Wokeness“ diese Oper von den Bühnen zu verbannen oder (wie kürzlich in Athen) mit fehlgeleiteten historischen Anspielungen (Atombombe) zu verfälschen, wäre ein unverzeihlicher Fehler. Die Inszenierung in Bregenz zeigt mit absoluter Perfektion, wie man diese herrliche Oper werkgetreu und kulturell richtunggebend auf die Bühne bringen kann.
Dr. Charles E. Ritterband, 20. Juli 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Besetzung:
Dirigent: Enrique Mazzola
Inszenierung: Andreas Homoki
Bühne: Michael Levine
Kostüme: Antony McDonald
Licht: Franck Evin
Video: Luke Halls
Choreographie: Lucy Burge
Ton: Alwin Bösch, Clemens Wannemacher
Chorleitung: Lukas Vasilek, Benjamin Lack
Cio-Cio-San (Butterfly): Barno Ismatullaeva
Suzuki: Annalisa Stroppa
B.F. Pinkerton: Otar Jorjikia
Sharpless: Brett Polegato
Goro: Taylan Reinhard
Fürst Yamadori: Omer Kobiljak
Onkel Bonzo: Stanislav Vorobyov
Wiener Symphoniker
Prager Philharmonischer Chor
Tänzer/innen der Bregenzer Festspiele
Wired Aerial Theater
Statisterie Bregenzer Festspiele
In italienischer Sprache
Giuseppe Verdi, „Ernani“ Bregenzer Festspiele, Festspielhaus, 19. Juli 2023
Bregenzer Festspiele, Puccini, Madame Butterfly und Giordanos Sibirien 20. Juli 2022
Giacomo Puccini, Madame Butterfly Bregenzer Festspiele, Seebühne, 22. Juli 2022
Sehr geehrte Damen und Herren,
der Schreiber erwähnte nicht den Bregenzer Festspielchor, der aus 39 Sänger/innen besteht und auf der Bühne die Geishas (davon ca. 6 Statistinnen) und die Verwandtschaft spielt und singt.
VG
S. Tresp