Giuseppe Verdi
Il Trovatore
Philharmonisches Staatsorchester Hamburg
Musikalische Leitung: Giampaolo Bisanti
Inszenierung: Immo Karaman
Choreographie: Fabian Posca
Bühnenbild: Alex Eales
Kostüme: Herbert Barz-Murauer
Licht: James Farncombe
Video: Philipp Contag-Lada
Dramaturgie: Ralf Waldschmidt
Chor: Chor der Hamburgischen Staatsoper
Chorleitung: Christian Günther
Staatsoper Hamburg, 30. März 2024
von Dr. Holger Voigt
In reminiszierender Würdigung pflanzte Giuseppe Verdi – der „einfache Bauer“ (semplice contadino), der er immer sein wollte – auf seinem Landgut Sant’Agata zu Ehren seiner „La Traviata“ (Uraufführung: 6. März 1853) eine Trauerweide, für den „Rigoletto“ (Uraufführung: 11. März 1851) eine Buche und für „Il Trovatore“ (Uraufführung: 19. Januar 1853) eine Eiche.
Diese drei bedeutenden Werke – die sog. „Trilogia popolare“ – lagen ihm sehr am Herzen und markierten seine erfolgreichste Schaffensphase der 50er-Jahre des neunzehnten Jahrhunderts. Einige Verdi-Exegeten äußerten die Annahme, es seien in diesen Werken lebensbiografische Elemente auffindbar, die eine musikalische Aufarbeitung eigener Schicksalsschläge widerspiegelten.
So zeige „La Traviata“ die Beziehung zu einer gesellschaftlich abgelehnten Frau, was auch lange Jahre für Verdis spätere Ehefrau Giuseppina Strepponi galt, die von Verdis persönlichem Umfeld zurücksetzend gemieden wurde.
In „Rigoletto“ kam eine tragische Vaterliebe zur Tochter Gilda auf die Bühne, die in ihrer Schmerzintensität an die Zeit des Verlustes eigener Kinder erinnern läßt.
Und in „Il Trovatore“ zeichnet Verdi in der Rolle der Azucena ein denkmalhaftes Bild seiner eigenen Mutter, der er nicht das an Liebe zurückgeben konnte, was sie ihm ein Leben lang in unverbrüchlicher Mutterliebe gegeben hatte, selbst als die Beziehung zu seinem Vater sich immer mehr entfremdete. Darunter hatte Giuseppe Verdi sehr gelitten, schließlich hatten seine nicht begüterten Eltern ihm alles ermöglicht, um seine musikalische Ausbildung zu fördern.
Gerade „Il Trovatore“ – wohl eine der „opernhaftesten“ Opern der Musikliteratur – zeigt eine Fülle von Elementen, die aus dem tiefsten Grund der Seele aufsteigen und in geradezu albtraumhafter Verwirrung miteinander verknüpft sind. Tiefenpsychologisches Drama und feurige, „zündelnde“ musikalische Verarbeitung zwischen Dramma lirico (Belcanto) und Dramma con fuoco lassen diese Oper zu einem nicht enden wollenden Strom musikalischer Ausgestaltungen werden, deren Reichtum an ariosen Höhepunkten und musikdramatischen Zuspitzungen ihresgleichen sucht. Ein Feuerwerk eben.
Und genau so kommt es in der Neuinszenierung von Immo Karaman auf die Bühne – ein brodelnder visueller Albtraum mit bizarren Bildsequenzen und Sprüngen, die erklären zu wollen so viel Sinn macht, als wolle man einen Albtraum oder eine Psychose logisch erklären wollen. Dass nun am folgenden Tag die Cannabis-Freigabe in Deutschland Gesetz wurde, hat aber mit dieser Inszenierung wirklich nichts zu tun.
Eindrucksvoll das Bühnenbild (Alex Eales), in dem sich die Dekadenz der höfischen Gesellschaft um Graf Luna trefflich darstellen ließ. Beeindruckend die durchgehende choreografische Personenführung (Fabian Posca), die – wenn man sie aufmerksam beobachtete – dramaturgische Visualisierungen ins Spiel brachten, die ihrerseits die szenischen Absurditäten der Traumbilder verstärkten („Ku-Klux-Klan“-Gestalten, Kostüme: Herbert Barz-Murauer). Einzelne Protagonisten bewegten sich dabei langsam schreitend rückwärts über die Bühne.
Bereits das Eröffungsbild begeisterte: Die Protagonisten der versammelten Gesellschaft im Palazzo des Grafen Luna stehen bewegungslos wie eingefroren in Pose, die sich erst nach langer Zeit und zudem diskontuierlich in „lebende“ Menschen auflöst. Das erfordert schon ziemliches Können!
Am Premierenabend gab es viel Unmut und Missfallensbekundungen nach der sehr realistischen Vergewaltigungsszene, auf die man dramaturgisch sicher auch hätte verzichten können, da ihr informativer Mehrwert praktisch nicht existent ist. Am heutigen Abend ertönte lediglich ein einziger und zaghafter, kaum wahrnehmbarer Buh-Ruf.
Demgegenüber gab es viel Feuer auf der Bühne, nicht nur musikalisch. Ein Kinderwagen fing Feuer und brannte – da war wohl die Vorgeschichte des Flammentodes der Mutter Azucenas der Hintergrund dieser Art der Darstellung. Auch wurde in der feixenden Männergesellschaft Graf Lunas schon einmal das Hauspersonal angekokelt – Feuer war also ein Hauptthema dieser Inszenierung und allzeit gedanklich sowie szenisch präsent.
Musikalisch ist zu vermelden, dass das Philharmonische Staatsorchester unter Maestro Giampaolo Bisanti allzeit sicher und mit gehöriger Italianità hervorragend aufspielte. Sehr positiv für den Ablauf war, dass der Maestro den Sängern sehr behutsam ausreichend Zeit ließ und sie nicht hetzend vorantrieb, wenn es schwierig zu meistende Arienabschlüsse gab.
Der Chor der Hamburgischen Staatsoper (Leitung: Christian Günther) zeigte sich in bester Verfassung. Den Coro degli zingari („Vedi, le fosche notturne spoglie“) hätte man als Zuschauer gerne aus voller Brust mitsingen mögen.
Alexander Roslavets (Ferrando, Vertrauter Lunas) überzeugt bereits zu Beginn der Aufführung mit einer kräftigen, sicher geführten und ausdrucksstarken Bass-Stimme. Damit war bereits die Spur des Stimmenfeuerwerks dieses Abends gelegt.
Sehr ausdrucksstark, auch in ihrer Rollendarstellung, präsentierte sich Guanqun Yu als verzweifelte, zerbrechliche und zwischen den Ereignissen und Personen hin- und hergerissene Leonora. Ihre Stimme zeigte feinste Nuancierungen von großer Innigkeit auf, aber auch dramatische Ausbrüche gelangen ihr mühelos.
Graf Luna, gesungen von Aleksei Isaev, Bariton, hält im Wettbewerb des Bösen dieser Oper wohl die Pole-Position. Seine Stimme zeigte sich kräftig und sicher, sie ist in der Lage, alle düsteren Schattierungen des Dramatischen zu durchwandern.
Elena Maximova, Mezzosopran, ist dramaturgisch so etwas wie das szenische Bindeglied von Handlung und musikalischer Ausgestaltung des Opernplots. Eindringlich und überzeugend dramatisch gestaltete sie diese schwierige Rolle souverän und ausdrucksstark.
Die Rolle des Manrico war mit Gwyn Hughes Jones sehr gut besetzt, auch wenn ihm durch die Regie der Personenführung nur ein begrenzter Gestaltungsraum zur Verfügung stand. Sein „Di quella pira…“ musste er vom rechten Bühnenrand singen und war deshalb nicht für alle Opernbesucher gleich gut sichtbar. Seine lyrisch-dramatische Stimmfarbe zeigte eine schön klingende, wohltimbrierte Tenorstimme, der es allerdings an dramatischer Entschlossenheit zu fehlen schien – etwas zu brav für die Wildheit dieser Figur. Das hohe C kam aber sehr überzeugend zur Geltung.
Nachdem zum Schluss zahlreiche Todesfälle zu verzeichnen waren, senkte sich nach einem finalen Todesschuss der Vorhang.
Einhellig großer Applaus für alle Mitwirkenden.
Dr. Holger Voigt, 8. April 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
P.S. 1:
Was ist nur in Hamburg los? Weite Abschnitte im Parkett sowie viele freie Plätze auch im Rang- und Logenbereich!
„Früher war mehr Lametta“
P.S. 2:
Ich gehöre zu den Glücklichen, die „Il Trovatore“ am 8. April 1983 an der Hamburgischen Staatsoper unter einer Spitzenbesetzung erleben durfte: Franco Bonisolli, Julia Varady, Alexandrina Miltschewa, Wolfgang Brendel, Harald Stamm unter der musikalische Leitung von Carlo Franci.
Das mächtige und wildentschlossene „Di quella pira…“ von Franco Bonisolli brachte die Staatsoper schlichtweg zum Erbeben. Ein sichtlich von sich selbst begeisterter (zu Recht!) Franco Bonisolli gab vor dem Eingang des Opernhauses unermüdlich Autogramme und überlegte offenbar, nochmals zurück auf die Bühne zu stürmen und für seine Anhänger ein „bis“ nachzuholen. Wenn man ihn nicht gerade ärgerte (da konnte er schon mal sehr impulsiv reagieren und, das Schwert hinwerfend, die Bühne verlassen…), war er ein Sänger, der Enthusiasmus und Begeisterung auslöste wie kaum ein anderer. So etwas ist heute leider rar geworden.
Hier ein videographisches Zeitdokument:
https://www.youtube.com/watch?v=Xzg86rNphrI
Besetzung:
Luna: Aleksei Isaev, Bariton
Manrico: Gwyn Hughes Jones, Tenor
Leonora: Guanqun Yu, Sopran
Azucena: Elena Maximova, Mezzosopran
Ferrando: Alexander Roslavets, Bass
Inez: Olivia Boen, Sopran
Ruiz: Aaron Godfrey-Mayes, Tenor
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