Foto: Thomas Aurin (c)
Gioacchino Rossini, Il Viaggio a Reims
Deutsche Oper Berlin, Premiere am 15. Juni 2018
von Peter Sommeregger
Rossinis „Il Viaggio a Reims“, 1825 als Festoper für die Krönung Karls X. geschrieben, war lange in Vergessenheit geraten. In den 1980er-Jahren wurde sie wieder ausgegraben, Claudio Abbado spielte sie mit Starbesetzung für die Schallplatte ein. Seither hält sich das Werk auf den Spielplänen.
Die Vorgabe für die Handlung ist bescheiden: eine illustre Gesellschaft von Adeligen strandet auf der Reise zur Königskrönung in einer ländlichen Herberge. Die für die Weiterreise benötigten Kutschen und Pferde können nicht aufgetrieben werden, also müssen die unfreiwillig Zurückgebliebenen die Zeit totschlagen, was sie mit Liebeleien, kleinen Intrigen und allerlei Unsinn tun. Bestimmt keine leichte Aufgabe für den Regisseur, da die Oper praktisch nur aus Ensembles besteht, die beinahe schon Chorstärke besitzen.
Jan Bosse siedelt die Handlung im Krankensaal einer Klinik an (nicht neu), was Gelegenheit zu einigen Klinik-Witzen (sehr alt) bietet. Er hat sich dafür von Stephane Laime einen Spiegelsaal bauen lassen, der den Nachteil hat, dass sich die auf die Bühne gerichteten Scheinwerfer spiegeln und den Zuschauer zum Teil erheblich blenden. Sinnfreie Videosequenzen im Bühnenhintergrund verstärken das optische Durcheinander auf der Bühne, auch den Dirigenten Giacomo Sagripanti kann man fast den ganzen Abend gleichförmig rudernd im Spiegel beobachten. Was sich im Verlauf des mit drei Stunden langen und reichlich zähen Abends an hilfloser Nicht-Regie abspielt ist von der Qualität eines Laienspiels in der tiefsten Provinz. Von und auf Matratzen springende Protagonisten, heruntergelassene Hosen, Griffe in weibliche Dekoltés, an der Rampe entlang hüpfende Sänger, Kissenschlachten, Grimassenschneiden, und das alles noch handwerklich schlecht ausgeführt und in hässlichen, billigen Kostümen dargeboten. Sackhüpfen in Posemuckel wäre wahrscheinlich niveauvoller.
Der musikalische Teil der Aufführung, die zum Teil mit Kräften aus dem Ensemble besetzt war, fiel vergleichsweise erfreulicher aus. Der junge Dirigent Giacomo Sagripanti hatte das Orchester fest im Griff, war ein guter Begleiter für die Sänger. An der federnden Leichtigkeit, mit der diese Musik interpretiert werden sollte, fehlt es ihm allerdings. Rossini wirkt hier eher breit und behäbig, fast teutonisch. Ein individuelles Urteil über einzelne Sänger zu fällen, fällt hier schwer, da es in dem Werk kaum Solonummern gibt. Die Rolle der Corinna hat dafür aber gleich zwei Arien, die von der Russin Elena Tsallagova sehr beseelt mit schönem lyrischen Sopran vorgetragen wurden. Insgesamt bewegten sich die sängerischen Leistungen auf hohem Niveau, die Damen konnten aber insgesamt stärker punkten. Brillant die Harfen- und Flötensoli der Damen Gout-Zschäbitz und Garzuly-Wahlgren.
Es hätte ein schöner Abend werden können, der aber durch die sich billig anbiedernde Regie stark beeinträchtigt wurde. Das Haus täte gut daran, diese Produktion möglichst noch im Sommerschlussverkauf zu entsorgen.
Peter Sommeregger, 16. Juni 2018, für
klassik-begeistert.de
Giacomo Sagripanti, Musikalische Leitung
Jan Bosse, Inszenierung
Stephane Laime, Bühne
Kathrin Plath, Kostüme
Kevin Sock, Licht
Monika Dresenkamp, Video
Lars Gebhardt, Dramaturgie
Elena Tsallagova, Corinna
Vasilisa Berzhanskaya, Marchesa Melibea
Slobhan Stagg, Contessa die Folieville
Hulkar Sabirova, Madama Cortese
Gideon Poppe, Cavaliere Belfiore
David Portillo, Il Conte die Libenskof
Mikheil Kiria, Lord Sidney
Davide Luciano, Don Profondo
Philipp Jekal, Barone di Trombonok
Dong-Hwan Lee, Don Alvaro
Sam Roberts-Smith, Don Prudenzio
Juan de Dios Mateos, Zefirino
Alexandra Ionis, Maddalena
Meechot Marrero, Modestina
Davia Bouley, Delia
Byung Gil Kim, Antonio
Anna Garzuly-Wahlgren, Soloflöte
Virginie Gout-Zschäbitz, Harfe