Schlachtfeld Wiener Staatsoper: Philippe Jordan kapituliert vor Serebrennikovs „Don Carlo“

Giuseppe Verdi, Don Carlo  Wiener Staatsoper, 26. September 2024 PREMIERE

Foto © Frol Podlesnyi

„Ein rechter Schei**dreck war’s“, um es mit Monaco Franzes Worten zu schildern. Regisseur Kirill Serebrennikov fährt Verdis „Don Carlo“ an die graue Öko-Wand. An der Wiener Staatsoper regieren die Stimmen: Asmik Grigorian, Joshua Guerrero und Roberto Tagliavini müssen nur einem Vorrang lassen: Étienne Dupuis, der als Posa ein Zeichen für die Umwelt setzt.

Giuseppe Verdi, Don Carlo (PREMIERE)
Wiener Staatsoper, 26. September 2024

von Jürgen Pathy

Ein Dirigent, der kapituliert. Hat man noch nie gesehen. An der Wiener Staatsoper geschehen – kein Scherz! Philippe Jordan zückt sein weißes Stecktuch, spießt es auf den Dirigentenstab und versucht zu schlichten. Mitten WÄHREND der Vorstellung, weil der heftige Widerstand schon da entfacht. „Ooooooh!“, nachdem auf der Bühne bunte Fetzen kullern. „Weg mit dem Dreck“, von der anderen Seite „Bravo Jordan!“, um dessen Rücken zu stärken. Nicht der erste Shitstorm an diesem Abend, an dem Regisseur Kirill Serebrennikov seine „Don Carlo“ Neuproduktion im Intellekt ertränkt.

Marquis de Posa als Umweltaktivist

Die Message ist wichtig, sie ist zeitgemäß. Kapitalismus über alles; Kaufsucht – das führt zum Untergang. Deshalb setzt Serebrennikov wie gewohnt auf Bilder, die schockieren. Flammendes Inferno, dazu Klimakleber, die Marquis de Posa animiert, nun endlich auf die Barrikaden zu steigen. Ergibt alles Sinn und findet in Posa, bei Serebrennikov ein Umweltaktivist, durchaus fruchtbaren Boden. Schon im Original jagt der einem illusorischen Freiheitsideal hinterher. Verpackt auf einer Opernbühne ist das alles aber a way too much.

Vor allem, weil der Rest in undurchschaubarem Grau versinkt. Anregungen zum Denken – gerne! Herausforderungen – mit Handkuss! Wenn das Ganze aber zu einem IQ-Test mutiert, läuft irgendetwas falsch. Gerade in der Oper, wo eigentlich die Musik im Mittelpunkt stehen sollte.

Die klingt seit Tagen auch nicht wie erhofft. Bereits bei der „Salome“ hatte man es vermisst, das süße Gift, den glänzenden Schleier, der den Klang der Wiener Philharmoniker eigentlich veredelt. Da stand Philippe Jordan ebenfalls am Pult. Bei „Don Carlo“ zieht sich das durchwegs fort. Erst zum Ende drückt man auf das Sentiment, das bei Verdi einfach nicht fehlen darf.

Die Lichtblicke der Premiere: Asmik Grigorian, Étienne Dupuis & Co

Zum Glück stehen die Sänger allesamt parat. Asmik Grigorian beweist, dass ihre Worte nicht nur Floskeln waren. Mit Popmusik habe sie sich beschäftigt. Bereits vor geraumer Zeit, das habe ihrer Stimme neue Seiten geöffnet. Lässt sie im Schlussduett anklingen, wo sie als Elisabetta durchaus Höhen mit Leichtigkeit erklimmt. Anstatt nur mit Gewalt und exzessivem Drama zu vereinnahmen.

Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

Joshua Guerrero lässt „Italianità“ blitzen. Kernige Mittellage, ein Infant mit strahlender Höhe, die manchen zu forciert erscheint. Seinem Timbre erliegt man jedoch gerne. Roberto Tagliavini ist ein präsenter König, der durchaus auch mal Zweifel hegt. Eve-Maud Hubeaux lässt als Eboli aufhorchen. Eine „hohe“ Partie, bei der ihr Mezzo geschmeidig über die Tessitura blickt. Marquis de Posa, ganz einfach Rodrigo genannt, ebenso. Dass der als Gelbweste, „Liberta“ am T-Shirt, die beste Figur macht, liegt am atemberaubenden Bariton von Étienne Dupuis.

Starke message am falschen Platz

Nur Kirill Serebrennikovs „Schrei“ geht kräftig in die Hose. Das müsse eine gute Botschaft nämlich sein, glaubt man seinem „Opernmanifest“. Die Message ist laut, keine Frage. Die Umsetzung aber ein „Gemurmel“, weil sie mit royalem Kostümdrama nicht d’accord geht, Verdis Musik widerspricht und Intellekt statt Emotion in den Mittelpunkt stellt. Gerne an der „Burg“, bitte nicht an der Wiener Staatsoper. Nach „Lohengrin“ und „Turandot“, nun die nächste Oper, die Direktor Bogdan Roščić in den Sand gesetzt hat.

Jürgen Pathy (klassikpunk.de), 27. September 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Richard Wagner, Lohengrin Wiener Staatsoper, 29. April 2024 PREMIERE

9 Gedanken zu „Giuseppe Verdi, Don Carlo
Wiener Staatsoper, 26. September 2024 PREMIERE“

  1. Also, die Inszenierung war ein intellektueller Leckerbissen, voller Kompromisslosigkeit.
    Allerdings erschließt es sich mir nicht, was Sängerin und Sänger und natürlich das Orchester nebst Dirigent, die einzigen, die dort scheinbar fehl am Platze waren, dort auf der Bühne sollten.
    Ja, die „Message“ ist überaus wichtig. Der alte Verdi hat das leider bei seiner eigentlich hervorragenden Komposition vermutlich lediglich vergessen, dass Don Carlos dem Kapitalismus eine Absage erteilt – es sei ihm verziehen, dass Verdi den Untergang des Abend- & Morgenlandes nicht berücksichtigt bzw. vorhergesehen hat!

    Fazit: Diese Inszenierung einer Oper ist tatsächlich, ich kann es nicht anders deuten – der größte Blödsinn, den ich bisher je gesehen habe. Eine Frechheit dem Publikum gegenüber.
    Anders ist diese Dummheit nicht zu bewerten.
    Das bemitleidenswerten Sängerensemble und die Mitglieder des Orchesters wären sicher am liebsten aus dem Saal geflüchtet bzw. hätten Reißaus genommen – kann ich voll und ganz nachvollziehen.
    Opernfreunde werden durch diese irreale Interpretation einer Verdi-Oper vergrault und aus den Opernhäusern vertrieben.
    Wir, meine Frau und ich, sondieren seit geraumer Zeit, welcher angebliche Star-Interpret für eine Aufführung verantwortlich zeichnet.
    Leider müssen wir meist auf den Besuch verzichten, da alle Opern immer weniger „traditionell“ aufgeführt werden.
    Uns verwundert, dass doch immer noch recht viele Zuschauer diesen „anspruchsvollen, intellektuellen Aufführungen“ beiwohnen.

    Bernd-Gustav Bachmann

  2. Also ich fand’s gut, jedenfalls im Fernsehen. Das Konzept der physischen Trennung von altmodischem Kostüm auf der einen Seite, in dem ja sonst die Darsteller normalerweise eingesperrt sind, und den unmaskierten Emotionen der unverkleideten Sänger, die hier in Nahaufnahme exzellent zu sehen waren, ging voll auf. Habe selten einen Don Carlos gesehen, in dem der Text darstellerisch so famos rübergebracht wurde. Es kann aber schon sein, dass man im Theater in Reihe 20 oder im Rang das gar nicht wahrnehmen kann und die Leute deshalb über soviel Verkopftheit buhten. Der ganze Rest mit Konsumkritik und so weiter fiel am Bildschirm gar nicht groß auf. Und musikalisch eine Sternstunde, jedenfalls wenn man’s über Kopfhörer hörte, orchestral wie sängerisch.

    Das Grau des Bühnenbilds ist übrigens so ziemlich das deprimierende Originalgrau des Escorial, wo Philipp seine grosse Arie singt. Ich habe nie einen scheußlicheren, bedrückenderen und sterileren Königspalast als diesen gesehen. Und das wurde hier halt dargestellt, „sotto la volta nera,
    là, nell’avello dell’Escurial“, mit Austattung wie beim Zahnarzt. Das kommt der Originalatmosphäre ziemlich nah.

    Wolfgang Eck

    1. Sie haben meine vollste Zustimmung! Bin übrigens immer noch begeistert von der Hamburger Konwitschny-Inszenierung.

      Hartmut Funke

  3. Auf jeden Fall hat der Regisseur seinen Schiller gelesen und ihn, soweit es geht, wörtlich in Szene gesetzt, so dass man endlich den Sinn des Dramas versteht. Mehr kann man man sich bei dieser Oper, die vor allem in Akt 2 leicht ins Langweilige abgleitet, kaum wünschen.

    Wolfgang Eck

  4. In Wirklichkeit geht es bei dieser Inszenierung um die Kostüme und die Zwänge, in denen wir alle stecken. Alle wollen die Freiheit, vor allem in der Liebe, aber das geht nicht wegen der Wirklichkeit. Wir sind von ihr sozusagen umzingelt, wie Robert Habeck sagte.

    Wolfgang Eck

  5. Ich habe scheinbar ein grundsätzliches Verständnisproblem. Es entzieht sich meinem Verständnis, warum eine Kunstrichtung, die in der Öffentlichkeit grundsätzlich schon als intellektuell und elitär wahrgenommen wird, zunehmend mit fragwürdigen Inszenierungen aufwartet. Ich bin ein leidenschaftlicher Operngänger, aber unterdessen frage ich mich vor jedem Besuch, was mich wohl erwartet. Es scheint nicht mehr möglich zu sein, unvorbereitet in eine Oper zu gehen, weil man es dann nicht mehr blickt. Geht man vorbereitet, blickt man es oft genug auch nicht und ärgert sich dann noch über… naja, was da alles so fabriziert wird, weil sich irgendwer verwirklichen muss. Wenn eine extrem tiefe Kenntnis des Werkes vorhanden sein muss, um auch die schrägsten Anspielungen und Assoziationen zu verstehen, dann wird Oper wohl niemals aus der elitären Nische heraus kommen. Außerdem muss man auch noch aktuell-politisch und überhaupt up to date sein, sonst kommen weitere Verständigungsprobleme aus dieser Richtung. Manchmal habe ich den Eindruck, um Inszenierungen und deren Messages zu verstehen, zu interpretieren, muss man hochbegabt sein, zumindest sehr inselbegabt. Das ist so schade und in meinen Augen nicht zielführend. Ich mag es sehr, wenn Opern abgestaubt werden und viele Themen sind noch immer aktuell. Ein bisschen mehr Behutsamkeit und Respekt vor dem Werk täte dennoch gut. Und vor dem Publikum, das ja nicht selten viel Geld bezahlt.

    Kathrin Beyer

    1. Ich danke Ihnen vielmals für diese Ausführung. Sie trifft den Nagel auf den Kopf. Ich war heute ein zweites Mal in der Aufführung und habe nach 20 Minuten w.o. gegeben. Zumindest in puncto Inszenierung. Ich blicke nicht durch. Mit Anstrengung funktioniert es teilweise, aber ich hab keinen Bock darauf. Regisseure drängen sich so sehr in den Mittelpunkt, dass kein Raum bleibt, um die Musik zu genießen.

      Jürgen Pathy

      1. Ganz genau! Ich habe keine Lust auf dieses intellektuelle Geschwurbel. Letzten Endes sollte Oper Unterhaltung sein, nicht mehr und nicht weniger. Wenn es passt, gern mit Bezug zur Gegenwart oder auch ins Heute geholt. Aber nicht ausschließlich und auch nicht auf Teufel komm raus. Unterdessen geht jedes Maß verloren und es entsteht der Eindruck, dass hier ein Wettbewerb stattfindet, welche Inszenierung die Schrägste ist. Was für ein kollektiver Irrsinn! Ich würde gern meine Enkelin an Opern heranführen. Aber wenn die Königin der Nacht dann als Domina erschiene, käme ich in Erklärungsnot.
        Und ja, ich weiß, dass ich das jetzt verallgemeinert habe und es durchaus Opernhäuser gibt, in denen behutsam und respektvoll mit dem Werk umgegangen wird. Dem Himmel sei Dank!

        Kathrin Beyer

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