Wie die Mona Lisa unter Milchglas: "Il Giardino Armonico" ist im Hamburger "Michel“ völlig falsch aufgehoben

Giovanni Antonini, Il Giardino Armonico  St. Michaelis Hamburg, Schleswig-Holstein Musik Festival, 9. August 2019

Foto: © Lukasz Rajchert

Hamburg, St. Michaelis, 9. August 2019
Schleswig-Holstein Musik Festival (SHMF)

Giovanni Antonini, Blockflöte und Leitung
Il Giardino Armonico

Georg Philipp Telemann:
Suite (Ouvertüre) für Blockflöte, Streicher und Basso continuo a-Moll TWV 55:a2

Johann Sebastian Bach:
Brandenburgisches Konzert Nr. 4 G-Dur BWV 1049
Brandenburgisches Konzert Nr. 6 B-Dur BWV 1051
Brandenburgisches Konzert Nr. 2 F-Dur BWV 1047

von Guido Marquardt

Die Trompete im letzten Abschnitt deutet an, was möglich gewesen wäre – denn sie ist laut genug, um das riesige Kirchenschiff zu füllen. Leisere Instrumente und subtilere Passagen hingegen dringen leider überhaupt nicht durch. So verpufft die mutmaßlich hervorragende Leistung eines Weltklasse-Ensembles weitgehend.

Verbindet man viele der anderen Flaggschiffe von Barockmusik und historisch informierter Aufführungspraxis eher mit den Namen bestimmter Personen, etwa Ton Koopman, Trevor Pinnock oder Nikolaus Harnoncourt, so steht das 1985 gegründete Ensemble Il Giardino Armonico in erster Linie als Kollektiv für meisterliche, maßstabsetzende Aufführungen und Einspielungen Alter Musik.

Völlig klar, dass auch dieses großartige Kammerorchester nicht fehlen durfte, als es um die Planung des diesjährigen Schleswig-Holstein Musik Festivals mit seinem Bach-Schwerpunkt ging. Und sicherlich ist es auch naheliegend, die Hamburger Hauptkirche St. Michaelis, üblicherweise „Michel“ genannt, in die Überlegungen einzubeziehen. Nicht zuletzt, da ein Sommerfestival immer auch touristische Konzertgäste ansprechen muss.

Und was gäbe es Schöneres als ein Weltklasse-Ensemble, das musikalische Evergreens aus der Barockzeit in der berühmtesten Barockkirche Norddeutschlands zum Besten gibt?

Nun, manchmal gehen solche Rechnungen eben nicht auf. Das Kirchenschiff des Michel ist mehr als 50 Meter lang, fast 50 Meter breit und 27 Meter hoch. Mehr als 2.000 Menschen haben Platz auf den Sitzbänken, die in alle denkbaren Richtungen zeigen. Fast so, als sei Oskar Schlemmer auf die Idee gekommen, Monumentalgruppen zu choreographieren.

Il Giardino Armonico, mit ihrem tapferen Leiter und bedauernswerten Flötisten Giovanni Antonini, sind an diesem Abend mit knapp 20 Personen vertreten. Auf der Nordempore finden sie reichlich Platz. Der überwiegende Teil der Besucher sitzt im Kirchenschiff, einige Meter unterhalb der Empore. Doch selbst in der Beletage des Michels haben die meisten Gäste an diesem Abend Plätze, die sich auf gegenüberliegenden Emporen befinden. Das sorgt, bei aller lichten Barockschönheit des Innenraums, für eine große Distanz zwischen Orchester und Besuchern.

Noch gravierender ist freilich, dass der riesige, in alle Richtungen offene Kirchenraum neben einem langen Nachhall auch für ein freies Verströmen, Verwirbeln und Verringern aller musikalischen Klänge sorgt. Von Antoninis Flöte hört man phasenweise fast nichts und der Tutti-Orchesterklang, der gerade von diesem Ensemble doch so wunderbar plastisch, differenziert und spannungsgeladen erzeugt und transportiert werden kann, verschwimmt zu einer diffusen Klangsuppe, wird breit und träge.

Eine schöne Sache für Menschen, die sich auch gern mal die Mona Lisa durch ein Milchglasfenster anschauen würden.

Für alle anderen ist es vor allem Anlass, sich über die verpasste Gelegenheit zu grämen, ein sorgsam zusammengestelltes Programm so zu genießen, wie es sich Ensemble und Leiter sicherlich gedacht hatten: mit einer farben- und abwechslungsreichen Suite von Telemann zu Beginn, danach mit dem fein ziselierten Brandenburgischen Konzert Nr. 4 und seinem sportlichen Duell von bäuerlichen Flöten und ätherischen Violinklängen. Beide Werke klangen unter den Verhältnissen recht weich (um nicht zu sagen: lasch) und diffus.

Danach wurde es klanglich wenigstens etwas adäquater, denn das instrumentell äußerst exotisch besetzte 6. Brandenburgische Konzert kam mit seiner ausgeprägt dunklen Klangfarbe mit den Bedingungen im Michel ein wenig besser zurecht. Das von der mächtigen Violone getragene Bassfundament schuf für Viola-Duette und Ausflüge mit Viola da Gamba herrliche Räume. Das dynamische Allegro des ersten Satzes und die rhythmisch straff durchgezeichnete Gigue des dritten Satzes verdienen dabei besonderes Lob. Das 6. Konzert gehört innerhalb der Brandenburgischen vielleicht zu den etwas weniger populären, lohnt aber allemal nähere Beschäftigung.

Und dann schließlich das 2. Brandenburgische zum Abschluss. Wie hier Gabriele Cassones Naturtrompete immer wieder zwischen triumphalem Schmettern und zweifelndem Flirren oszillierte, war ganz große Klasse – die Oboe hatte es da akustisch schon wieder etwas schwerer, aber insgesamt war dieser Teil sicherlich der Höhepunkt des Abends.

Objektiv gab es wirklich keinen Grund, ausgerechnet diese weltlichen Werke in ihrer kleinen Besetzung in einer großen Kirche aufzuführen, die akustisch für Orgel- oder Chormusik sicherlich eine passende Bühne bietet, so aber der Hauptgrund dafür war, dass man den Heimweg mit einem tief geseufzten „Schade“ antreten musste.

Guido Marquardt, 11. August 2019, für
klassik-begeistert.de

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