Erwin Schrott, Regula Mühlemann, Giacomo Sagripanti (musikalische Leitung), Renato Girolami, Pietro Spagnoli (Foto: RW)
Die angekündigte Besetzung war mit der Sopranistin Regula Mühlemann als Fiorilla und dem Bassbariton Erwin Schrott als Selim vielversprechend. Als Don Geronio konnte wieder, wie bei der jetzt 18 Jahre zurückliegenden Premiere, der Bariton Renato Girolami gewonnen werden. Leider wurde ich mit der Vorstellung nur bedingt glücklich.
Il turco in Italia
Gioachino Rossini
Aufgrund des Warnstreiks der Gewerkschaft ver.di Vorstellung am 23.03.2023 in semi-konzertanter Fassung
Inszenierung: Christof Loy
Bühnenbild und Kostüme: Herbert Murauer
Licht: Reinhard Traub
Premiere: 20. März 2005
Staatsoper Hamburg, 23. März 2023
von Dr. Ralf Wegner
Eine hübsche junge Ehefrau (Fiorilla) eines etwas älteren, aber begüterten Herrn (Don Geronio) verlässt ihren jungen Liebhaber (Don Narciso) wegen eines Neapel erkundenden attraktiven türkischen Lokalfürsten (Selim), verliert diesen aber an dessen ehemalige, ebenfalls schöne Geliebte (Zaide) und kehrt reumütig zum Ehemann zurück. Eingefädelt wird alles von dem Dichter Prosdocimo. Das ganze dauert netto drei Stunden, zieht sich also etwas in die Länge. Wenn der Titel anders hieße, etwa Die untreue Fiorilla, wäre der Besuch dieser Rossini-Oper sicher für die Kasse erfolgreicher, die zahlreichen leeren Plätze könnten aber auch auf den avisierten Streik und die Möglichkeit zum Tausch in eine Folgevorstellung zurückzuführen gewesen sein.
Die angekündigte Besetzung war mit der 37 jährigen Schweizerin Regula Mühlemann als Fiorilla und dem aus Uruguay stammenden Bassbariton Erwin Schrott (50) als Selim vielversprechend. Als Don Geronio konnte wieder, wie bei der jetzt 18 Jahre zurückliegenden Premiere, der auch mit jetzt 64 Jahren unverwüstliche umbrische Bariton Renato Girolami gewonnen werden.
Leider wurde ich mit der Vorstellung nur bedingt glücklich. Regula Mühlemann war als Fiorilla besonders hübsch anzusehen, sie spielte mit Überzeugungskraft und sang ihre Partie mit schöner Stimmfärbung und in allen Lagen rund und weich, blühend in der Höhe. Die große Reuearie am Ende des Stücks gelang ihr perfekt, vielleicht hätte der Wechsel von lyrischen Anfang zum Opera seria-Ende noch etwas dramatischer ausfallen können. Diese Arie erwies sich trotzdem als einer der Höhepunkte der Aufführung, ebenso jene des Don Narciso im zweiten Akt, die von dem weltweit im Rossinifach eingesetzten Tenor Michele Angelini mit großer Sicherheit und Koloraturfähigkeit gesungen wurde, bis hin zur beeindruckenden, voll gehaltenen Höhe. Warum er vor allem in ersten Akt allerdings so überchargierte, ebenso wie Erwin Schrott als Selim oder Claire Gascoin als Zaide, war von der Inszenierung her nicht zu erklären. Wegen des Streiks und der nur halbszenischen Aufführung hatte möglicherweise auch nicht genügend Probezeit zur Verfügung gestanden.
Das galt für das sehr natürliche Spiel von Regula Mühlemann aber ebenso wenig wie für Renato Girolami, der mit dieser Rolle so verwachsen scheint, dass er sie wohl auf jeder Bühne in Echt erlebt. Beider Zwiegesang und ihr Zusammenspiel im Ankleidezimmer Fiorillas erreichten eine absolute Perfektion, die leider während der gesamten Aufführung nicht immer durchgehalten wurde.
Enttäuscht hat mich Erwin Schrott als Selim. Wo sind sein spezifisches Timbre, seine Stimmschönheit und Legatofähigkeit geblieben. Die wie aus einem Verstärker klingende „Röhre“ hat er noch, die Stimme klang aber manchmal wie angeraut und ließ jeden Schmelz vermissen, jene Stimmschönheit, die ich vor drei Jahren in München bei einer Tosca-Aufführung noch wahrgenommen hatte. Tue ich ihm unrecht? Vielleicht haben andere Zuschauerinnen und Zuschauer es anders empfunden, oder sich vor allem durch seine Lautstärke beeindrucken lassen.
Schrott hatte aber auch ein Duett mit Renato Girolami zu singen, dabei ließen sich beide tief liegenden Männerstimmen gut miteinander vergleichen. Und Schrott schnitt nicht gut ab. Vielmehr schien Girolami alles das zu haben, was bei Schrott gestern Abend schmerzlich vermisst wurde, einen angenehmen Stimmklang und eine schöne Gesangslinie im Sinne des Bindens der Töne. Hoffentlich hat sich Schrotts Stimme bis zu seinen Auftritten als Scarpia Anfang April wieder erholt.
- Ergänzt wurde das Ensemble von Pietro Spagnoli als die Fäden spinnender Dichter, dem vom Komponisten aber wenig Arioses zugebilligt wurde, sowie von Claire Gascoin, Mitglied im Internationalen Opernstudio, die als Zaide bereits mit einer durchaus mittleren Partie betraut worden war. Außerdem machte Seungwoo Simon Yang als Zaides Begleiter Albazar auf sich aufmerksam.
Insgesamt war es aber ein hörens-, und auch sehenswerter Abend. Das Publikum applaudierte begeistert noch lange nach Ende des Stücks. Besonders viele Bravos galten der Leistung von Regula Mühlemann als Fiorilla.
Giacomo Sagripanti hatte das Philharmonische Staatsorchester versiert durch das Stück geführt. Auch galt der Dank des Publikums dem zu Beginn der halbszenischen Aufführung die Bühne betretenden Opernintendanten Georges Delnon und damit allen Mitwirkenden des Abends, ohne deren Bereitschaft zu Mehrarbeit die Vorstellung wegen des Streiks in dieser Form nicht hätte stattfinden können.
Dr. Ralf Wegner, 24. März 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Gioachino Rossini, Il turco in Italia Wiener Staatsoper, 3. Juli 2022
Gioachino Rossini, IL TURCO IN ITALIA, Bayerische Staatsoper, Nationaltheater, 9. Februar 2022
Giacomo Puccini, Tosca, Bayerische Staatsoper, 17. Februar 2020