Foto: © Szilvia Csibi, Péter Rákossy
Neuinszenierung der Rossini-Oper „L’Italiana in Algeri“
im Erkel-Theater, 18. bis 26. November 2017
von Charles E. Ritterband
Das ungarische Temperament passt hervorragend zum italienischen Temperament Gioachino Rossinis – so geriet die Neuinszenierung von „L’Italiana in Algeri“ (an dritter Stelle der meistgespielten Opern Rossinis) am Budapester Erkel-Theater, Ausweichquartier für die in Restaurierung befindliche Ungarische Staatsoper, zu einem quirlig-spritzigen Opernabend. Das Opernorchester unter dem jungen italienischen Dirigenten Francesco Lanzillotta brillierte geradezu überschäumend und unterstützte adäquat die glänzenden Leistungen der Sängerinnen und Sänger.
Die „Italiana“ gelangte in Budapest erstmals zur Aufführung, und sie wurde zum uneingeschränkten Erfolg: ausverkauftes Haus, auch noch am zweiten Abend am Sonntag– und der für Budapest typische, rhythmische Applaus, der die Begeisterung des Publikums unzweifelhaft zum Ausdruck bringt.
Die Handlung erinnert sehr an Wolfgang Amadeus Mozarts „Entführung aus dem Serail“ – findet sie doch auch in einem orientalischen Harem statt. Im Gegensatz zur Oper Mozarts, der dort die vielleicht schönste Liebeserklärung des ganzen Opernrepertoires an seine Konstanze eingebaut hat, geht es in der „Italiana“ völlig absurd und turbulent zu – die hervorragend humorvolle Budapester Inszenierung (Regie Mate Szabo) wird den augenzwinkernden Absichten Rossinis und seines Librettisten Angelo Anelli völlig gerecht.
Da ist nichts zu spüren von der sprichwörtlichen ungarischen Sentimentalität, ja Traurigkeit – da ist alles Witz und Parodie mit munteren Maskeraden. Die Kostüme sind ebenso grotesk wie das Geschehen auf der Bühne, und das Bühnenbild entführt uns nicht wie bei Mozart in ein Serail des 19. Jahrhunderts, sondern in einen von Reichtum strotzenden Golfstaat. Für den „Bey“ (Fürst) Mustafà, als unverbesserlicher und dümmlicher Macho und eitler Schönling grossartig (schauspielerisch und stimmlich) verkörpert vom ungarischen Bassbariton Marcell Bakonyi, spielt Geld offenbar keine Rolle – und so hat er sich einen protzigen Marmorpalast von Stararchitekten erbaut; klassische Statuen der europäischen Renaissance und der Antike (Beutestücke? Kopien?) werden ständig in den Palast hinein- und aus dem Palast hinausgerollt: Mustafà will offensichtlich nicht nur mit seiner Manneskraft und seinen Verführungskünsten prahlen, sondern auch mit seinem Kunstverstand. Und in Lederbikinis schlüpfen als schwarze Kätzchen gestaltete Tänzerinnen im SM-Stil über die Bühne – etwas befremdlich, aber offenbar das, was dieser Macho-Mustafà liebt.
Doch wie kommt Bey Mustafà, dem seine bisherige Ehefrau Elvira (berührend: Rita Szemere) auf die Nerven geht ausgerechnet auf eine Italienerin? Dafür wurde in dieser Inszenierung eine höchst originelle Lösung gefunden: Gewissermaßen im Privatkino des Bey wird der amerikanische Kultfilm „Three Coins in the Fountain“ aus dem Jahr 1954 (mit dem dank Frank Sinatra weltberühmt gewordenen Titelsong) gezeigt – mit arabischen Untertiteln –, dessen romantische, in Rom spielende Handlung, Mustafàs Lust auf eine Italienierin als neue Gespielin auslöst.
Die witzigste Szene war jene, in der Mustafàs rechte Hand, der brutale Haly (der Bassbariton Attila Dobak) ein europäisches Kreuzfahrtschiff gekapert hat, um seinem Chef die (unter Androhung der Pfählung) geforderte Italienerin zu beschaffen, die sich glücklicherweise an Bord befand: Die mit orangefarbenen Schwimmwesten ausgestatteten Passagiere haben im Hafenterminal, bewacht und malträtiert von sonnenbebrillten Militärs mit weißen Maschinenpistolen, den Metalldetektor zu passieren, bevor sie in den Terminal eintreten können. Alles ziemlich hyperrealistisch und zum Gruseln – wäre da nicht die strohblonde Italienerin Isabella (Mezzosopranistin Szilvia Vörös), die rasch die Sache in die Hand nimmt und den fastzinierten Mustafà bezirzt und kontrolliert. Vöros gibt das herrliche „Per lui che adoro“ (für ihn, den ich liebe) und „Pensa alla Patria“ (denk ans Vaterland – mit musikalischer Anspielung an die Marseillaise) mit hinreißend schönem Schmelz – eine fantastische Stimme.
Ihr geliebter Lindoro, gesungen vom griechischen Tenor Kawaras Vassilis (den sie gegenüber Mustafa spontan als ihren „Sklaven“ ausgibt), verwöhnte das Publikum mit einer wunderbaren Belcanto-Tenorstimme, als er die berühmte Cavatine „Languir per una bella“ (sich nach einer Schönen sehnen) gab. Sehr witzig Isabellas angeblicher „Onkel“ Taddeo (Cseh Antal als solider Bariton), für den das Fantasie-Ehrenamt „Kaimakan“, Beschützer aller Muslime geschaffen wird. Im Gegenzug wird Mustafà die Ehre der Beförderung zum „Papataci“ (Papa sei still) zuteil.
Ein köstlicher, spritziger und musikalisch perfekter Abend in Budapest.
Bis 2019 finden die Vorstellungen der Ungarischen Staatsoper (Magyar Állami Operaház) wegen Renovierungssarbeiten nicht im prachtvollen, historischen Opernhaus am Andrasi-Boulevard, sondern in der „Volksoper“, dem vom Budapester Stadtzentrum etwas weiter entfernten Erkel-Theater (Erkel Szinhas), statt. Dieses größte Theater Ungarns wird regelmäßig für Vorstellungen der Staatsoper eingesetzt; 1953 erbaut, hat es den Charme der vom Kommunismus geprägten 1950er-Jahre-Architektur.
Der Journalist Dr. Charles E. Ritterband schreibt exklusiv für klassik-begeistert.at. Er war für die renommierte Neue Zürcher Zeitung (NZZ) Korrespondent in Jerusalem, London, Washington D.C. und Buenos Aires. Der gebürtige Schweizer lebt seit 2001 in Wien und war dort 12 Jahre lang Korrespondent für Österreich und Ungarn. Ritterband geht mit seinem Pudel Nando für die TV-Sendung „Des Pudels Kern“ auf dem Kultursender ORF III den Wiener Eigenheiten auf den Grund.
klassik-begeistert.at, 20. November 2017