Foto: Ivor Bolton © Ben Wright
Grafenegg, Auditorium, 5. März 2022
Johannes Brahms: Ein deutsches Requiem
Solisten:
Christina Landshammer, Sopran
Tareq Nazmi, Bass
Tonkünstlerorchester Niederösterreich
Ivor Bolton Dirigent
Konzertchor Niederösterreich (Choreinstudierung: Markus Pfandler-Pöcksteiner)
von Herbert Hiess
….ist nicht nur ein bekannter Liedtitel von Helene Fischer, sondern war offenbar und hörbar das Motto des Abends im Grafenegger Auditorium. Das großartige Niederösterreichische Tonkünstlerorchester wurde vom Dirigenten Ivor Bolton geradewegs durch eines der schönsten sakralen Chorwerke durchgepeitscht.
Ivor Bolton ist ansonsten ein sehr bewährter und ausgezeichneter Dirigent. Warum er dann durch das Requiem so durchgefahren ist, bleibt rätselhaft. Da gab es nur Hektik; schnelle Passagen wurden noch schneller gespielt und bei den langsamen Teilen gab es kein Verhalten, kein Innehalten. Irgendwie spürte man die ganze Zeit eine eigenartige Hektik bei Bolton.
Ein großes Lob für den Konzertchor Niederösterreich, der erst 2019 bei einem Projekt mit Beethovens 9. in St. Pölten entstand. Und man entschied sich, an diesem Chor festzuhalten und aus dem Projekt eine Institution zu machen. Was auch gut ist, denn das Ensemble ist wahrhaft exzellent. Derweil noch in Form eines ungeschliffenen Rohdiamanten. Woran die vielfach jungen Leute noch arbeiten müssen, sind vor allem Wortdeutlichkeit und eine Pianokultur. Wobei letztere durch das Dirigat verloren ging; Bolton hat offenbar viel zu wenig auf diese Schattierungen geachtet. Gerade in den Sätzen IV (Wie lieblich sind deine Wohnungen) und V (Ihr habt nun Traurigkeit) wären viele Gelegenheiten gewesen, mit Pianissimi zu brillieren.
Phantastisch die Solisten. Christina Landshammer bestach mit einem wunderbaren Sopransolo, das vielleicht noch mehr „Innigkeit“ vertragen hätte und der Bass Tareq Nazmi präsentierte seine traumhafte Stimme. Wenn er noch mehr interpretiert hätte (vor allem im Satz VI), wäre das das Tüpfelchen auf dem I gewesen.
Letztlich ein großes Lob an das Orchester, das in allen Gruppen beeindrucken konnte. Anfänglich war die Befürchtung, dass ohne Orgel gespielt wurde. Doch gut versteckt, war dann auf der rechten Seite der Spieltisch zu sehen. Leider war das hauptsächlich nur optisch; akustisch war die Orgel kaum vernehmbar. Da sollten sich Organist und Dirigent einmal die Aufnahmen unter Herbert von Karajan anhören und hören, wie Rudolf Scholz hier die Orgel einsetzte.
Alles in allem ein recht beeindruckendes Konzert, das mit der mittlerweile obligatorischen ukrainischen Hymne begann. Ein ukrainisches Orchestermitglied der 1. Geigen hielt eine kurze Ansprache mit einem anschließenden Spendenaufruf, der von diversen Orchestermitgliedern durchgeführt wurde. Nach dieser schönen Geste eben das (leider!) passende Requiem, das vor allem einen beeindruckenden Chor entdecken ließ. Wenn man die in allen Stimmlagen großartigen Leute mehr auf Wortdeutlichkeit und Pianokultur schult, könnte man einen Spitzenchor daraus machen, der locker gleichwertig mit dem Wiener Singverein oder dem Arnold Schoenberg Chor wäre.
Herbert Hiess, 5. März 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at