Vittorio Grigolo brilliert als der italienischste Cavaradossi überhaupt!

Giacomo Puccini, Tosca  Wiener Staatsoper, 8. Oktober 2023

Vittorio Grigolo © Michael Pöhn 

Italienischer, authentischer geht’s gar nicht mehr. Wer gedacht hat, neben Piotr Beczała gäbe es keinen adäquaten Cavaradossi mehr, der hat sich gewaltig getäuscht. An der Wiener Staatsoper bringt Vittorio Grigolo den alten Glanz zurück. Neben einigen Trash-Produktionen, die sich da mittlerweile auch eingenistet haben, ist Margarethe Wallmanns Uralt-Inszenierung (1958) noch dazu eine wohltuende Abwechslung für das Auge. Klassisch, opulent, an den Ursprungsort von Puccinis „Tosca“ zurückversetzt. Kirche, Engelsburg, traditionelle Kostüme – alles in warmen Farbtönen, die von braun, blau und bordeauxrot dominiert sind. Oldschool-Oper vom Feinsten. Die Stimme von Grigolo setzt dem ganzen dann die Krone auf.

Giacomo Puccini
Tosca

Wiener Staatsoper, 8. Oktober 2023

von Jürgen Pathy

„Hello, is it me you’re looking for?“ Yes, genau nach Vittorio Grigolo habe ich lange schon Ausschau gehalten. Der Straßenmusiker auf dem Weg zur Wiener Staatsoper hatte schon den richtigen Song angestimmt, mit dem Lionel Richie zu Weltruhm gelangt ist. Grigolo, der italienische Sunnyboy, ist schon seit langem ein großer Name – nun bestätigt er auch wieder weshalb: Einen besseren Cavaradossi habe ich seit Piotr Beczała 2019 hier nicht mehr gehört.

Vittorio Grigolo – italienisches Blut durch und durch

Dieser Mann hat alles. Das Aussehen, das Auftreten und natürlich das wichtigste: Ausdruck und tolle Stimme! Kernig, klar, leichtes Metall und eine Kraft dahinter, als würde ein 900 PS Ferrari in Imola mal um die Kurve sausen. Und die schont er auch nicht. Bereits im ersten Akt beweist er, er ist heute gekommen, um hier mal eine Duftmarke zu setzen. Bereits bei der Anfangsarie im 1. Akt („Recondita armonia“) triumphiert er zum ersten Mal. Da brandet gleich so etwas wie Euphorie im Publikum auf.

Am Ende liegt nicht nur er am Boden. Kniend lässt er sich vom Publikum feiern. Auch ich ziehe meinen Hut vor diesem Cavaradossi, der hier seit längerem mal wieder so etwas wie Italianità und klassisches Opernflair hat aufkommen lassen. „E lucevan le stelle“, die Paradearie des Cavaradossi – die leuchtet am Ende richtig hell. Weil Grigolo es versteht, da nicht nur Ton an Ton zu setzen, sondern zu formen – glühende Glissandi und Legati, wie man sie nur ganz selten erleben darf.

Black and white

An seiner Seite nicht minder beeindruckend eine Tosca, die sich ebenfalls ordentlich ins Zeug legt. Angel Blue heißt die Dame, die in Los Angeles zur Welt gekommen ist. Die Mary J. Blige der Oper, schießt mir da so durch den Kopf, während die farbige Perle sich ihres schwarzen Nerzmantels entledigt. Gewaltig ihre Stimme. Viel Metall, viel Drama in der Mittellage, ein vereinnahmendes Timbre. Hin und wieder vielleicht schon etwas zu viel, um beim „Vissi d’arte“ dann auch noch sanft ins Ohr zu hauchen: Warum, warum, Herr? Ach, warum bestrafst du mich so?

Ludovic Tézier und Angel Blue © Michael Pöhn

Der Gedanke, ob sie denn nicht eher als Brünnhilde oder Sieglinde besser aufgestellt wäre, begleitet mich irgendwie den ganzen Abend. Verfliegt hin und wieder, rückt dann wieder in den Vordergrund und lässt am Ende keine klare Referenz zurück. Das Publikum liegt ihr auf jeden Fall zu Füßen.

Der ältere Gast, von dem ich gerne erfahren hätte, wer den nun der „Schreihals“ sei, von dem er und seine Frau nach der ersten Pause gesprochen haben, ebenso. „Nun ja, die Tosca, die ist sensationell – nicht nur, weil es in der Zeitung so gestanden hat…“. Viel mehr konnte ich dann leider nicht mehr in Erfahrung bringen. Die Pausenglocke, die bereits zum dritten Mal am Anschlag war, zu drohend. Der Weg zum Platz am Balkon noch gefühlte Lichtjahre entfernt. Eine denkwürdig schlechte Konstellation, um eine Konversation zu starten.

Endlich auch mal Grandezza bei Tézier

Wie sich die beim „Bühnentürl“ entwickelt hat, wäre auch noch interessant. Dorthin hat es bereits einen Stammgast zur zweiten Pause verschlagen. Der Grund: Weil Ludovic Tézier nach dem zweiten Akt die Bühne verlassen hat. Als Scarpia stirbt der ja bekanntlich schon da, nachdem ihm Floria Tosca einen Dolch in die Brust rammt. Als furchterregender Polizeichef wird der Franzose auch endlich mal seinem Ruf gerecht.

Seit Jahrzehnten ist er vom Bariton-Himmel nicht mehr wegzudenken. Warum – das war mir bislang verborgen geblieben. Als Vater Germont in Verdis „La Traviata“ nicht meine Sache. Sonst auch nicht unbedingt mein Fall. Solide, gut, aber ja – nicht viel mehr. Vermutlich rein subjektiv und eine Sache des Timbres, das man eben mag oder nicht. Bislang auch oft zu eindimensional. An diesem Abend reiht er sich in die Glanzleistung aller ein.

Überwiegend auch Yoel Gamzou. Der junge Dirigent, der an der Wiener Staatsoper bislang eher ein unbeschriebenes Blatt ist, stürzt gleich mal voller Karacho in die Partitur. Dass man die Anfangstakte von Puccinis „Tosca“ so gewaltig einläuten kann, ist natürlich legitim. Etwas öfters hätte der Israeli im Laufe des Dirigats allerdings schon mehr Ruhe walten lassen können. Explosive Orchesterausbrüche – schön und gut. Benötigt es, aber irgendwann ist dann auch Schluss mit lustig.

Vielleicht auch das einzige, was man an dieser hervorragenden Repertoire-Vorstellung bemängeln könnte: große Stimmen, mächtiger Klang aus dem Graben – hin und wieder aber ein wenig zu gewaltig, allesamt.

Jürgen Pathy (klassikpunk.de), 10. Oktober 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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