Wiener Staatsoper, 27. Juni 2019
Giuseppe Verdi, Otello
Foto: Aleksandrs Antonenko als Otello –
Wiener Staatsoper, Michael Pöhn (c)
von Peter Skorepa (onlinemerker.com)
Man sollte annehmen, dass ein Haus vom Rang der Wiener Staatsoper einer so herausragenden Neuinszenierung im Jahre des 150-jährigen Bestehens dieser Institution jenen Glanz zu verleihen im Stande ist, der jenen bei den Feiern des genannten Ereignisses heraufbeschworenen Qualitäten auch entsprechen hätte können. So war es aber nicht! Da säße man nämlich nicht in den schon gelichteten Reihen der Galerie während des dritten Aktes der dritten Vorstellung der Premierenserie, um bei dem angebotenen Tönen des Tenors der Titelrolle ständig mitzittern zu müssen. Oder man muss sich zum Beispiel als Besucher das penetrant laute Klappern zurückspringender Sitze von aufstehenden Galerieseitensitzern während Jagos gotteslästerlichen Bekenntnissen oder Desdemonas letzten Röchlern anhören?
Das hätte alles beides nichts mit der Führung dieses Hauses zu tun, alles nichts mit sachlicher Kritik? Die derzeitige stimmliche Krise des Titelhelden ist seit der Premiere latent, ein Ersatz wäre aber im Hause gewesen und saß für jeden sichtbar in einer der Logen. Es sollte nicht darauf ankommen, ob ein Sänger unbedingt zu singen bereit ist (was ihn ja durchaus ehrt, das Finanzielle einmal beiseite gelassen), sondern es sollte doch auch die Zumutbarkeit an das hörende Publikum dieses Hauses in Frage stehen. Dass Aleksandrs Antonenko auf einen Schlussvorhang verzichtete sagt ja schon alles.
Und der Lärm der hochschnellenden Sitze wächst zu einem weiteren Problem und liegt zum Teil in der Architektur des Hauses, aber zum größten Teil an der Unfähigkeit der Regisseure, Handlungsstränge weitgehend sichtbar bleiben zu lassen. Und an dem Unwillen der Leitenden dieses Hauses, dies auch zu kontrollieren. Wie kommt eine Olga Bezsmertna dazu, mit diesem tatsächlich sehr störenden Lärm von Balkon und Galerie Seite zu singen. Aber wie erst die Besucher, die erst recht gestört sind. Das wird ohne Einbau von Schalldämpfern nicht gehen.
Als Zypern-Veteran unter Karajan darf ich gar nicht mehr an den damaligen, fulminanten Beginn denken mit Gewitter, Blitzen, Donnerschlägen, Kanonenlärm, nicht mehr an die sonnendurchfluteten südlichen Bilder. Vielleicht verklärt die Erinnerung, aber die braunen Kasematten der Neuinszenierung von Dick Bird wirken schon jetzt altbacken und ermüden im Einheitsbild das Auge beträchtlich. Sie haben nur einen Vorteil: Sie erlösen uns vom Vorgängergeschmack der Mielitz. Verlegt in den Anfang des 20. Jahrhunderts können die Kostümierungen das Operettige dieser Zeit nicht leugnen, die Offiziere erinnern allerdings an ordenbehängte Nordkoreaner heutigen Typs.
So hat man also den Eindruck einer normalen bis nur mäßigen Repertoirevorstellung in das Gewand einer Premiere gezwängt, denn das kann ja nicht alles gewesen sein, was uns dieses Haus damit als Verdis letztes, großes und tatsächlich auch bestes Werk musikalisch derzeit vorsetzt: Ein dauerindisponierter Admiral, Aleksandrs Antonenko, ein nur mittelmäßig böser Agent des Bösen, nämlich Vladislav Sulimsky als Jago und eine bestenfalls um Emphase ihres dauergedemütigten Zustands bemühte Desdemona, Olga Berzsmertna. Und das alles unter einem, besonders auf Galerie Seite unüberhörbaren, die Philharmoniker zu Lautstärkenexzessen treibenden Maestro, Myung-Wung Chung.
Dagegen waren die, für die Vertretung des Repertoiresembles stellvertretend zu erwähnenden Sänger Labsal auf der Bühne: Margarita Gritskova als Emilia, der balsamische Jongmin Park als Lodovico und der belkanteske Jinxu Xiahou als Cassio.
Der Schluß der vorherigen Regiearbeit von Frau Mielitz ist mir allerdings in Erinnerung geblieben: Dem Mohren hat sie den letzten Kuss für Desdemona verwehrt, man trug den Leichnam seiner Frau ohne Kuss hinaus, Otello winselte vergeblich: Keine Gnade für den Gattenmörder! Das war von einigermaßen starker Wirkung.
Peter Skorepa, 28. Juni 2019