Danach schloss die Renomée-Oper: Der "Turco" am Teatro alla Scala  – ein Belcanto-Feuerwerk begeistert in minimalistischer Inszenierung

Gioachino Rossini, Il Turco in Italia,  Teatro alla Scala, 22. Februar 2020

klassik-begeistert.de-Autor Dr. Charles E. Ritterband besuchte die vorläufig letzte Vorstellung an der Mailänder Scala – sämtliche Vorstellungen sind wegen des Corona-Virus bis auf weiteres suspendiert.

Teatro alla Scala, 22. Februar 2020 (Premiere)
Gioachino Rossini, Il Turco in Italia, Dramma Buffo
Foto: Andreas Schmidt (c)

Am Tag nach dieser Vorstellung, am Sonntag 23. Februar 2020, brachte die Scala folgende Verlautbarung in Umlauf: „Wir geben bekannt, dass wegen der Entwicklungen im Zusammenhang mit der Verbreitung des Coronavirus die Vorstellungen des Teatro alla Scala als Vorsichtsmaßnahme suspendiert wurden – in Erwartung weiterer Verfügungen durch die zuständigen Organe. Für Informationen in Bezug auf diese Programmänderungen und die Rückerstattung bereits bezahlter Tickets wende man sich an

von Charles E. Ritterband

Mit einem wahren Belcanto-Feuerwerk ist Rossinis „Il Turco in Italia“ an seinen Ursprung zurückgekehrt: Am 14. August 1814 feierte diese Opera Buffa ihre Uraufführung an der Mailänder Scala – und das weltberühmte Haus bringt das Werk jetzt, mehr als zwei Jahrhunderte später, in einer Neuinszenierung wieder auf die Bühne.

Der Regisseur Roberto Andó hat für einen minimalistisch-stilisierten Stil optiert, der das vertrackte Verhältnis der Protagonisten auf einer leeren Bühne, möbliert nur mit einigen wenigen aber höchst eleganten hölzernen Design-Möbeln, in den Mittelpunkt stellt. Die wunderschönen, farbenprächtigen Kostüme (Nanà Cecchi) kommen dabei umso mehr zur Geltung. Im Hintergrund ist stets das – teils als barocke Theatermaschinerie, teils als Video-Projektion (Luca Scarzella) dargestellte – Meer zu sehen: Sinnvoll, denn die Handlung spielt sich ja in Neapel (im 18. Jahrhundert) ab, und der Verwirrung stiftende Turco kommt ja auch übers Meer. Die Auftritte der Figuren vollziehen sich fast durchwegs über Versenkungen, aus denen sie auf die Bühne gefahren werden: Ein konsequent durchgezogener Regieeinfall, der allerdings in keinem Zusammenhang mit der Handlung steht.

Während die Regie ziemlich repetitiv und, von einer ästhetisch hübschen Massenszene abgesehen, doch eher einfallslos wirkt – da ziehen, um die sinnlichen Genüsse Italiens zu zeigen, mit kulinarischen Köstlichkeiten angefüllte Wagen über die Hinterbühne hin und her – ist der musikalische Genuss umso perfekter: Überragend die Donna Fiorilla der Rosa Feola. Die italienische Sopranistin ist geradezu geschaffen für diese anspruchsvolle Rolle – nicht nur steht Fiorilla in dieser Oper die meiste Zeit auf der Bühne und muss auch schauspielerisch ihren Zwiespalt zwischen koketter Frivolität und später Reue glaubwürdig verkörpern. Feolas singt ihre Koloraturen mit Leichtigkeit und Präzision. In der ebenso himmlisch schönen wie teuflisch schwierigen (und unbarmherzig langen) Arie „Caro padre, madre amata“ gegen Ende des zweiten Aktes, in der bereits Callas und Bartoli geglänzt hatten, zeigte Feola ihr ganzes Können – und wurde vom anspruchsvollen Publikum der Scala entsprechend bejubelt.

© Wikimedia Commons – Jean-Christophe BENOIST

Nicht nur sie – auch der sonor-maskuline „Turco“ Selim, gesungen vom stattlichen italienischen Bass-Bariton Alex Esposito, erntete warmen Applaus. Großer Beifall auch für den warmen Bass des italienischen Giulio Mastrototaro, der überzeugend den eifersüchtigen (aber in erotischen Dingen wenig überzeugenden) Ehemann Fiorellas Don Geronio gab; warmer Applaus für Fiorellas ersten Liebhaber Don Narciso, dem der urugayische Tenor Edgardo Rocha gehörig Schmelz und Sentimentalität verlieh. Die Zaida der italienischen Mezzosopranistin Laura Verrecchia brachte zwar viel Charme und Schalk auf die Bühne, blieb aber stimmlich eher hinter der Sopranistin Rosa Feola zurück – was allerdings an den im Vergleich zur Fiorella weniger brillanten Gesangspartien gelegen haben mag, die Rossini der Rolle der Zigeunerin zugedacht hatte. Glänzend allerdings war Verrecchia im Duett mit dem Turco.

Hervorragend – stimmlich und schauspielrisch – schließlich der italienische Bariton des Mattia Olivieri in der zentralen Rolle des um eine gute Handlung für seine Komödie ringenden Dichters Prosdocimo. Dass er sie in all den Irrungen und Wirrungen des „Turco“ tatsächlich gefunden hat, liegt auf der Hand.

Ganz besonders gewürdigt werden sollen hier die Leistungen des Orchesters der Scala, vor allem aber die Dynamik und das Temperament des Schweizer Dirigenten (und Organisten) Diego Fasolis. Obwohl er als Barock-Spezialist gilt, hat er dieser wunderschönen Rossini-Oper die ganze Ausgelassenheit und Subtilität verliehen, die sie verlangt. Den durchwegs herausragenden Belcanto-Sängern dieser Aufführung war Fasolis ein kongenialer Partner. Die Rückkehr des „Turco“ auf die Bühne der Scala ist – musikalisch zumindest – geglückt.

Dr. Charles E. Ritterband, 23. Februar 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Dr. Charles E. Ritterband

Der Publizist und Journalist Dr. Charles E. Ritterband, 66, geboren in Zürich / Schweiz, ist Verfasser mehrerer Bestseller („Dem Österreichischen auf der Spur, „Österreich – Stillstand im Dreivierteltakt“ sowie „Grant und Grandezza“) und hat als Auslandskorrespondent 37 Jahre aus London, Washington, Buenos Aires, Jerusalem und Wien für die renommierte Neue Zürcher Zeitung (NZZ) berichtet. Er studierte Germanistik, Geschichte, Philosophie und Staatswissenschaften an den Universitäten Zürich und Harvard sowie am Institut d’études politiques de Paris und an der Hochschule St. Gallen. Seit Kindesbeinen schlägt Charles’ Herz für die Oper, für klassische Konzerte und für das Theater. Schon als Siebenjähriger nahm ihn seine Wiener Oma mit in die Johann-Strauß-Operette „Eine Nacht in Venedig“. Die Melodien hat er monatelang nachgesungen und das Stück in einem kleinen improvisierten Theater in Omas Esszimmer nachgespielt. Charles lebt im 4. Bezirk in Wien, auf der Isle of Wight und in Bellinzona, Tessin. Er schreibt seit 2017 für klassik-begeistert.de.

Dirigent: Diego Fasolis
Choreinstudierung: Bruno Casoni
Regie: Roberto Andó
Bühne: Gianni Carluccio
Kostüme: Nanà Cecchi
Video: Luca Scarzella
Fiorilla: Rosa Feola
Zaida: Laura Verrecchia
Selim: Alex Esposito
Don Geronio: Giulio Mastrototaro
Don Narciso: Edgardo Rocha
Prosdocimo: Mattia Olivieri
Albazar: Manuel Amati
Chor und Orchester der Scala

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