Wiener Staatsoper – Anna Pirozzi fesselt als Lady Macbeth

 

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Simon Keenlyside (Macbeth), Anna Pirozzi (Lady Macbeth). Alle Fotos: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

  1. Aufführung in dieser Inszenierung

Giuseppe Verdi, Macbeth

Wiener Staatsoper, 25. November 2022

von Manfred A. Schmid (onlinemerker.com)

Worte können fatale Folgen haben. Das gilt nicht nur für die Prophezeiungen der Hexen, die in der Oper Macbeth, basierend auf Shakespeares blutigem Königsdrama, eine verhängnisvolle Mordserie auslösen, sondern auch für Lady Macbeths Aussage „Ich hülle mich in dichtes Dunkel, damit der Dolch nicht sieht, welche Brust er trifft“. Regisseur Barrie Kosky war davon offensichtlich so angetan, dass er beschloss, in seiner Inszenierung gleich die ganz Bühne (Klaus Grünberg) dauerhaft in dichtes Dunkel zu tauchen.

Zu sehen sind meist nur Macbeth und seine Frau, die vorne stehen, wo sie von einer Art absenkbarem Salamander, wie er in Großküchen zum Erwärmen von Speisen zum Einsatz kommt, beleuchtet werden. Nur Macduff, Malcolm und Banco, wichtige Personen am Königshof, dürfen hin und wieder nach vorne treten, Interaktionen gibt es kaum. Alle übrigen Personen der Handlung treten kaum in Erscheinung, von der Begrüßung des Königs Duncan hört man nur die Jubelrufe, weil sie im Off stattfindet, und der zentrale Chor der Hexen bleibt überhaupt unsichtbar. Dafür tummeln sich immer wieder rund dreißig nackte Damen und Herren auf der Bühne, wälzen sich auf dem Boden, klüngeln sich zusammen und trennen sich dann wieder. Was das soll, bleibt auch beim zweiten Besuch dieser Inszenierung rätselhaft. Das Ganze nennt sich „Kammerspiel“ und wird von Verfechter des Regietheaters als große Errungenschaft hochgejubelt, gibt aber Opernfans die Möglichkeit, den Blick mit Schaudern abzuwenden und sich einmal ganz auf die Musik zu konzentrieren. Und das lohnt sich diesmal ganz besonders.

Das von unbändigem Ehrgeiz angetriebene Herrscherpaar ist top besetzt und bestens aufeinander eingespielt. Erst vor einem Jahr sind Anna Pirozzi und Simon Keenlyside im London in diesen Rollen in einer Aufführungsserie – hoch gefeiert – aufgetreten, nachdem Pirozzi bereits 2018 neben Anna Netrebko als Zweitbesetzung für die Lady Macbeth eingesetzt worden war. Man kann davon ausgehen, dass die dabei gemachten Erfahrungen beiden auch in dieser sonderbaren Inszenierung zu Gute kommen. Besonders Keenlyside scheint sich nicht so sehr von den regielichen Vorgaben einengen zu lassen, sondern nützte jede Gelegenheit, um der Person des machthungrigen, durch Mord und Totschlag an die Macht gekommenen und von seinen Bluttaten heimgesuchten Macbeth darstellerisch ein zutreffendes Profil zu verleihen. Dazu trägt auch seine fein timbrierte, eingängigen Stimme bei, die zwar nicht den heldenhaften Verdi-Baritonen zuzurechnen ist, aber gerade dadurch Macbeths psychische Verfassung trefflich auslotet, ist diese doch der Grund dafür, dass er dem Machtanspruch nicht gewachsen ist und immer wieder in Phasen der Reue und quälender Gewissensbisse verfällt.

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Simon Keenlyside (Macbeth) und Freddie De Tommaso (Macduff). Foto: Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

Anna Pirozzi fesselt von ihrer Bühnenpräsenz das Publikum und schlägt es schon mit ihrer ersten Arie „Vieni, t’affretta“ in ihren Bann. Auch darstellerisch weiß sie zu überzeugen. Sie ist die Antriebskraft hinter Macbeth, die ihn mit kraftvoller Körpersprache und funkelnden, Energie verströmenden Blicken zu immer neuen Morden anstachelt, die sich in „Schiudi, inferno“ mit mächtiger Stimme über das gesamte Ensemble erhebt und dabei auch die aufwühlenden Orchesterklänge übertönt. Berührend dann ihr Zusammenbruch in der Wahnsinnsszene. Nur noch ein Häufchen Elend, das sich, vom Arzt und ihrer Kammerfrau sorgenvoll bemitleidet, in mit zartesten Pianissimo gehauchten, sinnlosen Äußerungen verliert.

Nicht sehr viel zu singen gibt es für den Tenor. Freddie De Tommaso als Macduff weiß aber die ihm anvertraute Arie „Ah, la paterna mano“ gut zu nützen und berührt mit seiner Wehklage über den Verlust seiner Kinder und seiner Frau, die er allein gelassen hat, als sie ihn am meisten gebraucht hätten. Am Schluss wird er als Held nicht nur vom Volk gefeiert, sondern gleich darauf auch vom begeisterten Publikum. Hier darf sich der bestens eingestellte Staatsopernchor endlich auf der Bühne zeigen, nachdem er – als neben Macbeth und Lady Macbeth die gewiss wichtigste Stimme in dieser Oper – in den Hexenchören im Verborgenen wirken musste, weil Regisseur Kosky an ihrer Stelle lieber eine Schar nackter Gestalten auf die Bühne haben wollte.

Carlos Osuna ist als Malcolm eine tadellose Hausbesetzung.  Riccardo Fassi singt als Banco im ersten Akt durchaus auf Augenhöhe mit seinem Generalskollegen Macbeth. Da die Interaktion zwischen beiden in dieser Inszenierung leider sehr eingeschränkt ist, kann sich der italienische Bass allerdings darstellerisch kaum entfalten.

Von den Nebenrollen seien stellvertretend Aurora Marthens als Kammerfrau sowie Chiara Bammer genannt, die nach dem Hirten in der Tosca am Tag zuvor nun auch als eine der  „Stimmen der Erscheinungen“ entrückte, überirdisch klingende Töne einbringen kann.

Was die Besetzungsstrategie bei der Verpflichtung von Dirigenten betrifft, hat die Staatsoper mit der derzeit von manchen politisch überkorrekten Wächtern geforderten Vermeidung „kultureller Aneignung“ keinerlei Probleme. Wenn italienische Opern auf dem Spielplan stehen, stehen so gut wie immer auch italienische Dirigent am Pult. Diesmal ist es Giampaolo Bisanti, der seine Sache gut macht, es an einer gute Portion Italianità nicht mangeln lässt und die Abstimmung mit den Akteuren auf der Bühne und den Chören im Abseits stets firm in der Hand hat.

Herzlicher Applaus.

Manfred A. Schmid

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