Eine großartig verrückte Tosca in Berlin  

Giacomo Puccini, Tosca,  Staatsoper Unter den Linden

Fotos © Hermann und Clärchen Baus
Staatsoper Unter den Linden
, Berlin, 2. Juni 2018
Giacomo Puccini, Tosca

von Sarah Schnoor

Tosca. Egal wie oft man diese Oper hört, sie ist immer wieder spannend. Das opernübliche Paar – Sopran und Tenor – tritt auf und steht einem der bösesten Figuren der Oper gegenüber, Baron Scarpia. Hinterhältig, machthungrig und eigentlich ungeliebt giert er mit den gröbsten Mitteln nach der Sängerin Tosca.

Puccini wusste, wie man Emotionen mit Musik erzeugt und verstärkt. Seine Oper hat neben unglaublich schönen, feinen Passagen auch großartig mächtige Orchesterparts, die einen erschüttern lassen. Die Staatskapelle Berlin, geleitet von Simone Young, spielt diese besonders im ersten Akt so laut, dass es teils in den Ohren schmerzt. Ruppig und im Parkett viel zu blechern und scharf klingend kracht das Unheil über das Publikum herein. Die Sänger haben es schwer durchzukommen, lediglich Elena Stikhina (Tosca) und Yusif Eyvazov (Cavaradossi) gelingt es, sich Gehör zu verschaffen. Auch im zweiten Akt bleibt dieses Problem größtenteils bestehen.

Yusif Eyvazov übertönt jedoch nicht durch eine große schöne Stimme, sondern durch Lautstärke. Sein Tenor klingt metallen und lässt die ganze Luft scheppern. Eyvazovs Parlando ist nicht schlecht, und er behält eine Ruhe in der Stimme, hält Töne gut, wird aber der schweren Rolle nicht gerecht. Auch sein Piano hat an diesem Abend leider keine Substanz.

Elena Stikhina hingegen ist eine wahre Freude! Sie spielt eine wechselhaft launische Tosca, die sowohl verführerisch süß, leidend emotional als auch boshaft und rachsüchtig ist. Ihre Stimme erklingt in jeder Lage und Lautstärke rund, offen und mit angenehmem Vibrato. Ist sie zu Beginn die eifersüchtige und gläubige Frau, die ihrem geliebten Cavaradossi Untreue vorwirft, wird sie schnell zu der Diva, die ihre Reize genau einzusetzen weiß.

Gerald Finley verkörpert den Polizeichef Scarpia, der Toscas Geliebten gefangen nimmt. Cavaradossi habe den entflohenen Gefangenen Angelotti (wunderbar gesungen vom Opernstudiomitglied David Oštrek) versteckt und soll ihn nun verraten. Finley hat eine großartig ruhige Stimme mit traumhaftem Legato und gestalterischem Potenzial, aber manchmal fehlt ihm leider die Durchschlagskraft für diese Rolle. Alles an ihm ist zu fein und schön für einen Scarpia, selbst als er den ekelhaften, betrunkenen Macho gibt, der eine Nacht mit Tosca gegen Cavaradossis Freiheit tauschen will. Vielleicht übernimmt Elena Stikhina gerade deshalb die aktive Rolle. Es ist herrlich mit anzusehen, wie sie ihn bereits während der großartig gesungenen Arie „Vissi d’arte“ unter ihren Händen dahinschmelzen lässt. Kurz darauf sticht sie ohne jeden Skrupel mit einer Lust gleich mehrfach auf ihn ein, um der Vereinbarung mit ihm zu entgehen. Triumphierend und leicht berauscht sagt sie: „E avanti a lui tremava tutta Roma!“ („Und vor ihm zitterte ganz Rom!“) und setzt sich vor Macht strotzend auch noch auf seinen Stuhl, während er auf dem Sofa verblutet.

Der finale Akt ist der musikalische Höhepunkt im Orchester. Plötzlich wird es unglaublich ergreifend und viel wärmer im Klang. Aus dem Quartett holen die Celli der Staatskapelle alles heraus und auch die Klarinetten spielen direkt ins Herz.

Die Inszenierung von Alvis Hermanis bleibt dagegen gleichförmig nichtssagend und bewegt sich in einem einzigen Rahmen mit unterschiedlichen Requisiten. Trotz Bildprojektionen der jeweiligen Situation (eine Art Graphic Novel) auf das angedeutete monumentale Gebäude ist sie absolut klassisch und hängt damit nur von der Musik und dem Spiel der Sänger ab. Besonders dank der fabelhaften Elena Stikhina, einigen sehr schönen Momenten im Orchester und Puccinis unglaublich großartiger Oper ist es dennoch ein schöner Abend.

Sarah Schnoor, 3. Juni 2018, für
klassik-begeistert.de

Musikalische Leitung: Simone Young
Inszenierung: Alvis Hermanis
Floria Tosca: Elena Stikhina
Cavaradossi: Yusif Eyvazov
Scarpia: Gerald Finley
Angelotti: David Oštrek
Mesner: Jan Martiník
Spoletta: Florian Hoffmann
Sciarrone: Adam Kutny
Kerkermeister: Ulf Dirk Mädler
Hirt: Solist des Kinderchors
Staatsopernchor
Staatskapelle Berlin

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