Foto: Bettina Stöß (c)
Giuseppe Verdi, Nabucco
Deutsche Oper Berlin, 12. September 2018
von Gabriel Pech
Wie die Mauern von Jericho begrüßt das Bühnenbild das Publikum, das in den Saal strömt. Hinter den Mauern steigt Nebel empor, die Szene bekommt etwas Traumhaftes, etwas Albtraumhaftes. Der (Alb-)Traum heißt „Nabucco“ von Giuseppe Verdi, gegeben in der Deutschen Oper Berlin. Auf der Bühne finden sich leider sowohl Träume als auch Albträume.
Es ist ein mystisches Historienspiel im antiken Fernost. Die Babylonier unter König Nebukadnezer greifen die Hebräer an und siegen schließlich. Das Liebespaar zwischen beiden Fronten sind der Hebräer Ismaele und die babylonische Prinzessin Fenena, die von den Hebräern als Geisel gefangen worden ist. Diese wird schließlich befreit, bekennt sich aber zum Judentum. Ihre Schwester Abigaille liebt Ismaele ebenfalls und missgönnt ihr das Glück. Mit der gefälschten Nachricht, dass der König gestorben sei, will sie die Krone an sich reißen und alle Hebräer, einschließlich ihrer Schwester, hinrichten lassen.
Dies misslingt, als der König selbst wieder auftaucht und das Gerücht entkräftet. Daraufhin ruft Nebukadnezer sich selbst zum Gott aus und wird vom tatsächlichen Gott dafür mit Wahnsinn gestraft. Dies führt dazu, dass Abigaille sich doch noch zur Königin machen kann und erneut alle Hebräer hinrichten lassen will. Abermals kommt ihr der eigentliche König im letzten Moment dazwischen, nachdem er sich zum jüdischen Glauben bekehrt hat und dafür von seinem Wahnsinn geheilt worden ist. Am Schluss schwören alle ihrem Gott die ewige Treue, und Abigaille fleht um Vergebung, die ihr aber nicht gewährt wird.
Auch wenn man von Opernbühnen einiges an schlechtem Regietheater gewöhnt ist, war dieses doch noch ein paar Schubladen tiefer als üblich. Die ersten beiden Akte vor der Pause waren schauspielerisch schlichtweg unverständlich. Regisseur Keith Warner reduziert alle Bewegungen auf symbolische Gesten, die leider von den Akteuren scheinbar unverstanden sind. Auf der Opernbühne sind eben nicht nur Sängerinnen und Sänger – auch Schauspiel ist erforderlich, um eine Handlung zu transportieren.
Diese hohlen Gesten kulminieren in ein paar absurden Szenen: Zaccaria soll seiner Geisel Fenena einen Dolch an den Hals halten, hält ihn aber eher in die ungefähre Nähe, beide wirken entspannt bis gelangweilt. Im Verlauf der Szene versuchen mehrere Personen, ihm halbherzig den Arm wegzuziehen, wozu sie aus nicht erkenntlichen Gründen nicht in der Lage sind. Schließlich schafft es Ismaele, weil es so schließlich im Skript steht. Später sehen wir die femme fatale Abigaille, die aus unerklärlichen Gründen über Abdallo herfällt und ihn küsst. Dies nicht nur einmal, an einer Stelle wird auch ein Geschlechtsverkehr angedeutet, es scheint aber jedes Mal aus heiterem Himmel zu kommen und wird weder im Stück noch im Spiel verarbeitet.
Dieses vollkommen leidenschaftslose Schauspiel bessert sich im dritten und vierten Akt fundamental, der fade Beigeschmack bleibt leider. Optimistisch lässt sich vermuten, dass es einmal alles mit Leben und Leidenschaft gefüllt war – zur Premiere 2013, nun aber eingeschlafen ist und auch nicht von der Spielleiterin Eva-Maria Abelein wieder aufgeweckt werden konnte.
Traumhaft hingegen ist das Orchester unter Roberto Rizzi Brignoli. Es gelingt ihm, Verdis überbordende Dramatik klar auszudrücken, ohne zu verschwimmen. Im nächsten Moment schrumpft die Besetzung auf ein Kammerensemble, unter anderem zu Beginn in der Ouvertüre und während der Szene in der Gebetskammer des Hohepriesters Zaccaria im zweiten Akt. Diese Stellen sind meisterhaft vertont und besetzt, werden präzise und sehr präsent realisiert und sind dadurch ein wahrer Ohrenschmaus.
Anna Pirozzi ist sich der Liebe des Publikums gewiss. Ihr Applaus für die Rolle der bösen Drahtzieherin Abigaille ist mit Abstand der lauteste. Im Programmheft wird sie als „eine der aufregendsten Sängerinnen ihrer Generation“ betitelt, und das mag wohl einen wahren Kern haben, leider nicht nur zum Positiven. „Aufregend“ ist ihre Flexibilität in der Klangfarbe, dies aber manchmal auch im schlechten Sinn, wenn ihre Stimme etwas instabil wirkt. Ihr Sopran ist definitiv charakterstark – will sagen, man muss ihn halt mögen.
Die titelgebende Partie des König Nebukadnezers (Nabucco ist eine Kurzform dessen) singt George Petean. In seinem Duett mit seiner Tochter Abigaille im dritten Akt und in seiner Arie der Bekehrung im vierten Akt kann der Bariton endlich seine stimmlichen Qualitäten und seine spielerische Einfühlsamkeit präsentieren. Er besitzt eine volle und solide Stimme, die gesund und angenehm klingt. Bei seinem großen Auftritt im ersten Akt bleibt er leider etwas zurück.
Den Hohepriester Zaccaria verkörpert Roberto Tagliavini sehr eindringlich. Der Bass glänzt vor allem in den Höhen, seinen Tiefen fehlt es vermehrt an Volumen. Dadurch bleibt er zum Beispiel in den ersten Szenen hinter Chor und Orchester zurück.
Vasilisa Berzhanskaya ist die gute Seele des Stücks als Fenena. Sie ist sehr beherrscht und sanft mit einem zauberhaften Sopran. Bei ihrer leidenschaftlichen Arie am Ende des Stückes ist man fast etwas traurig, dass ihr Martyrium im letzten Moment abgewendet und ihr kein schöner Bühnentod vergönnt wird.
Die Bühne von Tilo Steffens ist sehr imposant und dramatisch, leider nicht immer mit Leben gefüllt. Dazu tragen auch die sehr tristen Kostüme von Julia Müer wenig bei, die anscheinend irgendwie historisch sein mögen, aber auch nicht wirklich, vor allem aber sind sie grau. An manchen Stellen ist man gut daran beraten, die Augen zu schließen und die Musik zu genießen.
Gabriel Pech, 13. September 2018, für
klassik-begeistert.de
Musikalische Leitung, Roberto Rizzi Brignoli
Inszenierung, Keith Warner
Spielleitung, Eva-Maria Abelein
Bühne, Tilo Steffens
Kostüme, Julia Müer
Chöre, Jeremy Bines
Nabucco, George Petean
Ismaele, Attilio Glaser
Zaccaria, Roberto Tagliavini
Abigaille, Anna Pirozzi
Fenena, Vasilisa Berzhanskaya
Oberpriester des Baal, Paull-Anthony Keightley
Abdallo, Gideon Poppe
Anna, Cornelia Kim
Chöre, Chor der Deutschen Oper Berlin
Orchester, Orchester der Deutschen Oper Berlin