Charlotte Kragh (Bathilde) und Emilia Peredo Aguirre (Giselle) (Foto: RW)
Zusammengefasst gelingt es Volpi nicht, die Liebesbeziehung zweier Frauen tiefenspannend und mit im Herzen bewegender Empathie zu zeigen. Vielmehr scheint seine Triebfeder der modische Hang zum Nonbinären zu sein.
Giselle
Ballett von Demis Volpi (Choreographie und Inszenierung)
Bühnenbild von Heike Scheele
Musik von Adolphe Adam
Musikalische Leitung der Düsseldorfer Sinfoniker: Christoph Stöcker
Deutsche Oper am Rhein,
Opernhaus Düsseldorf, Ballett am Rhein, 19. November 2023
von Dr. Ralf Wegner
Volpis Inszenierung beginnt mit dem Ende einer klassischen Giselle-Aufführung, die von Albrecht und seiner Ehefrau Bathilde besucht wurde. Bathilde ist von dem Bühnengeschehen begeistert, Albrecht geht mit ihr auf die Bühne. Dort bandelt Bathilde mit der Hauptdarstellerin des Stücks an, verlässt diese aber zugunsten Albrechts und lässt Giselle in Verzweiflung zurück.
Im zweiten Akt erinnert sich die gealterte Bathilde an ihre frühere, nicht gelebte Beziehung zu Giselle. Die untoten Willis tauchen auf, Bathilde versucht unter ihnen Giselle zu finden. Am Ende bleibt Bathilde allein zurück.
Dass Volpi eine Amour fou mit zwei Frauen auf die Bühne brachte, hatte sich bereits herumgesprochen. Bereits im ersten Akt haperte es bei der romantischen Beziehung zwischen Giselle und Bathilde für mein Empfinden aber an der Schlüssigkeit einer tieferen Empfindung, die das nachfolgende Drama hinreichend vorbereitet. Außerdem, wenn zwei Frauen einen Liebes-Pas deux tanzen, fehlt etwas, nicht die Verliebtheit, die man bei Bathilde durchaus spürt, sondern der tänzerische Effekt des Drehens und Hebens. Nur verliebtes Tändeln und synchrone Arabesken wirken auf Dauer doch langweilig.
Und subtil ist es auch nicht, was Volpi auf die Bühne bringt, sondern eher vordergründig, manchmal fast plakativ. Auch erschließt sich Giselles Verzweiflung am Ende des ersten Aktes angesichts der Entscheidung Bathildes für Albrecht nicht recht, sie kannte Bathilde ja erst seit einer knappen halben Stunde, wenn man die Zeit auf der Bühne dehnt, seit vielleicht einem Tag.
Die eigentliche Tragik der klassischen Giselle ist doch, dass sich zwischen ihr und dem als Jäger verkleideten Albrecht schon seit längerem eine Liebesromanze entwickelt hatte und sie sich von Albrecht schändlich betrogen sieht, als sich seine Herkunft und Bathilde als seine Braut herausstellen. Volpis Giselle musste sich dagegen von vornherein darüber klar sein, dass Bathilde nicht ungebunden ist, schließlich kommt Bathilde nach der Vorstellung mit Albrecht, und nicht allein auf die Bühne.
Auch eher grob und wenig subtil wirkt die nicht sehen wollende und ablehnende Reaktion Albrechts (Joaquin Angelucci), als er Bathilde in inniger Umarmung mit Giselle sieht. Giselle versucht noch Albrecht zu besänftigen, sie ist schließlich auch eine Schauspielerin. Eine Dreiecksbeziehung hätte der Verbindung womöglich tänzerisch mehr Profil gegeben. Es sollte aber offenbar das Nonbinäre sein. Deshalb treten im zweiten Akt auch männliche Tänzer mit Tutus auf, was optisch eher albern wirkt. Vielleicht standen Volpi auch nicht 24 Tänzerinnen für den Willi-Akt zur Verfügung, so dass er deswegen auf männliche Tänzer zurückgriff.
Die Idee, zu Beginn des zweiten Aktes Angelika Richter als gealterte und ihrer Vergangenheit nachtrauernde Bathilde auf die Bühne zu bringen, überzeugt. Warum sie Giselle aber auch bei den männlichen Willis sucht, erschließt sich nicht, schließlich trauert sie der Liebe einer Frau und nicht eines Mannes nach. Warum denn aber Männer im Willi-Akt? Auf eines wollte Volpi offensichtlich nicht verzichten, auf klassische männliche Funktionen im Ballett, also auf das optisch eindrucksvollere Heben und Tragen der Tänzerinnen, was binär, und nicht nonbinär ist. Allein Gustavo Carvalho darf als, soweit ich mich erinnere, binärer Hilarion eine perfekte Doppeldrehung zeigen.
Charlotte Kragh tanzte als Bathilde ausgezeichnet, war auch technisch besser und darstellerisch überzeugender als Emilia Peredo Aguirres Giselle. Peredo Aguirre verstand sich auf das klassische Giselle-Vokabular, wie dem Hüpfen und Seitwärtsdrehen auf der Spitze, war darin aber nicht wirklich ausdauernd und perfekt. Vielleicht sollte es von der Choreographie her aber auch nur ein mildes Zitat und nicht mehr sein. Dafür übernahm die Tänzerin der Giselle einen schwierigen Part aus dem zweiten Akt, der eigentlich Albrecht vorbehalten ist, sie wagte sich an die Entrechats. Das Ende wirkt versöhnlich, größten Anteil hat daran Angela Richter als eindrucksvolle, gealterte Bathilde.
Zusammengefasst gelingt es Volpi nicht, die Liebesbeziehung zweier Frauen tiefenspannend und mit im Herzen bewegender Empathie zu zeigen. Vielmehr scheint seine Triebfeder der modische Hang zum Nonbinären zu sein. Dem Publikum gefiel das Stück offenbar, der Beifall war aber lange nicht so jubelnd und so lang wie am Abend zuvor im Dortmunder Opernhaus nach der Aufführung des Mittsommernachtstraums von Alexander Ekman.
Dr. Ralf Wegner, 21. November 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Romeo und Julia, Ballett, John Neumeier Hamburg Ballett, Staatsoper Hamburg, 9. November 2023
Ballett Nijinsky von John Neumeier Staatsoper Hamburg, 31. Oktober 2023