Foto: © Bregenzer Festspiele / Karl Forster
Giuseppe Verdi, Rigoletto
Bregenzer Festspiele, 17. Juli 2019
Musikalische Leitung: Enrique Mazzola
Regie: Philipp Stölzl
Bühnenbild: Philipp Stölzl, Heike Vollmer
Kostüme: Kathi Maurer
Licht: Georg Veit, Philipp Stölzl
Herzog von Mantua: Stephen Costello
Rigoletto: Vladimir Stoyanov
Gilda: Mélissa Petit
Sparafucile: Miklós Sebestyén
Maddalena/Giovanna: Katrin Wundsam
Wiener Symphoniker
Prager Philharmonischer Chor
von Kirsten Liese
Der Horror manifestiert sich gleich in den ersten Minuten- passend zu dramatischen Klängen im Vorspiel: Da reißt der die Seebühne dominierende riesige Clownskopf weit Augen und Mund auf und verharrt in Schockstarre. Furchterregend sieht das aus, es läuft einem kalt über den Rücken. Eine in einen Sack gewickelte Leiche ist kurz zuvor in den Bodensee gestürzt. So nimmt Regisseur Philipp Stölzl am Anfang seines – sagen wir es gleich- umwerfenden, grandiosen Opernkrimis in Bregenz das schaurige Ende vorweg.
Schnell vergisst man, dass es sich bei diesem Kopf- 14 Meter hoch und 35 Tonnen schwer (!)-, der sich mit einem sagenhaften Radius im Laufe der Aufführung in schwindelerregende Höhen erhebt und bisweilen bis zum Kinn in den Bodensee versinkt, um eine künstliche Figur handelt. Ungemein lebendig sieht er aus. Vor allem über die Pupillen, die mal nach oben oder unten wandern, vermittelt sich das Seelenleben des Titelhelden, der angesichts der fiesen Hofgesellschaft um das Wohl seiner über alles geliebten Tochter Gilda bangt, die zunächst aus seinem sicheren Nest entführt wird und schließlich ihr Leben für den untreuen Geliebten opfert.
Verdis „Rigoletto“, erstmals in einer kostspieligen Seebühnenproduktion in Bregenz zu erleben, ist wahrlich eine grausame Oper. Stölzl, der zusammen mit Heike Vollmer das Bühnenbild selbst entworfen hat, findet die richtige Balance zwischen eindrucksvoller Optik, die eine Produktion an diesem Ort mit mehr als 7000 Zuschauern auf den Tribünen (verkauft wurden in diesem Sommer 192.000 Karten!) benötigt, und einer durchaus anspruchsvollen Regie, die sich im Gegensatz zu zahlreichen Blockbustern im Kino nicht in zu vielen spektakulären Showeffekten und Actionelementen verliert. Seine einfachen, verständlichen Bilder gehen unter die Haut.
Zu den besonders starken Momenten zählt freilich jener, wenn sich das Clownsgesicht zum Totenkopf wandelt, der gemeine Hofstaat dem Riesenkopf die Augäpfel herausreißt und die Nase abschlägt. Irgendwann fehlen auch einige Zähne. Der Tod schleicht sich schließlich zusehends in die Geschichte, wenn Rigoletto in Sparafucile seinen Auftragsmörder für seinen geplanten Racheakt gefunden hat.
Außer dem Kopf hat die monströse Bühnenskulptur 12 Meter hohe Hände, an die sich eine starke Metaphorik von Enge und Freiheit koppelt: Die linke krallt sich um Gilda, bietet ihr Schutz, vereinnahmt sie aber auch besitzergreifendend, wenn sie sie nicht gar erdrückt, die rechte umfasst einen Ballon, mit dem Gilda verliebt und den Klauen des Vaters entkommen, zum Himmel schwebt.
Und wie dann die Höflinge das hilflose Mädchen über ein Seil aus höchster Höhe in den Rachen des frauenfressenden Kopfes katapultieren, ergibt ein staunenswertes Manöver, bei dem dank couragierter Sängerin noch nicht einmal eine Stuntfrau zum Einsatz kommt. Ihre berühmte Arie „Gualtier Maldè…sein so geliebter Name“ singt die treffliche Mélissa Petit, zuvor im Duett mit Rigoletto noch etwas angestrengt und eng in der Höhe, samt diffiziler Koloraturen sicher und schön.
Die vereinnahmende Klaue, die sich anfangs über die bewachte Tochter legt, kommt später noch einmal überzeugend zum größten Arien-Hit „La donna è mobile“ zum Einsatz: Leblos wie an einem Galgen hängen da Zirkusartistinnen an einzelnen Fingern, beim Auftritt des hier als Zirkusdirektor mit Peitsche in der Manege auftretenden Herzogs präsentieren sie ihre Kunststückchen am Trapez zur Musik so mechanisch wie Marionetten. So ergeben sich en passant und unaufdringlich hübsche Anspielungen auf MeToo#.
Besonders atmosphärische Bilder hat Stölzl noch für das Terzett in der Gewitterszene vor dem schaurigen Ende bereit: Da flackert und wetterleuchtet es, akustisch von Donnern untermauert, und aus den Augenhöhlen des mittlerweile mephistophelischen Totenkopfs regnet es wie aus Kübeln. Wer will, kann darin auch einen weinenden, verstümmelten Clown sehen.
Auch musikalisch bewegt sich die Aufführung auf einem achtbaren Niveau: Vladimir Stoyanov bringt mit seinem profunden Bariton die Bandbreite seiner Titelpartie von inniger Tochterliebe zu Hass und Verzweiflung zum Ausdruck. Stephen Costello, anfänglich intonationsunsicher und etwas eng in den Spitzen, lässt als Herzog einen beweglichen, strahlkräftigen Tenor hören.
Enrique Mazzola, zurecht viel beachtet für seine frischen Rossini-Interpretationen in Pesaro und Berlin, suchte am Pult der Wiener Symphoniker mitnichten nur im Großformatigen zu beeindrucken, sondern behandelte vielmehr schwermütige lyrische leise Passagen mit kammermusikalischer Transparenz.
Bis hin zum idealen Sommerwetter war mithin nahezu alles perfekt zum Premierenabend. Der unheimliche Clownskopf und seine bisweilen entsetzenden Augen werden einem vermutlich noch lange nachhängen.
Kirsten Liese, 18. Juli 2019, für
klassik-begeistert.de
Als fernsehender Zaungast gewann ich gestern abends den Eindruck, dass die hochtechnisierte Tonanlage nichts nützt. Die Stimmen brauchen ein gedecktes Auditorium, wie die klassischen Opernhäuser es bieten.
Lothar Schweitzer