Foto: © Monika und Karl Forster
Musiktheater im Revier Gelsenkirchen
Premiere, 22. Februar 2020
Giuseppe Verdi, Die Macht des Schicksals
Inszenierung: Michael Schulz
von Barbara Seppi
Vorwegzunehmen wäre: Wenn man eine 56-jährige italienische Freundin, die nie zuvor in ihrem Leben eine Oper live gesehen und gehört hat, zur Premiere von „La Forza del destino“ im Musiktheater im Revier in Gelsenkirchen mitnimmt, sie vor Begeisterung „la mia lingua – meine Sprache“ haucht und bei den Arien vor Rührung weint, dann hat die Inszenierung von Michael Schulz den Sinn von Oper, von bestechender Schönheit einfach erreicht. Punkt.
Das funktioniert erstmal durch die herausragenden Orchestermusiker der Neuen Philharmonie unter dem spritzigen, sehr leidenschaftlichen Dirigat von Giuliano Betta. Italiener auch er, Betta hat schon häufiger bewiesen, dass seine Interpretationen rund und „sonnenreich“ sind. Was sich als Stereotyp liest, ist als Kompliment gemeint, Betta spürt in den Kompositionen extrovertiert den Emotionen nach. Bei Verdi muss er nicht lange suchen, Betta leitet in wunderschöne „pianissimi“ und gibt Einzelstimmen in der Begleitung und Dialog von Arien ihren Raum, aber schafft es auch, dass die dramatischen Forte-Dynamiken nie übertrieben, immer natürlich daherkommen.
Ebenso herausragend die Besetzung der Protagonisten. Petra Schmidt ist eine mitreißende Leonora di Vargas, absolute Stimmperfektion, glänzender schauspielerischer Ausdruck. Schulz lässt sie als Madonna unter Dolchstößen erschüttern (dazu später mehr), in Ohnmacht vor dem Schicksal umherirren, in maßloser Einsamkeit unter Tischen zusammenkauern, wie ein verwundetes Tier.
Bastiaan Everink als Don Carlo di Vargas und Timothy Richards als Don Alvaro sind Schmidt ebenbürtig, stimmgewaltig und sensibel zugleich. Alles was Verdi ausmacht wird an diesem Abend von ihnen geboten, der Purist schließt die Augen und genießt, der Zauber dieser Musik entfaltet sich erstklassig und produziert echte Gefühle, siehe oben.
Das Publikum in Gelsenkirchen honoriert die künstlerische Leistung von Sängern, Solisten wie Chor, und Orchester mit minutenlangen Ovationen. Einige Buh-Rufe kommen beim Auftritt Schulz auf die Bühne, wieder einmal polarisiert der Intendant des Musiktheaters im Revier mit einer seiner Produktionen. Den Konservativen zu modern, den Intellektuellen zu plakativ, zu offensichtlich.
Doch was hat Schulz gemacht? Die Geschichte der „Macht des Schicksals“ ist verworren, grenzt ans Lächerliche. Mann (Don Alvaro) liebt Frau (Donna Leonora), der Vater ist dagegen, Mann erschießt Vater aus Versehen, beide fliehen, aber nicht gemeinsam. Bruder (Don Carlo) trifft Mann zufällig im Krieg, verdankt ihm sein Leben. Sie werden Freunde, dann erst erkennen sie sich, wollen nicht, aber müssen sich aus innerem Antrieb duellieren, sprich erschießen. Klappt aber nur beim Mann, der Bruder erschießt im Sterben aus Versehen die Schwester, Mann bleibt einsam zurück. „WTF“ würden Jugendliche heute sagen.
Schulz lässt das ganze Spektakel nicht mit der Ouvertüre, sondern mit einem Chorsatz von Claudio Monteverdi beginnen. „Domine, ad adiuvandum me festina“ – Herr, eile mir zu helfen, aus der Marienvesper. Leonora als Marienstatur, ein großes Herz wird mit Dolchstößen durchbohrt. Der Lichtkranz über ihr erinnert an das europäische Banner, in heutigen Zeiten stark attackiert. Fest steht, so oder so bedarf es spiritueller Hilfe, um durch das Leben zu navigieren. Die Akte der Oper sind neu angeordnet, um die Geschichte der Protagonisten zu entwirren und linearer zu erzählen. Die Suche nach dem ganz persönlichen Glück, die Schwierigkeit des Abstreifens von Erwartungen des eigenen Umfelds und den Ansprüchen an sich selber.
In dieser Lesart wird die psychologische Tiefe des scheinbar übertriebenen Plots sicht- und greifbar, je verzweifelter man versucht, das Richtige zu tun, desto schwerer wird es, das Richtige zu tun. Passend eingeschoben hier das „Nisi dominus“, Psalm 127, ebenfalls zu den Noten von Monteverdi, eine Erkenntnis, dass das Lebensglück nicht zu erzwingen ist, „den Seinen gibt’s der Herr im Schlaf“.
An dieser Stelle muss die exzellente Qualität des Opernchores am Musiktheater im Revier unbedingt erwähnt werden. Die Interpretation der Renaissance-Werke ist einfach fantastisch, leichtfüßig, rein, ein Hörgenuss. Und wie spielend und hochkarätig der Chor Genre wechseln kann.
Schulz, in seiner unermüdlichen Anklage gegen Kriegshetze und Kriegsverbrechen, hat selbstverständlich diese Szenen der „Macht des Schicksals“ vollends ausgekostet. Auf den agitativen „Rataplan“-Chorus folgt ein monumentales „Dies irae“ aus dem Requiem von Giuseppe Verdi, der Chor glänzt mit kraftvollem, strahlendem Klangkörper. Die zerstörerischen und verstörenden Auswirkungen des menschlichen Hasses finden musikalisch in den gewaltigen Klangkaskaden und visuell in plastischen Bildern aus der Tradition des mexikanischen „Dia de los Muertos“ Ausdruck.
Die südamerikanische Totenmaske ziert übrigens auch die Figur der „Preziosilla“, in der Premiere glänzend von Khatuna Mikaberizde interpretiert, die erst in der Generalprobe für die erkrankte Almuth Herbst eingesprungen war.
Das Fazit ist, diese „Macht des Schicksals“ ist in ihrer Vielschichtigkeit und Qualität unbedingt sehens- und hörenswert. Für Bewohner der „Metropole Ruhr“ sowieso, aber es lohnt sich durchaus auch eine weitere Anreise, die Region hat auch insgesamt viel zu bieten.
Barbara Seppi, 24. Februar 2020, für
klassik-begeistert.de
Mitwirkende
Musikalische Leitung Giuliano Betta
Inszenierung Michael Schulz
Bühne Dirk Becker
Kostüm Renée Listerdal
Chor Alexander Eberle
Licht Patrick Fuchs
Dramaturgie Stephan Steinmetz
Mit
Marchese di Calatrava / Padre Guardiano Luciano Batinic (Premiere)/Michael Heine
Donna Leonora di Vargas Petra Schmidt
Don Carlos di Vargas Bastiaan Everink
Don Alvaro Timothy Richards
Preziosilla Almuth Herbst / Khatuna Mikaberizde (Premiere)
Fra Melitone Urban Malmberg/ Piotr Prochera (Premiere)
Curra Rina Hirayama
Mastro Trabuco Khanyiso Gwenxane
Alcade/Chirugo John Lim
Opern-und Extrachor des MiR
Neue Philharmonie Westfalen